Von Juliane Hartmann
Juliane Hartmann: Rita Famos, du bist seit 1. Januar 2021 Präsidentin der Evangelischen Kirche Schweiz (EKS) – wo und wie hast du gelernt, was du für deine jetzige Aufgabe brauchst?
Rita Famos (RF): Zum einen war das «learning by doing» durch die verschiedenen Tätigkeiten, die ich schon ausgeübt habe. Tatsächlich begegnen mir nun wieder viele Pfarramtsaspekte. Das Präsidium ist auch eine pastorale Aufgabe: Networking, auf andere zugehen, sie einbeziehen, Theologie treiben und Impulse setzen. Ich freue mich, dass ich bereits in einigen Kantonalkirchen zum Predigen eingeladen wurde. Ich kann in den verschiedenen Themenbereichen allein nichts erreichen, das war in der Kirchgemeinde so und jetzt ebenfalls. Auch als Dekanin und als Abteilungsleiterin habe ich viel gelernt, zum Beispiel das Moderieren einer Expert*innenorganisation oder das Vernetzen mit weltlichen Organisationen. Lehrreich war auch die Arbeit in multikonfessionellen Gremien, wo es galt, sehr unterschiedliche theologische Ausrichtungen an einen Tisch zu bringen und Lösungen zu erarbeiten, wie beispielsweise 2013 eine gemeinsame Stellungnahme zum Lehrplan 21. Diese Arbeit gibt mir Sicherheit für meine jetzige Aufgabe.
Zum anderen habe ich viel in Weiterbildungen gelernt – auch ausserhalb der Kirchen. In der Ausbildung in systemischer Therapie und Beratung immer das Ganze in den Blick zu nehmen, das ist eine Grundhaltung und viel mehr als nur eine Technik und im Leiten von Kirche besonders wichtig. Lehrreich waren für mich auch die Weiterbildungen, die ich im Nonprofit-Management gemacht habe.
Und was würdest du gern noch lernen?
RF: Mein Französisch würde ich gern verbessern, Rätoromanisch lernen – und Klavierspielen.
Du hast deine Berufskarriere im Pfarramt gestartet. Hattest du Vorbilder?
RF: Mein Vorbild ist meine Vikariatspfarrerin. Sie hat in authentischer Art ihre Frau gestanden. Sie hatte Ausstrahlung und Sicherheit. Sie war Pfarrerin, ohne das Frausein vor sich herzutragen. Damals war man als Pfarrerin noch etwas exotischer als heute. Als ich mir als Jugendliche überlegte Pfarrerin zu werden, kannte ich noch kein weibliches Rollenmodell. Heute schaue ich gerne auf unsere Bundesrätinnen, die alle auf ihre eigene Art einen sehr guten Job machen. Und weil ich eher auf Harmonie bedacht bin, lerne ich viel von Frauen, die mutig und manchmal fadengerade sind, die etwas kritisch ansprechen und auf den Punkt bringen.
Hast du aus deiner Sicht weibliche Eigenschaften, die du für deine jetzige Aufgabe einsetzen kannst – und gibt es die überhaupt?
RF: Es gibt Studien, die sagen, dass Frauen nicht anders führen als Männer, sondern es vielmehr die Charaktereigenschaften, die Erfahrungen und Expertisen sind, die ihre Führungsart prägen und nicht ihr Geschlecht. Ich denke jedoch, es liegt einiges in der Art, wie Mädchen in meiner Generation sozialisiert wurden, das ich nun gut brauchen kann: aufs Ganze schauen, zuerst zuhören, bevor man ins Kraut schiesst, sich um andere sorgen. Unsere Söhne sind mittlerweile anders erzogen und sozialisiert worden und bringen diese Eigenschaften hoffentlich auch mit.
So ist mir eine plurale Kirche wichtig, in der alle zu Wort und miteinander ins Gespräch kommen. Eher Frauen zugeschrieben wird auch, dass sie themen- und sachorientiert sind, es ihnen nicht so sehr um sie als Person geht. Ob das eine weibliche Eigenschaft ist? Mir ist das Gemeinschaftliche wichtig. Meine Bürotür ist offen und ich trinke gerne auch mal einen Kaffee mit den Mitarbeitenden
im Haus.
Dein Vorgänger hat von der zunehmenden Feminisierung des Pfarrberufs gesprochen – wie nimmst du diese Entwicklung, samt Chancen und Risiken wahr?
RF: Ich finde es wunderbar ist das Rollenmodell des Pfarramts nun so vielfältig und es Pfarrerinnen und auch homosexuelle Pfarrpersonen gibt. Dadurch bildet der Pfarrberuf auch die Vielseitigkeit der Gemeinden und der Gesellschaft ab. Als Kirche stellen wir vielseitige Persönlichkeiten und Verkündigungsstile zur Verfügung. Wir sind diverser geworden, das ist eine grosse Chance. Da haben es die Katholiken viel schwieriger.
Ich hoffe allerdings, dass wir divers bleiben und nicht in eine andere Monokultur geraten, wie das zum Beispiel im Lehrberuf der Fall ist. Wir sind auch in den Berufsmodellen diverser geworden. Pfarrpersonen können Teilzeit arbeiten, das ist eine äusserst positive Entwicklung – schon Paulus war Zeltmacher und hat sozusagen «avant la lettre» Teilzeit gearbeitet. Bereichernd ist dabei, dass man dadurch einen anderen Hintergrund einbringen kann beispielsweise als Familienmann oder -frau, oder in einem anderen Setting.
Etwas entgegen dem Mainstream in der Pfarrschaft, hoffe ich, dass die Kultur des Pfarrhauses erhalten bleibt und Pfarrer*innen mit den Menschen ihrer Gemeinde das Leben teilen, das macht auch ihre Seelsorge und Verkündigung lebensnah. Es muss nicht das klassische Pfarrhaus sein, wichtig ist, dass wir als Menschen nahbar und im Alltag erlebbar sind.
Wie ist der Blick der EKS auf das Thema Bildung?
RF: Ich fände es wichtig, die Ausbildungen für Pfarrer*innen über den Röstigraben hinweg zu verbinden und voneinander zu lernen, auch indem Vikarinnen und Vikare sich treffen. Die Berner Ausbildung könnte eine Art Scharnierfunktion haben. Auch multiprofessionelle Elemente in den Ausbildungen scheinen mir wichtig – allein kann eine Berufsgruppe nur wenig bewirken. Ausserdem finde ich es gerade im elektronischen Zeitalter sinnvoll, wenn Mitgliedkirchen einander Bildungsformate zur Verfügung stellen, wie beispielsweise Glaubenskurse. Angesichts der zunehmenden Entkirchlichung werden inzwischen Leute erwachsen, die keinen Religionsunterricht mehr hatten und über Glauben oder Reformiert-Sein nichts wissen. Da gilt es, Formate zu entwickeln, um Menschen ins Gespräch über Glauben und Reformiert-Sein zu bringen. Mitgliedskirchen können das gemeinsam machen. Ich sähe auch die Möglichkeit, dass Theologische Fakultäten wieder vermehrt untereinander und mit der Kirche zusammenarbeiten und fragen, wie wir uns die Aufgaben so aufteilen können, damit wir als Theologie präsent bleiben – wenn auch nicht als Bern, Basel, Zürich.
Was machst du denn gern, wenn du nicht arbeitest?
RF: Das sind ganz normale Sachen wie Kochen oder Handarbeiten. Etwas, wo man am Schluss sieht, was man gemacht hat. Ich bin gerne in der Natur unterwegs, wandernd, radfahrend, schwimmend. Im Kreis meiner Familie und meiner Freundinnen und Freunde tausche ich mich gerne aus, geniesse die Gemeinschaft. Und ich träume davon, wieder reisen zu können.
Gibt es auch etwas, was du gern noch machen würdest?
RF: Mein Leben ist vielseitig und spannend – ich habe nicht das Gefühl, dass viel zu kurz kommt, ausser vielleicht das Nichtstun, die Langeweile. Und kommt etwas Interessantes, Neues, packe ich Gelegenheiten gerne beim Schopf.
Pfarrerin Rita Famos ist seit 1. Januar 2021 Präsidentin der EKS. Davor leitete sie sieben Jahre die Abteilung Spezialseelsorge der Reformierten Kirche Kanton Zürich. Weitere berufliche Stationen waren: Beauftragte für die Ausbildung bei A+W, Sprecherin «Wort zum Sonntag» beim SRF, Dekanin und Gemeindepfarrerin.
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