Von Thomas Schaufelberger
Thomas Schaufelberger: Sie haben an einer Tagung Merkmale einer Kirche in Zeiten grosser gesellschaftlicher Unsicherheit beschrieben. Kommen unbequeme Zeiten auf die Kirche zu?
Arnd Bünker: Ich glaube: Ja. Der Begriff bequem stammt von einem mittelhochdeutschen Wort für beikommen, ankommen. Das passt zur Formulierung: «Jemand bequemt sich, etwas zu tun.» Bequemen ist im Wortsinn also eine aktive Tätigkeit und eine Bewegung. Diese Begriffsdefinition ist wichtig, denn damit kommen Fragen auf die Kirche zu: Wer bequemt sich eigentlich zu was oder gegenüber wem? Zu welcher Situation oder welchen Menschen muss man sich als Kirche bequemen? Welche Menschen können von der Kirche erwarten, dass diese sich auf sie und ihre Situation einlässt, sich ihrer Situation anpasst? Wie wird es für die anderen bequem? So gesehen ist das Bequemen für die Kirche etwas sehr Aktives und Herausforderndes.
Welche Menschen können erwarten, dass die Kirche sich zu ihnen bequemt?
AB Immer die, die am meisten vom Heil ausgeschlossen sind und am meisten Unheil erleiden: Menschen, die unter die Räder kommen und mit dem Druck in einer kapitalistischen Kultur nicht zurechtkommen. Diese Menschen brauchen eine Kirche, die sich zu ihnen hin bequemt. Das zielt nicht darauf ab, dass ihre Situation so bleibt, wie sie ist. Aber die Kirche muss ganz nahe bei den Menschen und an ihren Situationen dran sein, um zu entdecken, was das Evangelium bedeutet.
Die Kirche entdeckt erst im Gehen zu Menschen, was das Evangelium bedeutet?
AB Ja! Denn wir können das Evangelium zwar bezeugen, aber wir bringen es nicht mit!
Das ist unbequem für die Kirche…
AB Ja. Die Entdecker und Entdeckerinnen des Evangeliums gab es in der Kirchengeschichte schon immer. Aber diese Suchenden, also die, die sich darauf einlassen, das Evangelium erst noch zu entdecken, waren wohl nie in der Mehrheit. Denn das ist eine hoch riskante Geschichte, wenn man sich darauf einlässt, das Evangelium erst noch entdecken zu müssen.
Verschärft sich diese unbequeme Situation in einer volatilen, von Unsicherheit geprägten Zeit?
AB Ich glaube schon. Die Stabilität der Kirche war lange Jahrhunderte gestützt durch die enge Vernetzung mit staatlicher Herrschaft. So konnte sich eine Kirchenkultur entfalten, in der das Evangelium der Kirche irgendwie immer schon wie fix und fertig zur Verfügung stand. Die Kirche hatte denn auch ein Mandat des Staates, das für Verlässlichkeit, Seriosität und Vorausschaubarkeit stand – und auch eine gewisse Überraschungslosigkeit. Diese Situation schwächt sich heute stark ab. In der zunehmend fluiden und chaotischen Modernisierung, in der wir stecken, ist Sicherheit zwar für viele Menschen noch ein Sehnsuchtsbild. Aber ich halte dies für ein Trugbild. Es wäre eine Fehleinschätzung, die Kirche quasi immer noch als Fluchtburg vor der Moderne zu verstehen. Kirche wandert vielmehr und stürzt als pilgerndes Gottesvolk mit allen anderen Menschen durch unsere Zeit. Und mit den anderen Menschen erfährt auch sie Unsicherheit. Hier ist die Bereitschaft, sich auf einen Gott einzulassen, der sich selber zu den Menschen bequemt hat, besonders wichtig.
Wie geht das konkret?
AB Ich glaube viele Seelsorgende – vielleicht nicht alle – sind sich diese Unsicherheit und diese Entdeckungen längst gewohnt. Das kennen sie zum Beispiel aus der individuellen Seelsorge in Trauersituationen. Gute Seelsorgende wissen, dass sie keinen Halt mitbringen. Aber sie schaffen es, Situationen auszuhalten, in denen das Leben haltlos geworden ist. Indem sie nicht abhauen und nicht ausweichen, machen sie einen Raum auf, in dem auch etwas wie Gottesgegenwart aufscheinen könnte. Aber ohne Garantie. Letztlich ist das die Unsicherheit des Glaubens. Seelsorge ist konstitutiv absturzgefährdet und bewährt sich gerade da, wo ich auf diesen riskanten Glauben setze.
In Zeiten der Krise kann man beobachten, dass immer neue Angebote aufgesetzt werden in der Hoffnung, weitere Menschen zu erreichen. Ist das sinnvoll oder hat da die Konsumfalle schon zugeschnappt?
AB Ich glaube beides. Wenn Angebote um der Angebote willen entstehen, dann wird das Aktionismus. Dann begibt man sich auf ein Ersatzfeld. Meine Aktionen kompensieren dann meine spirituelle Handlungsunfähigkeit. Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass es wichtig ist, mit Zielgruppenorientierung und neuen Angeboten andere Menschen anzusprechen. Das muss aber eingebettet sein in eine theologische Reflexion und Priorisierung: für wen welche Angebote zu welcher Zeit? Wichtig ist auch immer eine theologische Deutung dessen, was man eigentlich tut. Wir kommen um eine gewisse Marktlogik nicht herum. Sie muss aber auch immer wieder theologisch in Frage gestellt werden. Kirchliches Handeln bleibt letztlich immer in dieser Spannung verortet. Sie soll sich in Situationen hineinbequemen und diese Situationen immer zugleich auf das Reich Gottes hin öffnen und damit verändern. Bei neuen Angeboten frage ich deshalb immer etwas skeptisch zurück: Ist das einfach ein Retro-Versuch einer parochialen Dauerbeschäftigung, die man modernisiert, um die Leute bei der Stange zu halten?
Vielleicht ist ja das das Unbequeme: Man kommt nie ganz aus diesen Spannungen in Ambivalenzen heraus, solange wir in diesem kulturellen Kontext sind.
AB Und da geht Glauben los! Kirchliches Handeln ist immer begleitet vom Bewusstsein, dass wir Mist bauen. Dass das eigene Zeugnis, und sei es noch so mutig, heroisch und gut gemeint, immer auch gebrochen ist und gebrochen bleibt. Kirche braucht den Mut, ihr eigenes Handeln zu relativieren. Wenn sie also sagen könnte, wir können für das Evangelium bestenfalls schlechtes Zeugnis ablegen. Und wenn sie zum Ausdruck bringt, dass sie immer in Gefahr steht, das Gegenteil von dem auszusagen, was das Evangelium eigentlich zum Ausdruck bringen soll, dann wäre sie auf der sicheren Seite. Wir könnten jede religiöse falsche Machtergreifung und jede falsche religiöse Autorität ablegen. Man würde dann sagen können: Was wir tun, tun wir mit vollem Risiko – und zwar nicht mit Risiko für andere, sondern für uns – wir können auch falsch liegen.
Tit.-Prof. Dr. Arnd Bünker studierte katholische Theologie in Münster und Belo Horizonte/Brasilien sowie Sozialpädagogik in Münster und arbeitete während elf Jahren am Institut für Missionswissenschaft der Universität Münster. Heute ist er Institutsleiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St. Gallen. Arnd Bünker ist Gründungsmitglied des Vereins feinschwarz und war während vier Jahren Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net.
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Kirche leben – offen für Quartier und Stadt: Der MaiHof und Peterskapelle Luzern (10.9.2020)