Von Dagmar Preissing
Digitalisierung verändert die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und die Art, wie wir arbeiten. Was bedeuten diese Veränderungen für weibliche Erwerbstätige? Die Flexibilisierung der Arbeit im Hinblick auf Zeit und Ort scheint gerade für Frauen Potenziale im Berufsleben zu eröffnen. Denn die Forderung nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für berufstätige Frauen nach wie vor ein zentrales Anliegen. Und hier scheinen die Möglichkeiten der Arbeit 4.0 in Form von Homeoffice und Plattformökonomie wie Crowdworking diese Wünsche zu verwirklichen. Ein grosses Risiko gehen Frauen aber dann ein, wenn sie sich ausschliesslich in diese flexibilisierten Arbeitsverhältnisse begeben – sie werden dann die Verliererinnen der Arbeit 4.0 sein. Denn der Rahmen des Arbeitsrechts wurde an diese neuen Arbeitsformen und -verhältnisse noch nicht mit entsprechenden arbeitsrechtlichen Schutzmassnahmen angepasst. Und das bedeutet ein hohes prekäres Potenzial. Zudem ist bekannt, dass der bereits bestehende Gender Pay Gap, der in der Schweiz 2018 gemäss Bundesamt für Statistik noch bei 11,5 Prozent lag, bei diesen Arbeitsverhältnissen für Frauen noch höher ist als in einem Normalarbeitsverhältnis. Sie haben ein bis zu 18 Prozent geringeres Einkommen als Männer. In der Studie »When Home Affects Pay« von Abi Adams-Prassl, Janine Berg wird bei Crowdworking der Gender Pay Gap mit einem prozentualen Lohnanteil von 82 Prozent des durchschnittlichen Verdienstes von männlichen Plattformarbeitenden benannt.
Auch die scheinbar flexible Zeiteinteilung ist nur ein Trugbild. Betrachtet man beispielsweise eine Plattform-Dienstleistung wie »Erstellen von Powerpoint-Präsentationen«, so ergibt sich ein ganz anderes Bild. Für diese Tätigkeit kommen freitagabends oder samstagmorgens die häufigsten Aufträge, die bis Montagmorgen erledigt sein müssen. Das heisst aber für die Auftragnehmerin, dass ein Wochenende mit der Familie so nicht möglich ist. Denn der Auftraggeber gibt die Arbeitszeiten vor. Die Fremdbestimmtheit der Arbeitszeit bleibt bestehen oder nimmt sogar noch zu.
Auch die Arbeit im Homeoffice birgt für Frauen vermehrte Risiken, obgleich diese Arbeitsform vor dem Hintergrund der Vereinbarkeit von Familie und Beruf so attraktiv erscheint. Zum einen trägt diese Arbeitsform erneut zur Festigung des Rollenstereotyps und der Rollenzuschreibung von »Frauen sind zu Hause« bei. Zum anderen stellt diese Arbeitsform ein Karrierehemmnis dar. Wer von zuhause arbeitet, ist im Unternehmen seltener präsent. Wer aber nicht präsent ist, ist auch nicht sichtbar und wird dann bei Karriereentscheidungen seltener berücksichtigt.
Andererseits hätten Frauen gute Chancen, Führungsfunktionen der Zukunft zu übernehmen. Denn die Digitalisierung stellt neue Anforderungen an Organisationen: Sie müssen agiler und fluider werden. In Folge werden Hierarchien ab- und dafür Netzwerkstrukturen aufgebaut. Mit diesen Veränderungen übernehmen Führungskräfte andere Aufgaben: Es geht stärker um die Steuerung von Netzwerkstrukturen und um interkulturell und interdisziplinär zusammengesetzte Teams – und damit vermehrt um Kommunikationskompetenzen. Frauen werden ja gerade im Bereich dieser sozialen Kompetenzen erhöhte Fähigkeiten zugesprochen. So hätten sie gute Chancen, sich in der Arbeit 4.0 als Führungskraft zu etablieren.
Ein Aspekt ist jedoch zentral, wenn sich Frauen in der digitalen Arbeitswelt und den neu entstehenden Branchen und Berufsbildern etablieren wollen, sie benötigen digitale Kompetenzen und sollten sich auch nicht vor MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, scheuen. Denn aktuell arbeiten zu viele Frauen in jenen Top-10-Berufen, die aufgrund der Digitalisierung als sehr gefährdet gelten wie der Gastronomie-Service, die Buchhaltung oder der Verkauf. Zwar arbeiten auch viele Frauen in jenen Berufen, die zu den Top-10-ungefährdeten Berufsbildern gehören wie Erzieherinnen, Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege, doch in fast allen künftigen Berufsbildern der Arbeit 4.0 werden digitale Kompetenzen zwingend erforderlich sein. Zu diesem Schluss gelangt auch der Wissenschaftler Markus M. Grabka in seiner Studie »Genderspezifische Verteilungseffekte der Digitalisierung«.
Eines ist sicher, je niedriger qualifiziert eine Tätigkeit ist, desto eher und schneller wird sie durch Maschinen ersetzt. Die Digitalisierung wird aber auch höher qualifizierte, auch akademische Arbeitsbereiche verändern. Insgesamt wird die Mensch-Maschine-Interaktion zunehmen, die Maschine wird Unterstützerin, Kollegin oder Kontrolleurin des Menschen.
Zusammenfassend gilt, dass die Arbeit 4.0 berufsspezifische Veränderungen bewirkt und »future skills« erfordert, die allen Berufsbildern gemeinsam ist: Digitale Kompetenz und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Die Bedeutung von Bildung und hoher Qualifizierung nimmt zu – unabhängig vom Geschlecht.
Prof. Dr. Dagmar Preissing hält eine Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Personalmanagement und Führung. 2019 erschien ihr Buch «Frauen in der Arbeitswelt 4.0 - Chancen und Risiken für die Erwerbstätigkeit» beim Verlag Walter De Gruyter GmbH, Oldenburg. [tocco-encoded-addr:MTAwLDk3LDEwMywxMDksOTcsMTE0LDQ2LDExMiwxMTQsMTAxLDEwNSwxMTUsMTE1LDEwNSwxMTAsMTAzLDY0LDExOSw0NiwxMDQsMTE1LDQ1LDEwMiwxMTcsMTA4LDEwMCw5Nyw0NiwxMDAsMTAx]