Ein Risiko einzugehen bedingt Mut und Mut setzt eine Portion Naivität voraus; Naivität im positiven Sinn der Unerfahrenheit. Positiv, weil meiner Meinung nach den Erfahrungen etwas Ausgelatschtes, Müdes innewohnt. Wobei ausgelatscht die falsche Bezeichnung ist; Erfahrungen latscht man ja nicht, man er-fährt sie.
Erfahrungen werden also fahrenderweise gemacht. Da schwingt etwas Abenteuerliches mit. Ich stelle mir vor, wie damals die Seefahrer die Meere erfuhren, oder wie mit Kutschen und Pferden die Landschaften erfahren wurden – ohne GPS und Meteo-Apps; die Gefahren lauerten am Himmel, im Meeresuntergrund und in den Wäldern, ein wahres Risiko. Da hat man wohl mehr gesehen und erlebt, als wenn man mit 150 PS durch die Gegend rast. Bedarf das Wort Erfahrung nicht eines Updates: Das ist ein Mensch mit sehr vielen Errasungen?
Oder Erflügen?
Wie dem auch sei, die Sprache leitet mich zur Fahrt an – man kann nicht stehenderweise eine Erfahrung machen. Eine Erfahrung erstehen, das wäre ja eine käuflich erworbene Fake-
Erfahrung, eine Trittbretterfahrung. Und erliegend eine Erfahrung machen? Es wäre wohl
die letzte...
Eine Erfahrung machen ist also der Moment des Unterwegs-Seins, die Reise, die Fahrt. Wer Halt macht, bleibt stehen. Und stehenbleiben will niemand. Aber wir können doch nicht pausenlos unterwegs sein. Wir müssen doch mal
stehenbleiben, um uns umzusehen, um die
Eindrücke auf uns einwirken zu lassen und durchzuatmen. Ohne dabei in Panik zu verfallen, dass wir überholt werden. Es braucht also auch Mut zur Rast.
Wir müssen uns ja nicht grad den Bären vor die Füsse werfen. Aber warum nicht mal spontan und ohne Plan drauflosfahren, ohne GPS, ohne Big Data, ohne Kalkül und hundertfacher Absicherung, sondern mit Instinkt und Sinnen? Das belebt. Mir scheint, mit zunehmender Vermessung des Lebens erfordert es Mut, seinen eigenen Augen zu trauen, auf seine innere Stimme zu hören, Mensch zu sein.
Daniela Dill, ist 1982 in Liestal geboren und lebt in Basel. Sie studierte Deutsch und Französische Literatur- und Sprachwissenschaften an der Universität Basel.
www.danieldill.ch