von Claudia Daniel Siebenmann

Diese rhetorische Frage stellte Herr Meier, um mir zu erklären, warum er als Laie regelmässig Gottesdienste leitet. Als Ersatz für die Schottland-Reise, an der ich nicht teilnehmen konnte, habe ich in allen 75 Aargauer Kirchgemeinden nachgefragt, ob es bei ihnen Laien-Gottesdienste gibt. Wie zum Beispiel in Fislisbach: seit 30 Jahren feiert dort ein Laien-Team einmal im Monat am Sonntagmorgen den «Lobgesang-Gottesdienst» und füllt damit nicht nur die budgetbedingte Lücke im Gottesdienstplan, sondern zieht auch mehr Teilnehmende an als «normale» Gottesdienste.

Mit neun Laienteams im Aargau konnte ich Gespräche führen. Einige Punkte wurden dabei immer wieder genannt: Die Motivation, eigene Gottesdienste leiten zu wollen, entspringt oft einer grossen, persönlichen Frömmigkeit und dem Wunsch nach einer engen, verbindlichen Glaubensgemeinschaft, die in den Gottesdienst-Teams gelebt werden kann. Viele Befragte berichteten über die grosse Freude bei der Predigtvorbereitung: «Ich staune wirklich jedes Mal, welche Gedanken Gott mir schenkt. Es ist für mich wahrlich ein grosses Geschenk.» Daneben ist der Wunsch, als Kirche am Ort gemeinsam zu feiern, eine starke Triebfeder. Viele der Teams sind ökumenisch zusammengesetzt: «wir fühlen uns als Freunde, Geschwister aller anderen Christen in unserem Dorf.» «Es braucht mehr Angebote, die von beiden Seiten besucht werden, und nicht nur harmonisch gestaltete Ökumene-Anlässe zweimal pro Jahr.»

Laienpredigt-Gottesdienste sind im Aargau möglich

Die Aargauer Landeskirche hat dieses Bedürfnis erkannt: Seit der Überarbeitung der Kirchenordnung 17,7) durch die Synode vom 18.11.2020 sind zehn Laienpredigt-Gottesdienste pro Jahr und drei Gemeindegottesdienste von Laien-Gruppen (ohne Pfarrerpersonen oder Laienprediger:in) möglich. Obwohl dem letzten Punkt mit 61% zugestimmt wurde, soll die Verkündigung jedoch geschulten Personen vorbehalten bleiben, damit die Verbindung von Verkündigung und wissenschaftlicher Theologie als Wesensmerkmal der reformierten Kirche erhalten bleibt. Diese Pfarrzentriertheit, die dem reformierten Gedanken vom Priestertum aller Gläubigen widerspricht, wurde von den Laiengruppen oft hinterfragt: «Die Lebenserfahrung gibt den Menschen die Kompetenz mit dem Evangelium umzugehen. Das muss nicht alles von oben vorgegeben werden.»

Hypothesen zur Zukunft der Reformierten Kirche in der Schweiz:

  • Kirche ist heute primär eine «Angebotskirche», wo man unverbindlich zu verschiedenen Angeboten vorbeigeht. Doch bei vielen Menschen besteht der Wunsch nach einem verbindlicheren Zusammensein. Dauerhafte Bindung an die Kirche/an die Gemeinde entsteht durch Beteiligung.
  • Heute erfolgt die Selbstlegitimierung vieler Pfarrpersonen über gut besuchte Angebote. Erfolg im Pfarramt sollte aber vielmehr daran gemessen werden, wie gut eine Gemeinde zu einem eigenständigen, mündigen und reflektiertem Glaubensleben geführt wird. Die Pfarrperson hat zukünftig nicht mehr die alleinige Deutungshoheit über die Heilige Schrift, sondern ist – ganz im Sinne Zwinglis – primär ein Diener der Gemeinde.
  • Gemeindeglieder, die ihren eigenen Glauben reflektiert und selbstbewusst vertreten können (und in Gottesdiensten zum Ausdruck bringen), erhöhen die Strahlkraft der Gemeinde, weil Mission so nicht nur an die Pfarrperson gebunden ist.

Kurz: Kirche der Zukunft muss weniger pastorale Angebotskirche sein, sondern mehr gemeinschaftliche Beteiligungskirche, in der auch das Gottesdienstleben von der Gemeinde getragen wird.