Von Esther Derendinger
Einen Schritt zurücktreten, zuhören, Talente erkennen, Menschen motivieren, sie partizipieren lassen; das ist das Erfolgsrezept von Andreas Nufer. Er ist Pfarrer an der Berner Heiliggeistkirche und Projektleiter der offenen kirche bern. Seine Aktionen, die oft mit einer kleinen Idee beginnen, enden zuweilen in Mega-Events, wie das «Food Save-Bankett», wo über 2000 Essen geschöpft werden. Gross geworden ist auch die Flüchtlingstage-Aktion «Beim Namen nennen», bei welcher 40‘555 Stoffbänder mit Namen der Opfer, die seit 1993 auf der Flucht nach Europa gestorben sind, bedruckt wurden und die im Juni an der Fassade der Heiliggeistkirche im Wind wehten. «Damit solche Projekte und Aktionen gelingen, sind viele Fähigkeiten notwendig», erklärt Nufer. «Ich sehe meine Aufgabe auch darin, die Talente der Menschen richtig einzusetzen und für sie Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie sich voll einbringen können.» Sein Ziel ist es nicht nur, dass ein Projekt erfolgreich umgesetzt wird, sondern genauso wichtig ist es ihm, dass es den Mitwirkenden wohl ist, denn so können sie «das Beste» aus sich herausholen.
Selbstoptimierung betrachtet Nufer kritisch, besonders dann, wenn das «Besser-werden-wollen» verbissen verfolgt und zu einem Wahn wird. Er selbst liebt Herausforderungen, will Neues ausprobieren, hat den Anspruch, dass Dinge glücken. «Sich verbessern wollen soll Spass machen und sich leicht anfühlen, sonst bringt es Unheil», ist er überzeugt. Ziele haben in Nufers Arbeit trotzdem einen hohen Stellenwert. Gerade bei Projekten mit unterschiedlichen Partnern braucht es unbedingt Ziele, ist er überzeugt. Diese müssen von allen gemeinsam erarbeitet werden und smart sein. Das braucht zwar Zeit, räumt er ein, aber es seien schlussendlich die Ziele, welche die Richtung angeben würden und über den Erfolg eines Projekts entscheiden sowie Missverständnisse vorbeugen.
Der Berner Pfarrer nimmt sich auch persönlich einiges vor, will sich verbessern: im Zuhören, im Beobachten und im Begleiten von Menschen beispielsweise. «Diese Ziele sind halt nicht wirklich messbar, aber sie sind in meinem Bewusstsein und ich kann immer wieder darauf achten bei meiner Arbeit», erklärt er. Und ja, da gebe es auch noch die Jahresziele aus den Personalgesprächen, die würden sich aber ab und an etwas gekünstelt anfühlen.
Die Kirche selbst muss nicht immer besser werden, ist Nufer überzeugt. Viel wichtiger sei es, die Ziele im Auge zu behalten: das Evangelium zeitgemäss vermitteln, viele Menschen partizipieren lassen, wenn sie das möchten, und dafür sorgen, dass die Kirche relevante Themen aufgreift. Sie kann also einiges zu einem gelingenden Leben beitragen, ohne perfekt zu sein. Misserfolge gehören jedoch auch bei der Kirche dazu. «Es kann vorkommen, dass wir Themen wählen, sich aber niemand dafür engagieren will. Schwierig ist es auch, wenn es Neider gibt in Projektgruppen oder Personen zu sehr dominieren», erklärt Andreas Nufer. Fehleinschätzungen und Missverständnisse hemmen den Erfolg ebenfalls. Aber Fehler machen gehört dazu und es entspannt die Teilnehmenden in Projektgruppen, wenn sie sehen, dass auch andere nicht perfekt sind. Seine Aufgabe bei der Arbeit mit Menschen, sieht er im Empowerment, also darin für Menschen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie sich einbringen und entfalten können. «Gewinnen und verlieren soll man sportlich nehmen, beides gehört zum Leben», sagt er. Auch Wettbewerb tue der Kirche gut, findet er. Sich messen mit anderen mache Spass und es brauche etwas Mut, sich der Herausforderung zu stellen. Mit Sportsgeist und Humor komme das aber gut.
In der Kirche und in der Projektarbeit von Andreas Nufer steht die Gemeinschaft im Vordergrund. Um Ziele und Geld geht es trotzdem immer wieder. «Natürlich soll, ja muss auch die Kirche korrekt budgetieren, wirtschaftlich handeln und Ressourcen sinnvoll einsetzen, das ist aber mehr Methode als Ziel», erklärt Nufer. Damit er seine Beteiligungsprojekte finanzieren kann, schreckt er auch vor grossen Fundraising-Aktionen nicht zurück. Ziele verfolgt er hartnäckig und kreativ. Ein breites Netzwerk in Wirtschaft, Politik und weiteren Organisationen erleichtert ihm diese Arbeit.
Bei der offenen kirche bern werden alle Projekte ausgewertet. Was war gut, was hätte besser laufen sollen? Die Learnings fliessen in künftige Aktionen ein. Anderen gegenüber zeigt sich Andras Nufer tolerant. Es ist ihm wichtiger, dass sich die Menschen beteiligen und es ihnen wohl ist in der Gemeinschaft. Auch Unperfektes kann positiv enden, wie beispielsweise kürzlich eine schlecht vorbereitete Kunst-Vernissage. «Die Künstlerinnen und Künstler stellten ihre Werke selbst vor», berichtet Nufer. «Alles war spontan, improvisiert und chaotisch, jedoch authentisch und schlussendlich sehr befreiend für alle Beteiligten – vor allem für die Kunstschaffenden aus anderen Kulturkreisen.» Damit aber Freiwillige motiviert sind «ihr Bestes» zu geben, achtet die offene kirche bern darauf, dass sie ihre Talente einsetzen können, und ermuntert sie, das zu tun, was sie gerne machen, und zwar auf ihre eigene Art. Sie will die Menschen nicht ändern, sie sollen sein dürfen, wie sie sind, gibt den Mitwirkenden Feedback und die Gewissheit, dass sie Fehler machen dürfen. Auch Randständige, schräge Vögel und Süchtige sind zur Mitarbeit eingeladen. «Bei uns geht es mehr um ein gutes Arbeitsklima, Sinnhaftigkeit, Aufmerksamkeit und gute Kommunikation als um eine perfekte Performance», sagt Andreas Nufer. Es ist ein natürlicher Ansporn, sich zu verbessern. Menschen freuen sich darüber, wenn ihnen Dinge gelingen, gerade auch dann, wenn es Herausforderungen zu meistern gab. Er ergänzt: «Klappt es nicht wie geplant, ist das ja auch nicht schlimm.»
Andreas Nufer (56) ist Pfarrer an der Heiliggeistkirche in Bern und Projektleiter der offenen kirche bern. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
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