Von Jeannette Behringer
Die Befriedigung von «Bedürfnissen» ist das zentrale Ziel des Wirtschaftens. Dabei sind diese für die Wirtschaft im Normalfall jedoch nur insoweit interessant, als aus ihnen eine Nachfrage generiert wird. Bedürfnisse müssen also am Markt realisiert werden können – normalerweise durch den Tausch einer Währung mit einem bestehenden knappen Angebot an Gütern oder Dienstleistungen.
Die Erfolgsgeschichte dieses Modells kennen wir alle. Denn aufgrund des erreichten Wohlstands haben wir in der Schweiz nicht nur die Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Hunger und Durst im Blick. Auch das Bedürfnis nach Sicherheit, Zugehörigkeit und Geselligkeit, Geltung und Achtung sowie Selbstverwirklichung ist Thema öffentlicher und privater Diskussionen. Den meisten von uns geht es so gut, dass wir es uns leisten können, all die verschiedenen Bedürfnisse zur Geltung kommen zu lassen, die vom US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow 1943 in seiner «Bedürfnishierarchie» entwickelt wurden. Entwickelte Wirtschaftsgesellschaften haben sich diese Theorie zunutze gemacht, indem sie die Befriedigung möglichst vieler Bedürfnisse mittels Angeboten anstreben, um so stets ansteigendes Wachstum zu gewährleisten.
Dass dieses Verständnis von «gutem Wirtschaften» schon lange an ökologische und soziale Grenzen stösst, ist bekannt – und wird selbst angesichts massiver Anzeichen einer weltweiten Klimaveränderung verdrängt. So ist der diesjährige «Earth Overshoot Day», an dem die weltweite Bevölkerung die Ressourcen aufgebraucht hat, die in einem Jahr nachwachsen können, am 1. August. Für die Schweiz liegt dieser Tag im Jahr 2018 beim 7. Mai – wir kommen also etwas mehr als vier Monate mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen aus.
Mit der Entwicklung des normativen Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung, wurde die globale Entwicklung unabdingbar an soziale und ökologische Bedingungen geknüpft: «Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.» Dieses populäre Leitbild heizt bis heute eine Diskussion über das Verständnis von Bedürfnissen an, um das Ziel der Bewahrung der Lebensgrundlagen für alle zu erreichen. Für Wohlstandsgesellschaften wie die Schweiz bedeutet dies, ihre wirtschaftsliberale Konzeption der uneingeschränkten individuellen Freiheit in Produktion und Konsum zu hinterfragen.
Und hier kommt als Hoffnungsträgerin das Konzept der Sharing Economy ins Spiel. Es enthält zwei Kernelemente: Erstens werden private Ressourcen (Güter oder Dienstleistungen) mit anderen geteilt, damit weniger Ressourcen für die Produktion verwendet werden. Zweitens werden virtuelle Plattformen für eine Sharing Economy vorausgesetzt, um einen Austausch in grösserem Umfang organisieren zu können. In dieser «integrierten» Betrachtung
ist Sharing Economy wohl etwas Neues. Betrachtet man die Elemen-
te getrennt – eher nicht. Denn das Teilen privater Güter ist kein neuer Gedanke, wenn wir zum Beispiel an Fahrgemeinschaften denken.
Die Möglichkeiten des Teilens wachsen allerdings exponentiell durch
die Digitalisierung.
Eine wichtige Voraussetzung, um die Idee zu verbreiten, ist, dass sich die Rolle von Eigentum zumindest bei den jüngeren Generationen verändert. Besitz wird angesichts der flexiblen, aber auch unsicheren Anforderungen in der Arbeitswelt nicht mehr als erstrebenswert empfunden. Sozialer Status zeigt sich im Vergleich zu früheren Generationen weniger durch (statisches) Eigentum, sondern eher durch einen (flexiblen) Zugang zur Nutzung der Güter und Dienstleistungen. Unterstützt wird diese «neue» Entwicklung durch das Bewerben der ständigen Abwechslung, so dass anschaffen und nutzen von immer wieder Neuem als Statussymbol gilt. Aus dieser Sicht könnte man Sharing Economy als logische Fortsetzung bisherigen Wirtschaftens deuten.
Aus der Perspektive der nachhaltigen Entwicklung kann eine Sharing Economy zwar dazu beitragen, dass weniger Ressourcen für Güter und Dienstleistungen verbraucht werden. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die freigesetzte Kaufkraft, die durch den kostenfreien oder kostengünstigen Gebrauch der Bohrmaschine der Nachbarin, nicht in den Kauf neuer, nicht notwendiger Dinge mündet. Viele digitale Plattformen, wie die Wohnvermittlungsplattform Airbnb, laden zwar durch die Vermietung von Unterkünften zur schonenden Nutzung von Ressourcen ein, regen aber möglicherweise auch zu ressourcenbelastenden Reisetätigkeiten an. Ein Anreiz für Sharing-Economy-Aktivitäten ist jedoch auch das Bedürfnis nach Geselligkeit und Zugehörigkeit, wie es Maslow in seiner Bedürfnishierarchie identifiziert hat. Und dies kann – theoretisch gesprochen – auch dazu beitragen, zeitliche Ressourcen in Geselligkeit zu «investieren» anstatt in den weiteren Konsum von Gütern.
Die Grundidee einer Sharing Economy kann dennoch zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Nämlich dann, wenn sie die Nutzung gemeinsamer Güter und Dienstleistungen an weitere normative Zielsetzungen bindet, die neben individueller Bedürfnisbefriedigung auch die gesellschaftliche Wohlfahrt berücksichtigen. Dies können ökologische oder soziale Zielsetzungen sein, wie sie beispielsweise die Genossenschaft basimilch hat, die nach den Prinzipien der solidarischen Landwirtschaft arbeitet. Eine so umgesetzte Sharing Economy ist jedoch ein Nischenmodell und würde ein gesamtgesellschaftliches Umdenken voraussetzen. Auch im Bereich des fairen Handels, an dessen Entwicklung sich Kirchen stark engagierten, ist die aktive Beteiligung an Sharing-Economy-Modellen noch wenig bekannt, birgt aber auch für die Kirche Entwicklungspotential.
Dr. Jeannette Behringer, Politologin und Ethikerin, verantwortet seit 2012 – zunächst in Kooperation mit Stefan Grotefeld – den Fachbereich Gesellschaft & Ethik der Evang.-ref. Landeskirche des Kantons Zürich. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind politische Ethik, Wirtschaftsethik, nachhaltige Entwicklung, Europa sowie Demokratie und Zivilgesellschaft.
[tocco-encoded-addr:MTA2LDEwMSw5NywxMTAsMTEwLDEwMSwxMTYsMTE2LDEwMSw0Niw5OCwxMDEsMTA0LDExNCwxMDUsMTEwLDEwMywxMDEsMTE0LDY0LDEyMiwxMDQsNDYsMTE0LDEwMSwxMDIsNDYsOTksMTA0]