Von Martina Schwarz
Vier Engel an vier Ecken der Erde
Halten vier Winde
Gespannt wie das Leintuch
im Garten
als Kind
Wir zerrten und zogen
Die Mutter mahnte:
«Ja nicht loslassen!»
Die Himmelsengel halten ihren Atem an
Ein jeder Engel ist schrecklich (sagt Rilke)
Es gibt nicht nur die Putenengel des Barocks
die freundlich Harfe spielen
Eigentlich möchten alle vier Engel
Dampf ablassen
Den Sturm losschicken
und die Wut
auf die Menschen
ohne Mut.
Bloss die Motten machen nach Katastrophen weiter, die
Ratten und der Mensch.
Die zarten Bienen sterben aus.
Doch nun ist Stille dran. So kurz vor Schluss.
Was geschah zuvor?
Die blaue Erde hat genug
Sie bebte, tobte, mobbte
Römer weg.
Und alle, die sich gern trumpieren.
Die Mauern bauen zwischen Amerika und Mexiko
Westjordanland und anderswo.
Und unsichtbare zwischen dir und mir.
Und die, die Lieder stören,
die, die Bienen summen.
Die schwarze Sonne
band den Mädchen Trauerflor ins Haar
Die Sterne fielen aus dem Blutmond
Bohrten Löcher in den Frühling.
Berg und Inseln wurden jäh von ihrem Platz gerückt
wie ausgediente Möbel.
Der Himmel nun zusammengerollt
wie eine Yogamatte. Ohne OM.
Doch nun ist Stille dran. So kurz vor Schluss.
Da tritt ein kleiner Engel auf.
Immer freitags. Statt zur Engelschule.
Trägt zwei Zöpfe und heisst Greta.
Er schaut die grossen Engel an.
Er spricht mit leiser Kinderstimme in die Stille:
«Bitte schickt uns jetzt noch keinen Sturm.
Fügt der Erde keinen Schaden zu.
Wir räumen auch die Sterne wieder auf vom Boden.
Verbinden gern den wundverletzten Mond.
Die schwarze Sonne machen wir mit kleinen Besen frei vom Russ.
Wir rollen Erde wieder aus.
In Bahnen, neu und frühlingsgrün.
Die Berge und Inseln holen wir zurück und frischen mächtig auf.
Der kleine Engel wird jetzt lauter:
«Beschädigt doch die Erde nicht»!
Bedenkt: «Wir müssen noch die neuen Babys stempeln.»
Mit einem Siegel – einem Stempel wie zum Schutz.
Mit einem Duft aus:
Kamille, Vanille, Karamell und Heu.
Damit die Mütter dieser Welt an ihren Kindern riechen, sie küssen und den Schmerz vergessen.
Wir müssen noch in ihre Herzen schreiben, damit sie wirklich glauben:
P.S.: Jede Geburt macht alles neu.
Auf jede kleine Stirn kommt also erst ein Siegel.
Wie unsichtbare Kreuze mit drei Namen:
1. Du gehörst zu Gott. Der Mutter und dem Vater.
2. dem Bruder
3. und der Schwester Geist, der Trösterin an Pfingsten und auch sonst.
Auf jedes Köpfchen, das die Welt erblickt –
kommt zuerst das Siegel.
Deine alte Stirn – ist Bild des neuen Himmels.
Gewölbt und geschaffen, heut zu trotzen.
Für die Erde mit den Bienen und den Motten,
dem Land, den Bäumen und den jungen Engeln,
für die es sich zu kämpfen lohnt.
Amen
Martina Schwarz ist Pfarrerin und Leiterin des Praktischen Semesters bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Zudem doziert sie an der Meisterklasse «Predigt» am Atelier Sprache in Braunschweig und ist als Predigtcoach und Gottesdiensttuttorin tätig. Im Berner Münster tritt sie regelmässig als Gastpredigerin auf.
martina.schwarz@
theol.unibe.ch
Bitte um Aufschub
P.S. «beschädigt die
Erde nicht»
Predigt zu Offb 7,1-3 («Beschädigt die Erde nicht»)
Berner Münster, Vesper vor Exaudi, 1.6.2019 von Martina Schwarz.
Ins Blaue Schreiben: Schreib-Werkstatt und Stille-Weile (2.–4.3.2020)