«Kleine Schritte sind schön und gut, aber eigentlich sollten wir Vollgas losrennen!»
Die Klimastreikbewegung hat 2020 einen rund 400-seitigen Aktionsplan herausgegeben. Würde dieser umgesetzt, könnte die Schweiz bis 2030 klimaneutral sein. Die Politik bemüht sich zwar mit einem neuen CO2-Gesetz in diese Richtung, aber konsequente Klimapolitik sei das noch lange nicht, sagen Klimastreikende. Aktivistin Fanny Wissler zu ihrem Engagement bei Klimastreik Schweiz und warum sich eine Kirche für ihr Headquarter besonders eignet.
Bildungkirche: Am 2. Mai 2021 findet ein schweizweiter Klimastreik statt, der Strike for Future. Wie sieht Ihr Programm aus an diesem Tag?
Fanny Wissler (FW): Das Programm ist noch unklar. Corona macht es uns nicht einfach. Das Ziel des Strike for Future ist es, trotz allem möglichst viele neue Menschen anzusprechen. Menschen, die bisher keinen Zugang zur Klimabewegung hatten: deshalb haben wir Lokalgruppen gegründet. Dort können Menschen in ihrem Umfeld aktiv werden und sich dezentral für eine bessere Klimapolitik einsetzen. Wir haben uns ebenfalls mit anderen Bewegungen und Organisationen zusammengetan, die uns helfen, den Tag zu organisieren. So werden viele Aktionen lokal und dezentral organisiert. (Das Programm variiert von Ort zu Ort, genaue Infos unter www.strikeforfuture.ch.)
Wissenschaftler*innen, Expert*innen und Klimastreikende haben im November 2020 einen fast 400-seitigen Massnahmenplan herausgegeben zur Lösung der Klimakrise. Wie hat die Politik darauf reagiert?
FW: Das Ziel dieses Planes ist nicht primär die institutionelle Politik anzusprechen. Diese hat versagt. Sie hätte diese Massnahmen längst umsetzen sollen. Ziel des Planes ist zum einen aufzuzeigen, dass es in der Schweiz bis 2030 möglich ist, netto null Treibhausgasemissionen zu erreichen. Zum anderen soll die ganze Gesellschaft angesprochen werden. Wenn die Politik keine konsequente Klimapolitik macht, müssen wir es tun. Es gibt eine gekürzte Variante des Massnahmenplans. Zusätzlich produzieren wir Podcasts und wir informieren über unseren sozialen Medien über die vorgeschlagenen Massnahmen. Der Massnahmenplan ist nach Sektoren unterteilt. Die verschiedenen Wirtschaftszweige können die Massnahmen direkt übernehmen. Zudem sollen sich auch die vielen lokalen Klimagruppen mit dem Aktionsplan auseinandersetzen und schliesslich Massnahmen implementieren (www.climateactionplan.ch).
Mitte 2020 hat die Klimastreik-Bewegung in der Kirche Wipkingen in Zürich ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Warum war gerade eine Kirche eine gute Option für euch?
FW: Es ist für uns keine Kirche mehr. Wir haben das Gebäude auf «Klimaanlage» umgetauft. Die Anlage eignet sich, weil wir grosse Räume für Versammlungen benötigen und einen Ort brauchen, an dem wir uns verwirklichen können. Die «Klimaanlage» steht mitten in der Stadt und so erreichen wir auch gleich die Anwohner*innen im Quartier. Wir wünschen uns, dass nach Corona die «Klimaanlage» ein Ort wird, wo Menschen zusammenkommen und über ihre Visionen diskutieren.
Welche Erwartungen habt ihr an die Kirche, wie sie sich gesellschaftlich und politisch einbringen soll?
FW: Die Institution Kirche sollte sich unbedingt in den politischen Diskurs rund ums Klima einbringen. Ich bin zwar nicht religiös, aber es geht schliesslich darum, die Schöpfung zu bewahren. Wir haben eine kollektive Verantwortung gegenüber jenen Menschen, die bereits heute von der Klimakrise betroffen sind, wie auch zukünftigen Generationen gegenüber. Diese Verantwortung trägt auch die Kirche.
Was sind aus deiner Sicht die einfachsten und effektivsten Massnahmen, mit denen jede*r einzelne einen Beitrag gegen die Klimakrise leisten kann?
FW: Das einfachste und effektivste ist, sich politisch zu organisieren. Sei das im Quartier, am Arbeitsplatz oder im Sportclub. Im Kollektiv kann man am meisten verändern.
Was motivierst dich und deine Mitstreiter*innen?
FW: Ich denke, die grösste Motivation sind Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, die durch die Klimakrise entstehen oder verstärkt werden: Menschen im globalen Süden sind stärker von der Klimakrise betroffen als Menschen im globalen Norden, Schwarze sind mehr betroffen als weisse, Frauen mehr als Männer und Junge mehr als Alte. Die Klimakrise birgt eine riesige Gefahr für die globale Gesellschaft, zuschauen und warten ist einfach keine Option.
Und was ärgert dich am meisten im Kampf gegen die Klimakrise?
FW: Dass wir noch nirgends sind. Unsere Treibhausgasemissionen steigen und steigen, dabei müssten sie radikal sinken. Unser Parlament ist jetzt ein wenig «grüner» und hat ein CO2-Gesetz verabschiedet, das etwas weniger schlecht ist als das vorhergehende. Im Juni werden wir über dieses abstimmen. Solche kleinen Schritte sind schön und gut, aber eigentlich sollten wir Vollgas losrennen!
Und welche Entwicklungen stimmen dich hoffnungsvoll?
FW: Die Tatsache, dass es eine Klimabewegung gibt und sie es immer wieder schafft, Aufmerksamkeit auf ihre Anliegen zu lenken. Jedes Mal, wenn ich sehe, dass neue Aktivist*innen bei unseren Projekten begeistert mitarbeiten, gibt mir das Kraft weiter zu kämpfen. Alleine fühlt man sich manchmal ohnmächtig, die Klimakrise kann unglaublich überwältigend wirken. Doch wenn man sich organisiert und gemeinsam kämpft, merkt man, dass Veränderung möglich ist.
Fanny Wissler ist Klimaaktivistin des Klimastreiks und in Ausbildung als Fachfrau Gesundheit EFZ
Veranstatlung zum Thema:
A+W-Impuls No. 10: Jugend – Klima – Zukunft
Die jungen Menschen in der Klimastreikbewegung setzen sich leidenschaftlich für die Zukunft unseres Planeten ein. Welche Erwartungen haben sie an die Kirchen, wie sie sich politisch und gesellschaftlich einbringen soll? Wir lassen uns von ihnen inspirieren.
7. Juni 2021, Zürich