Thomas Schaufelberger: Was ist Energie in Organisationen?
Heike Bruch: Energie beschreibt das Engagement in einer Organisation, also wie stark und wofür sich Menschen einsetzen. In unserer Forschung untersuchen wir, wie stark die vorhandenen Potenziale genutzt werden. Wir messen das, indem wir hohes oder reduziertes Engagement unterscheiden und ob das Engagement auf die Ziele der Organisation fokussiert ist oder nicht. Bei solchen Messungen sehen wir, ob eine kreative Energie herrscht, die Neues hervorbringen kann, oder ob Widerstände gegen Veränderungen, Gärtchendenken und Eigennutz vorherrschen.
Hat diese Energie auch etwas mit persönlicher Leidenschaft und Feuer zu tun?
Auf jeden Fall. Wenn wir die Energie eines Unternehmens untersuchen, dann sehen wir immer die drei Dimensionen Kopf, Herz und Hand. Wir schauen, ob die Organisation geistig wache und kreative Menschen motivieren kann, wie stark das Engagement ist, wie emotional Mitarbeitende an Bord sind und schliesslich auch, ob die Menschen bereit sind, mit anzupacken.
Im Gründungsakt der Organisation Kirche waren Feuerflammen präsent. Der Heilige Geist ist die Energie der Kirche. Sehen Sie Parallelen zu Ihren Erkenntnissen?
Es ist schwierig, direkte Analogien zu machen. Aber ich erlebe zum Beispiel am Kirchentag in Deutschland eine unglaubliche Dynamik und Energie. Oder ich denke an Luther und die Reformation: Was da eine einzelne Person und dann seine Mitstreiter eingebracht haben an Neuausrichtung, beinhaltet wahnsinnig viel Energie. Das geht ja nur, wenn jemand sich auch emotional voll hinter eine Sache stellt.
In Ihrer Forschung haben Sie festgestellt, dass Organisationen überhitzen können. Ihnen kommt dann das Feuer abhanden und sie geraten in ein organisationelles Burn-out haben. Was passiert da genau?
Burn-out ist ein starkes Wort. Es gibt Organisationen, die überhitzen. Das ist eine Beschleunigungsfalle. Häufig geht es nicht um zu viel Arbeit, sondern um unrealistisch hoch gesetzte Ziele. Gleichzeitig sind wenig Zuversicht und kaum Erfolgserlebnisse vorhanden. Das erzeugt Frustration und Demotivation. Die Wertschätzung und das Bewusstsein, dass die Tätigkeit einen Sinn macht, geht verloren.
Die Reformierte Kirche in der Schweiz steht vor grossen Herausforderungen, unter anderem ausgelöst durch den anhaltenden Mitgliederschwund. Was würden Sie einer Organisation in dieser Situation raten, um ihr Feuer nicht zu verlieren?
Generell muss die Kirche aufpassen, dass sie nicht ermüdet. Wenn sie sich zum Beispiel das Ziel setzt, wieder zu wachsen, dies aber unrealistisch ist, führt das in die Beschleunigungsfalle. Das ermüdet. Folglich macht man nur noch Dinge, die man immer schon gemacht hat, ohne nach dem Sinn dahinter zu fragen.
Die Kirche und ihre Inhalte sind hoch relevant. Die Energie wird vermehrt, wenn man diesen Sinn ins Bewusstsein rufen kann. Es gibt zwei Wege, dies anzupacken: entweder kann ein starkes – aber nicht unerreichbares – Zukunftsbild entwickelt werden. Wir sagen diesem Typus: «Win the princess!». Oder die Energie speist sich aus einem motivierten Kampf gegen eine Entwicklung. Diesen Typus nennen wir: «Slain the dragon!». Beide Varianten speisen sich durch ein klares Bild und den Glauben daran, das Ziel zu erreichen.
Was gibt es für Präventionsstrategien, damit Organisationen nicht in die Ermüdungsfalle geraten?
Man sollte Zukunftsbilder haben und – ganz wichtig – langfristige Visionen in erreichbare Ziele etappieren. So kann man das Feuer am Lodern halten. Man setzt Meilensteine, feiert die erzielten Erfolge und versucht sich immer wieder auf das Ziel zu fokussieren, und wo nötig trennt man sich von Ballast. So kann das gemeinsame Ziel Wirkung entfalten für alle, die daran arbeiten.
Können Pfarrerinnen und Pfarrer, die keine direkte Führungsfunktion in Kirchgemeinden haben, jedoch eine zentrale Leadership-Rolle wahrnehmen, dazu beitragen, dass Kirchgemeinden Energie behalten oder neu gewinnen?
Pfarrerinnen und Pfarrer haben eine wichtige Rolle, innerhalb der
Organisation und gegenüber den Gemeindegliedern. Sie sind gefordert, die Identität zu bilden: Gerade bei ehrenamtlichen Engagements ist es entscheidend, ob sich die Beteiligten identifizieren und mit Herzblut dabei sein können. Pfarrpersonen sollten dies verdeutlichen und den Sinn des Engagements aufzeigen. Freiwillige müssen ihre einzelnen Tätigkeiten in einen grösseren Kontext einordnen können und merken, dass ihre Tätigkeit über ihre individuelle Dimension hinaus Sinn stiftet. Dann ist selbst die einfachste Aufgabe wertgeschätzt.
Welche Führungsart eignet sich für Pfarrpersonen besonders, damit sie dieses Ziel erreichen?
Wir sprechen von zwei Führungsphilosophien. Die eine ist die transaktionale Führung, welche über Hierarchie und Anreize steuert. Wir glauben, dass diese Führungsart kaum Energie in Organisationen zu erzeugen vermag. Dann gibt es die transformationale Führung, eine zielorientierte und inspirierende Führung. Sie ist entscheidend für die Energie und sie passt zur Rolle von Pfarrerinnen und Pfarrer. Mitarbeitende werden über den Sinn motiviert. Die Gemeinschaft steht im Zentrum. Man fragt plötzlich: Womit trägst du bei zum Erfolg aller? Ich zeige an Seminaren manchmal ein Bild: Darauf sieht man einen Mann, der einen Stein hämmert. Er wird gefragt, was er da mache. Seine Antwort: Ich baue eine Kathedrale. Die Pfarrschaft kann dazu beitragen, dass Mitarbeitende und Freiwillige wissen, wozu sie mit ihrer Arbeit beitragen, ja mit ihrem Tun an einer gemeinsamen Kathedrale bauen. Das ist eine Zukunftsvision, die Energie gibt.
Von Thomas Schaufelberger,
Leiter A+W
Heike Bruch ist Profes-
sorin für Betriebswirschaftslehre mit
Fokus Leadership am Institut für Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen. Weitere Schwerpunkte sind Energie und Engagement, gesunde Hochleistung sowie neue Führungs- und Arbeitsformen.
www.energyfactory.com
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