Von Matthias D. Wüthrich
Fühlst Du Dich aber und lässt dich dünken, du habest es gewiss, und kitzelst dich mit deinem eigenen Büchlein, Lehren oder Schreiben, als habest du es sehr köstlich gemacht und trefflich gepredigt, gefällt es dir auch sehr, dass man dich vor anderen lobt, willst auch vielleicht gelobt sein, sonst würdest du trauern oder nachlassen, – bist du von der Art, Lieber, so greif dir selber an deine Ohren. Und greifst du recht, so wirst du finden ein schönes Paar großer, langer, rauher Eselsohren. (Martin Luther, WA 50, 660, 31–37)
Martin Luther hat das Streben nach Ehre, Ruhm, Anerkennung und Geltung immer wieder mit scharfen Worten kritisiert. Luthers Kritik ist keine Randerscheinung im Christentum. Schon Paulus lehnt das Streben nach Ehre ab (vgl. 1. Thess 2,6) und hält die Demut hoch: «Tut nichts zum eigenen Vorteil, kümmert euch nicht um die Meinung der Leute. Haltet vielmehr in Demut einander in Ehren; einer achte den andern höher als sich selbst!» (Phil 2,3). Kein Wort bringt das von Luther anvisierte menschliche Streben prägnanter zum Ausdruck als das Wort «Ehrgeiz». Luthers Botschaft ist einfach: Ehrgeiz macht dich zum Esel!
Ungesunder Ehrgeiz macht krank, führt zu Verbissenheit und oft auch zu sozialer Rücksichtslosigkeit. Doch es gibt auch viele lobenswerte Eigenschaften des Ehrgeizes. Ist er doch ein unablässiger Treiber wissenschaftlicher Entdeckungen, grosser Kunstwerke, exzellenter Sportlichkeit, perfekter Musikalität. Auch viele humanitäre Institutionen wie «Amnesty International» wären ohne den Ehrgeiz, sich hartnäckig für die Rechte von Menschen einzusetzen, weder zustande gekommen noch erfolgreich. Und es fragt sich, ob nicht auch das Christentum faktisch ein positiveres Verhältnis zu bestimmten Formen von Ehrgeiz hat, als eingangs angedeutet. War nicht gerade Paulus selbst ein Eiferer, der meinte: «Ich richte meinen Lauf auf das Ziel aus, um den Siegespreis zu erringen, der unserer himmlischen Berufung durch Gott in Christus Jesus verheissen ist.» (Phil 3,14) Setzen nicht die asketischen Formen des Christentums, etwa das Mönchtum, so etwas wie «Ehrgeiz» voraus? Ist eine intensive Glaubenspraxis nicht mit dem hohen Anspruch der «Nachfolge Christi» oder «Heiligung» verbunden? Ist der Ehrgeiz einer Pfarrerin, gute Predigten zu halten, nicht ebenso berechtigt wie der Ehrgeiz eines Diakons, die Jugendgewalt in einer Gemeinde zu senken? Und hat nicht auch Luther in kürzester Zeit auf der Wartburg das Neue Testament auf Deutsch übersetzt und eine enorme Schaffenskraft an den Tag gelegt? Gibt es also nicht auch im Christentum so etwas wie einen legitimen «religiösen Ehrgeiz»? – Auch das Christentum weiss, dass Mittelmässigkeit langweilig ist. Was also soll am Ehrgeiz verwerflich sein?
Die Suche nach einer Antwort führt ins Zentrum des Rechtfertigungsgedankens, der nicht nur für Paulus, sondern eben auch für Luther entscheidend wichtig ist. Es geht dabei um die Annahme, dass der Mensch allein um der Gnade Christi willen gerecht wird, nicht durch seine Werke, sondern allein, indem er sich glaubend an diese Gnade hält. Um es etwas platt zu übersetzen: Gott liebt und anerkennt uns, wie wir sind – und zwar bedingungslos. Wir müssen von uns her keine (moralischen und religiösen) Vorleistungen erbringen, wir dürfen einfach darauf vertrauen. Man könnte es auch so ausdrücken: Im Rechtfertigungsgeschehen schenkt Gott dem Menschen erneut seine gottebenbildliche Ehre, mit der er ihn gekrönt hat (Ps 8,6).
Gott ehrt den Menschen, auch wenn dieser an sich selbst nichts Ehrwürdiges, Sinnvolles und Lebenswertes mehr finden kann. Genau das ist der entscheidend kritische Punkt für die Bewertung des menschlichen Ehrgeizes: Vielleicht steht auch bei ihm ein Ur-Defizit an Anerkennung und eine letzte Verzweiflung am Sinn des Lebens im Hintergrund. Doch der Ehrgeiz hat weder die Musse noch das Vertrauen, die tief ersehnte Ehre geschenkt zu bekommen. Er will sie sich mittels Leistungssteigerung selber erschaffen, er will sich die soziale Wertschätzung selber holen. Und wenn er sie hat, will er noch mehr, viel mehr. Denn letztlich wird auch die im zwischenmenschlichen Wettlauf um Sozialprestige erworbene äussere Ehre dem Menschen nicht zusprechen können, was er sich selbst nicht sagen kann: Dass er nicht mehr aus sich zu machen braucht, als er ist; dass er so, wie er ist, recht ist, gewollt ist, sein Leben Sinn macht und zutiefst ehrwürdig ist.
Vor dem Hintergrund meiner freihändigen Interpretation des Rechtfertigungsgedankens dürfte klar geworden sein, warum das Christentum und erst recht der Protestantismus den Ehrgeiz sehr kritisch bewertet hat. Bedeutet das nun, dass dem Ehrgeiz auch die oben erwähnten positiven Seiten letztlich abgesprochen werden müssen? Nicht zwingend. Entscheidend dürfte jedoch sein, der zwischenmenschlichen, äusseren Ehre nicht das letzte Urteil über uns zuzugestehen. Denn das letzte Urteil spricht Gott, in dem er uns mit seiner Ehre krönt. Im Vertrauen auf dieses Urteil mag sehr wohl nach äusserer Ehre gestrebt werden. Doch mit der äusseren Ehre zu «geizen» ist dann nicht mehr nötig, denn die göttlich geschenkte Ehre ist so reich, dass auch die Mitmenschen geehrt werden können. – Nur fällt uns die Unterscheidung zwischen der göttlich geschenkten und äusseren (verinnerlichten) Ehre nicht immer leicht. Vielleicht ist es da doch gut, sich hin und wieder an die Ohren zu greifen…
Prof. Dr. Matthias D. Wüthrich ist seit 2016 Assistenzprofessor für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Zudem ist er Prodekan Forschung. Zu seinen eigenen Forschungsschwerpunkten gehören: Reformierte Theologie in ökumenischer und interreligiöser Perspektive, Religion and Science, theologische Raumtheorie, Karl-Barth-Forschung sowie das Theodizeeproblem
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