„Da habe ich entdeckt, wie wichtig das Begleitetwerden für Menschen ist und dass ich das sehr gerne mache.“
Hundert Jahr nach der ersten Frauenordination sind Pfarrerinnen auf dem Vormarsch. Seit 2015 ist der Quereinstieg in den Pfarrberuf möglich. Mehr Frauen als Männer haben sich für das Quereinsteigerstudium entschieden. Was bewegt Frauen ihren angestammten Beruf als Mikrobiologin, Agronomin oder Rechtsanwältin aufzugeben und Pfarrerin zu werden? Und wird sich das Berufsbild mit einem höheren Frauenanteil verändern?
Nelly Spielmann hat ihr Studium abgeschlossen und startete im August 2019 ihr Lernvikariat in Dietlikon. Die Mikrobiologin arbeitete zuletzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kinderspital Zürich.
Bildungkirche: Warum wollen Sie künftig als Pfarrerin arbeiten?
Nelly Spielmann (NS): Mich spricht das vielfältige Arbeitsfeld des Pfarramts an. Ich habe als Kirchenpflegerin einige Projekte in unserer Gemeinde mitentwickelt. Aber bei der Umsetzung war ich wieder «raus». Das hat mich je länger je mehr gewurmt. Ich wollte da dranbleiben, wollte in und mit der Gemeinde arbeiten und das nicht «nur» ehrenamtlich. Ausserdem finde ich auch andere Facetten des Pfarrberufes, wie das Gestalten von Gottesdiensten oder die Seelsorge höchst spannende Handlungsfelder. Mit Menschen im wahrsten Sinne über Gott und die Welt sprechen, Schätze in der Bibel finden und sich immer wieder mit Glaubensfragen auseinandersetzen, wie cool ist das denn?!
Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
NS: In meiner bisherigen Tätigkeit als Wissenschaftlerin habe ich irgendwann gemerkt, dass mir etwas fehlt. Benennen konnte ich es aber nicht wirklich. Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre in unserer Kirchgemeinde als Kirchenpflegerin engagiert. Eines Abends stiess ich auf den Flyer für das Quereinsteigerstudium. Da setzte sich der Gedanke fest: DAS ist es!
Mussten Sie Hürden überwinden, bis der Entscheid feststand? Welche?
NS: Meine Familie hat mich in meinem Entscheid voll unterstützt. Zum Glück ging es dann recht schnell bis zum Anmeldeschluss, da hatte ich kaum Zeit für Zweifel. Herausfordernd war die Kinderbetreuung während des berufsbegleitenden Studiums, aber auch hier konnte ich auf meine grossartige Familie zählen.
In welchem Beruf haben Sie bisher gearbeitet?
NS: Ich habe elf Jahre als Forscherin in der Anästhesieabteilung des Kinderspitals Zürich gearbeitet, eine sehr spannende Tätigkeit.
Was nehmen sie aus dieser Berufserfahrung mit für ihre künftige Tätigkeit als Pfarrerin?
NS: Ich hatte durch unsere klinischen Studien viel Kontakt zu unseren Patientinnen und Patienten und vor allem auch zu ihren Eltern. Ich habe oft mit ihnen reden dürfen, während ihre Kinder im Operationssaal lagen. Spätestens da habe ich entdeckt, wie wichtig das Begleitetwerden für Menschen ist und dass ich das sehr gerne mache.
Zurzeit sind 38 Prozent der Pfarrstellen mit Frauen besetzt. Im Theologiestudium sind Frauen zurzeit in Überzahl. Wenn der Beruf weiblicher wird, wie wird sich das Berufsbild Pfarrer/-in verändern? Was denken Sie?
NS: Ich bin überzeugt, dass andere Einflüsse und Entwicklungen eine viel grössere Rolle bei der Veränderung des Pfarrberufes spielen als die Verteilung der Geschlechter. Ich denke da an beispielsweise an den Reformprozess für Kirchgemeinden (KG+) oder auch, dass durch Quest nun mehr Menschen in den Pfarrberuf kommen, die Erfahrung aus anderen Arbeits- und Lebensbereichen mitbringen. Die Mischung wird den Pfarrberuf meiner Meinung nach bereichern.
Wie erleben Sie das kirchliche Umfeld und das Berufsbild der Pfarrpersonen, eher patriarchal oder gleichgestellt?
NS: Ich erlebe es als gleichgestellt. Und ich hätte grosse Mühe damit, wenn es nicht so wäre.
Was denken Sie, haben Frauen einen Vorteil im Pfarrberuf? Wenn ja, welchen?
NS: Nein, das denke ich keineswegs. Aber – nicht, dass das jemand falsch versteht – ich denke auch nicht, dass Männer einen Vorteil haben. Wenn jemand einen Vorteil hat, dann Menschen mit besonderen Begabungen, ganz unabhängig von ihrem Geschlecht.
Was liegt Ihnen als Frau im Pfarrberuf besonders am Herzen?
NS: Mir liegt nichts Besonderes aus der Perspektive einer Frau am Herzen. Ausser wenn ich merken würde, dass ich allein aufgrund meines Geschlechts benachteiligt würde. Dann würde ich mich wehren. Aber als Person liegt mir manches am Herzen.
Zur Person: Nelly Spielmann (37) hat ihr Studium zum Quereinstieg ins Pfarramt abgeschlossen und startete ihr Lernvikariat im August 2019 in der Kirchgemeinde Dietlikon (ZH). Die ausgebildete Mikrobiologin und Immunologin arbeitete während elf Jahren als Forscherin in der Anästhesieabteilung des Kinderspitals Zürich.