Von Stephan Hagenow
Nein, früher als die Dienstwohnungspflicht für Pfarrerinnen und Pfarrer noch fester Bestandteil des Amts war, war nicht alles besser. Aber manchmal frage ich mich schon, warum das private Wohnen für viele einen so hohen Stellenwert bekommen hat. Täuscht der Eindruck, dass viele Pfarrpersonen viel mobiler sind als früher – aber nicht innerhalb ihrer Gemeinde, sondern um an ihren Arbeitsort in einer Gemeinde zu kommen? In der Landeskirche Bern-Jura-Solothurn haben wir bereits mehrere Gemeinden, die auch nach zweimaliger Ausschreibung ihre 100%-
Stellen nicht besetzen konnten. Ein Haupthindernis war die Dienstwohnungspflicht. Einige Kandidatinnen und Kandidaten haben angeboten, die Stelle zu übernehmen, wenn sie an ihrem aktuellen Ort wohnen bleiben könnten. Dafür hätten sie gar Anfahrtswege von über zwei Stunden in Kauf genommen.
Über die Vorzüge und Nachteile des Wohnens im Pfarrhaus wurde viel geschrieben. Ich habe selbst 15 Jahre im Pfarrhaus gelebt und werde demnächst wieder in einem wohnen. Noch immer ist das Pfarrhaus auch vom räumlichen Ensemble mit der Kirche an vielen Orten ein prägender Bestandteil der Volkskirche, die sichtbare Präsenz für die Anteilnahme der Kirche am gesellschaftlichen Leben. Auch ist es noch immer ein sichtbarer Ort gelebten Christseins, ein Ort der Hilfe und Zuwendung. Ich kenne die Nachteile, die stärkere Sozialkontrolle und die eminent wichtige Frage nach dem Zustand des Pfarrgartens, die bei einigen Gemeindegliedern manchmal wichtiger zu sein scheint als die theologische Kompetenz ihres Pfarrers.
Mich beschäftigen die sich wandelnden Pfarrbilder in Bezug auf die Mobilität aus der Sicht der Personalentwicklung. Täuscht mich der Eindruck, dass parallel zu diesem Prozess die mobilen Metaphern, die das Neue Testament für Gemeinden bietet, fast gänzlich in den Hintergrund getreten sind? Wir reden ganz viel vom Leib Christi (1Kor 12, Kol 2,19, Eph 1,22ff; 4,15ff), häufig von der Ekklesia, der Versammlung, (Mt 16,18; 18,17), schon weniger von der Gemeinde als dem Haus (1Tim 3,15) oder dem Fundament (1Kor 3), aber sehr selten von der Gemeinde als dem «wandernden Gottesvolk» (Hebr 3,7–4,11; 1Kor 10). Die Mobilität der Geistlichen war und ist immer noch stark eingeschränkt auf den Umkreis der Gemeinde, vielleicht noch die Besuche im Spital oder im Heim. Verbunden mit dem Wunsch nach schneller Erreichbarkeit oder Auflagen des Arbeitgebers waren kurzfristige Reisen kaum möglich ohne Absprache mit einer Kollegin, die das Telefon hütet. Die theologischen Metaphern von Kirche begünstigten oder begründeten sogar diese Einschränkung der Mobilität. Vom Leib kann man sich nur schwer absentieren, und in der Versammlung will man auch nicht fehlen. Mit der in vielen Landeskirchen gültigen Regelung, dass nur noch eine Pfarrperson pro Gemeinde Dienstwohnungspflicht hat, hat sich auch etwas geändert an den Erwartungen bezüglich der Mobilität der Pfarrpersonen.
Warum sind uns die statischen, häuslichen und leiblichen Bilder von Gemeinde so viel näher als die dynamischen, wie die Metapher vom wandernden Gottesvolk? Mobilität ist anstrengend, auch die frühe Jesusbewegung bestand aus beiden Polen, den Gemeinschaften vor Ort und den sogenannten Wanderradikalen, die für die Verkündigung des Evangeliums umherzogen. Die meisten Ideale von Besitz-, Heimat- und Schutzlosigkeit wie in der Aussendungsrede (Mt10,16ff) beziehen sich auf die Wandermissionare, verbunden mit der Aufforderung an die Gemeinden, diese aufzunehmen und zu versorgen. Diese Tradition ist im Mönchtum oder in den Orden fortgeführt worden. In unserer reformierten Kirche sind wir häuslich geworden, immobil und nicht wenige Pfarrpersonen bleiben jahrzehntelang in einer Gemeinde oder bauen sich ihr eigenes Haus an ihrem Arbeitsort oder in der Nähe und sind deshalb auch weniger wechselwillig. Als Vater von drei Kindern weiss ich, welche Schwierigkeiten mit Stellenwechseln verbunden sind und ich respektiere auch die vielfältigen Lebensformen, die heute Gott sei Dank in unser Kirche selbstverständlich geworden sind. Als Verantwortlicher für die Personalentwicklung wünschte ich mir jedoch mehr mobile, flexiblere Kolleginnen und Kollegen, die sich spätestens nach 12–15 Jahren in ihrem Berufsleben wieder neuen Herausforderungen stellen.
Bringen die neuen Formen, die fresh expressions, mehr geistige Mobilität, Kirche auch ausserhalb der Parochie zu denken? Manchmal kommt mir allerdings der Ruf nach Pionieren, nach Entrepreneurinnen in der Pfarrschaft so vor, als ob wir damit eine träge gewordene Kirche retten wollen; Pionierpfarrerinnen und -pfarrer als moderne Wanderradikale, die neue Gemeinden gründen sollen. Aber lehrt uns das Neue Testament nicht, dass es eben beides braucht? Es braucht funktionierende Parochien, die Menschen vor Ort begleiten, Freud und Leid miteinander teilen und die dann aus ihrer Mitte heraus, Pioniere aussenden und segnen, sie beherbergen und dann weiterschicken. Und es braucht pfiffige, charismatische Menschen, die neue Wege gehen, die keine Angst haben, sich manchmal frustriert den Staub der Strasse abzuklopfen und sich immer wieder auf das Abenteuer Gottvertrauen einlassen.
Die Frage nach der Mobilität der Pfarrschaft ist kein Entweder-oder, wir brauchen ortsgebundene und mobile Pfarr- und Gemeindebilder, die sich ergänzen, stützen und inspirieren. Die neutestamentliche Metapher vom wandernden Gottesbild ruft uns auf, nach neuen nicht-parochialen Gemeindeformen zu suchen, ohne die bestehenden Formen abzuwerten. Nicht zuletzt erinnert uns diese Metapher an die Vorläufigkeit aller Formen im Angesicht des anbrechenden Gottesreiches.
Pfarrer Dr. theol. Stephan Hagenow ist Leiter Fachstelle Personalentwicklung Pfarrschaft bei den Kirchen Bern-Jura-
Solothurn. Er studierte in Berlin, Heidelberg und den USA und bildete sich weiter in Personal- und Orgainsationsentwicklung. Während 15 Jahren war er Pfarrer mit Dienstwohnungspflicht in der Kirchgemeinde Solothurn. [tocco-encoded-addr:MTE1LDExNiwxMDEsMTEyLDEwNCw5NywxMTAsNDYsMTA0LDk3LDEwMywxMDEsMTEwLDExMSwxMTksNjQsMTE0LDEwMSwxMDIsOTgsMTAxLDEwNiwxMTcsMTE1LDExMSw0Niw5OSwxMDQ=]
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