«Sobald man hinter die Fassade schaut, ist Kirche weiblich»
Claudia Daniel (43), ist Agronomin und hat sich für den Quereinstieg in den Pfarrberuf entschieden. Zurzeit studiert sie an der Theologischen Fakultät der Universität Basel.
Hundert Jahr nach der ersten Frauenordination sind Pfarrerinnen auf dem Vormarsch. Seit 2015 ist der Quereinstieg in den Pfarrberuf (Quest) möglich. Mehr Frauen als Männer haben sich für das Quereinsteigerstudium entschieden. Was bewegt Frauen ihren angestammten Beruf als Mikrobiologin, Agronomin oder Rechtsanwältin aufzugeben und Pfarrerin zu werden? Und wird sich das Berufsbild mit einem höheren Frauenanteil verändern?
Bildungkirche: Warum wollen Sie künftig als Pfarrerin arbeiten
Claudia Daniel (CD): Ich bin in Ostdeutschland aufgewachsen. Geprägt hat mich die Zeit der Wende in der DDR. Als sich Menschen mit Kerzen in den Händen Panzern entgegengestellt haben und zur Abwehr von Gummigeschossen und Tränengas «Dona nobis pacem» gesungen haben. Wo der Glaube und die Gemeinschaft Menschen so gestärkt haben, dass sie aufgestanden sind, obwohl sie als Minderheit Repressionen zu befürchten hatten. Kirche bedeutete «Bleib unangepasst und steh für deine Ideale ein.» Ich studiere Theologie, weil ich auf der Suche bin und in der Kirche nicht mehr finde, was ich suche. In den meisten Kirchgemeinden herrscht Angepasstheit und eine «Heile-Welt-Rhetorik» - in einer so offensichtlich nicht heilen Welt. Das fühlt sich für mich falsch an. Anderen Menschen geht es wohl ähnlich: die Kirchenaustritte steigen stetig an. Der Kirche einfach den Rücken zu kehren, wäre für mich zwar der einfachere aber falsche Weg gewesen. Gerade weil die Welt nicht heil ist, ist mir der Glaube wichtig.
Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
CD: Zuerst die Feststellung, dass jetzt „Halbzeit“ ist: die Zeitspanne zwischen dem Beginn meines ersten Studiums und jetzt ist gleich lang, wie die Zeitspanne von jetzt bis zur Pensionierung. Damit stand die Frage im Raum, ob ich nochmals etwas ganz anderes machen möchte. Was „das ganz andere“ dann sein sollte, war ein längerer Prozess.
Mussten Sie Hürden überwinden, bis der Entscheid feststand? Welche?
CD: Hürden waren mehrheitlich Fragen innerlicher Art: Soll ich noch einmal etwas ganz Neues wagen? Soll ich die Komfortzone verlassen, wo ich nach 20 Jahren Berufserfahrung die Arbeiten routinemässig abwickeln kann und nach Feierabend Zeit für Familie und Hobbies habe? Kann ich es mir finanziell leisten, mein Arbeitspensum zu reduzieren? Als Pfarrerin werde ich wohl weniger verdienen als in meinem jetzigen Beruf – Ist es mir das wert?
Die wirklichen Hürden ergeben sich aber erst jetzt im Studium: Die Idee, zwei Tage pro Woche an der Uni zu verbringen, zwei Tage im Büro und drei mit Kindern und Mann, funktioniert leider nicht: Griechisch- und Hebräischkurse finden an drei Tagen in der Woche statt, weitere Vorlesungen nochmals an anderen Tagen, meist irgendwann über den Tag verteilt. Das geht nur mit viel Kaffee, sowie viel Unterstützung und Verständnis im privaten und beruflichen Umfeld.
In welchem Beruf haben Sie bisher gearbeitet?
CD: Ich arbeite seit fast zwanzig Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick im Bereich biologische Schädlingsregulierung. Zu meinen Aufgaben gehört es, Gelder für die Forschung zu akquirieren, Grundlagenforschung im Labor durchzuführen, die Resultate wissenschaftlich zu publizieren, die neuen Methoden in Feldversuchen zu prüfen, Bauern zu beraten und die Meinungsbildung für eine nachhaltige Landwirtschaft zu unterstützen). Hauptmotivation bei meiner Arbeit war immer, eine Landwirtschaft zu konzipieren, die nachhaltig ist, die nicht auf Kosten von Anderen lebt, und die die Schöpfung bewahrt und ehrt.
Was nehmen sie aus dieser Berufserfahrung mit für ihre künftige Tätigkeit als Pfarrerin?
CD: Die Berufsfelder sind sehr verschieden, einige Erfahrungen lassen sich dennoch übertragen: Ich habe eine Ausbildung für Öffentlichkeitsarbeit, Schreiben von Texten, freies Sprechen inkl. Stimm- und Kameratraining und Krisenkommunikation. Ich kann Überzeugungsarbeit leisten, beraten, begleiten; Projekte entwerfen und zeit- und budgetkonform umsetzen. Als Personalvertreterin durfte ich Menschen in schwierigen Situationen begleiten. Daraus resultiert ein gutes Gespür für die Zusammenarbeit in NGOs / NPOs mit stark intrinsisch motivierten Menschen: in Bereichen, wo Menschen ihr ganzes Herzblut in ein Thema legen und bei Kritik entsprechend verletzlich sind, weil jede Kritik die innersten persönlichen Überzeugungen trifft, sind andere Wege der Zusammenarbeit gefragt als in der «normalen Arbeitswelt». Aus meinen ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Kirchenpflege bringe ich einen Einblick in die kirchlichen Strukturen und Abläufe mit.
Zurzeit sind 38 Prozent der Pfarrstellen mit Frauen besetzt. Im Theologiestudium sind Frauen momentan in Überzahl. Wenn der Beruf weiblicher wird, wie wird sich das Berufsbild Pfarrer/-in verändern? Was denken Sie?
CD: Das Frauenbild, und das Bild dessen, was Frauen können und dürfen, wird sich gesamtgesellschaftlich ändern. Mit Viola Amherd steht derzeit eine Frau dem Verteidigungsdepartement vor. Ändert sich damit das Berufsbild des Verteidigungsministeriums? Ich glaube nicht. Das Berufsbild des Pfarramts wird sich dennoch ändern – aber nicht wegen der Frauen, sondern weil sich die Kirche generell neu ausrichten muss, um dem Mitgliederschwund entgegen zu wirken.
Wie erleben Sie das kirchliche Umfeld und das Berufsbild der Pfarrpersonen, eher patriarchal oder gleichgestellt?
CD: Patriarchal ist in der Kirche nur die Fassade, die Repräsentation nach Aussen: bei Pfarrern, Kirchenpflegepräsidenten, Synodalen und den Kirchenräten sind Männer (noch) in der Überzahl. Sobald man hinter die Fassade schaut, ist Kirche jedoch weiblich. Bei Veranstaltungen und in Gottesdiensten herrscht meist ein Frauenüberschuss. Viele Formate und Inhalte sind so sehr auf Frauen zugeschnitten, dass sich nur selten ein Mann dahin verirrt.
Ähnlich sieht es bei den Angestellten aus: Sekretärinnen, Sigristinnen, Katechetinnen, Sozialdiakoninnen – der Pfarrer und der Abwart sind häufig die einzigen Männer im Team. Auch bei den Freiwilligen finden sich fast nur Frauen. Der Kirchenchor hat ebenfalls immer mehr Mühe, die tiefen Tonlagen zu besetzen und die Kirchenpflegen, ja selbst die Präsidien werden mit jeder Wahlperiode weiblicher. Einzig das Ressort Bau bleibt zumeist in Männerhand.
Ohne den beständigen, oft jahrelangen Einsatz von Frauen in der Freiwilligenarbeit kämen viele kirchliche Programme zum Erliegen. Frauen sorgen so für Kontinuität in den meisten Kirchgemeinden. Dass sich immer mehr Frauen entscheiden, Pfarrerin zu werden ist eigentlich nur eine logische und konsequente Weiterführung der Entwicklungen an der Basis der Kirchgemeinden.
Was denken Sie, haben Frauen einen Vorteil im Pfarrberuf? Wenn ja, welchen?
CD: In diesem weiblichen Umfeld haben Frauen den Vorteil, dass sie die gleiche Sprache sprechen und ähnliche Formate der Glaubensvermittlung bevorzugen. Das kann ein Vorteil für die Zusammenarbeit in den weiblichen Freiwilligenteams sein.
Und welche Vorteile haben Männer?
CD: Aus der Pädagogik weiss man: Jungs brauchen männliche Vorbilder, um ihre Rolle zu finden. Weibliche Vorbildrollen gibt es in den Kirchgemeinden viele, männliche hingegen fehlen zunehmend. Bei den Männern ist es ähnlich: sie gehen kaum in reine Frauenveranstaltungen, sondern lieber dahin, wo schon andere Männer sind. Pfarrer sind daher wichtig als männliche Identifikationsfiguren. Wenn sich Kirche als Leib Christi versteht und weiterhin Volkskirche sein will, dann braucht es in der Leitung, wie auch an der Basis Männer und Frauen.
Was liegt Ihnen als Frau im Pfarrberuf besonders am Herzen?
CD: Diese Frage irritiert mich etwas, weil sie suggeriert, dass Frauen andere Anliegen im Pfarrberuf haben als Männer. Ich glaube nicht, dass das Geschlecht einen primären Einfluss hat. Jedes Glaubensprofil ist ganz persönlich und einmalig. Persönlich freue ich mich am meisten auf Gespräche mit Suchenden, Fragenden, Skeptikern, Zweiflern. Und darauf, vielleicht miterleben zu dürfen, wie sich die Kirche im 21 Jahrhundert neu ausrichtet, ihre schweren alten Türen aufreisst und frischen Wind hineinblasen lässt.
Zur Person: Claudia Daniel (43) ist in Ostdeutschland aufgewachsen. Nach ihrem Diplomingenieurstudium für Gartenbau FH doktorierte sie an der Technischen Universität München im Bereich Agronomie. Seit fast zwanzig Jahren arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick im Bereich biologische Schädlingsregulierung. 2018 startete sie ihr Studium zum Quereinstieg in den Pfarrberuf an der Theologischen Fakultät der Universität Basel.
Weitere Informationen
Studienprogramm Quereinstieg in den Pfarrberuf