Seit September 2020 läuft unter der Leitung von Prof. Andrea Bieler an der Theologischen Fakultät der Universität Basel ein vom Schweizerischen Nationalfonds gefördertes Forschungsprojekt mit dem Titel «Conviviality in Motion». Das Projekt untersucht das Zusammenleben in superdiversen christlichen Gemeinschaften in der Schweiz, in Deutschland und in Italien.

Die Arbeit im Projekt ist sehr stark von der Pandemie betroffen. Wollten wir doch eigentlich das Zusammenleben in Kirchenräumen und auf der Strasse untersuchen, verschiebt sich im Moment praktisch die ganze Forschung auf virtuelle Räume. Wie können wir so am Leben der sehr verschiedenen Menschen teilnehmen und beobachten, analysieren und diskutieren, was die unterschiedlichsten Menschen verbindet und wieder trennt?

Neue Forschungsfragen

Die sechs Kirchgemeinden und -gemeinschaften, die in unserem Projekt untersucht werden, reagieren ganz unterschiedlich auf die Restriktionen, die sich durch die Pandemie ergeben haben. Manche haben ihre gesamten Angebote auf das Internet verlagert, in anderen findet nur ein sehr ausgedünntes Programm statt. Die virtuellen Angebote bieten den Vorteil, dass daran von überall her teilgenommen werden kann. Die Nachteile sind aber ebenso deutlich: Es fehlen die Zwischengespräche und das Sich-Einstimmen.

Bei digitalen Angeboten kann die Forscherin an viel mehr teilnehmen. Dadurch werden bedeutend mehr Daten generiert, was durch den Umstand noch verstärkt wird, dass beispielsweise Gottesdienste nicht selten auch zu einem späteren Zeitpunkt auf Youtube abgerufen werden können. Die Forscherin ist also mit einer Flut an Daten konfrontiert, für die ihr aber die atmosphärische Dimension fehlt. Es stellen sich auch neue Forschungsfragen. Wer bietet was an, über welche Kanäle und für wen? Was von den analogen Angeboten wird ersetzt oder warum wird etwas ersatzlos gestrichen? Inwiefern hängen diese Entscheidungen mit den Fähigkeiten der Leute zusammen? Werden gar Strukturen durch diese Anpassungen im Angebotsfächer der Gemeinschaften verändert, wird Macht dadurch anders verteilt?

Digitales Gemeinschaftsgefühl

Der zweite Komplex an zentralen Fragen, die sich durch die Digitalisierung des Forschungsprojektes ergeben, lässt sich mit dem Stichwort digitales Gemeinschaftsgefühl überschreiben. In einer digitalen Andacht sieht man plötzlich alle Teilnehmer von vorne, bei einer physischen Zusammenkunft würde man die Leute auch von der Seite wahrnehmen, in einer Kirche gar vor allem von hinten. Die frontale Ansicht der Geschwister erzeugt eine Intimität, man sieht die geschlossenen Augen, die gerunzelte Stirn, den lachenden Mund. Gleichzeitig wird durch die Trennwand, den Bildschirm, eine Distanzierung verursacht, die schwer zu überwinden ist. Darüber hinaus fehlen Momente wie die des gemeinsamen Aufstehens oder des Hinausgehens. Sind es aber nicht genau diese Nebenschauplätze, die ein Gefühl von Zusammengehörigkeit erzeugen?

Erste Beobachtungen zeigen, dass ein mögliches digitales Gemeinschaftsgefühl sehr vom Format der Plattform abhängt. Ein Beispiel: die eckigen Kästchen bei vielen digitalen Meeting-Plattformen vermitteln ein Gefühl von Abgeschlossenheit. Dadurch kann es durchaus schwerfallen, miteinander in Kontakt zu treten. Plattformen, die mehr auf Austausch und Interaktion angelegt sind, verwenden runde Felder!

Die Pandemie mit ihrem Digitalisierungsschub hatte einen positiven Einfluss auf die Internationalisierung unserer Forschungsgruppe. Da wir mittlerweile geübt sind, uns virtuell zu treffen, scheuen wir uns viel weniger davor, auch mit Forschenden aus verschiedenen Ländern und Zeitzonen im Austausch zu sein und zu bleiben. Dies führt dazu, dass wir in unserem Nachdenken über Konvivialität Diversität leben!

 

Dr. Claudia Hoffmann arbeitete bis Ende letzten Jahres als Assistentin für Aussereuropäisches Christentum an der Theologischen Fakultät Basel. Zum Jahresbeginn wechselte sie in das Projektteam, für das sie den Text verfasste.

Das Forschungsprojekt «Conviviality in Motion» nimmt christliche Diversität in den Blick. In fünf Teilprojekten werden christliche Gemeinschaften daraufhin untersucht, wie Christen und Christinnen aus der ganzen Welt mit ihren unterschiedlichen Traditionen und Sprachen als Geschwister zusammen feiern und leben. Welche Theologien und Praktiken der Konvivialität bringen diese Gemeinschaften hervor? Wie werden Gefühle von Zusammengehörigkeit erzeugt, wie werden Grenzen gezogen oder Konflikte ausgehandelt?

Die Teilprojekte in der Schweiz, in Italien und Deutschland werden von Tabea Eugster-Schaetzle, Luca Ghiretti und Lisa Ketges bearbeitet. Claudia Hoffmann erstellt eine Querschnittstudie zu interreligiösen Kontaktzonen, Andrea Bieler zu den Ergebnissen der Teilprojekte.

Weitere Infos: theologie.unibas.ch/de/projekt-conviviality-in-motion/

Dieser Artikel ist in der bref-Beilage konstruktiv der Theologischen Fakultät Basel (2021) zum Thema "Digitale Transformation" erschienen. Das Magazin setzt sich mit der schlagartigen Digitalisierung in Kirche und Forschung und ihren Konsequenzen auseinander.