Von Thomas Schaufelberger
Thomas Schaufelberger: Greta Thunberg wirkt zerbrechlich und strahlt dennoch eine unglaubliche Stärke aus, die Menschen auf der ganzen Welt bewegt. Wie nehmen Sie Greta wahr?
Andreas Ziegler: Great Thunberg wirkt auf mich trotz ihres jugendlichen Alters erwachsen. Und zwar weil sie radikal faktenbasiert redet. Wegen ihres Asperger-Syndroms ist es ihr egal, was andere von ihr denken. Sie spürt die Ablehnung nicht und ignoriert sie. Trotzdem zeigt sie auch Emotionen und wirkt gerade dadurch unheimlich stark. Dadurch ist sie repräsentativ für uns alle. Wir sind verletzlich, aber wir kämpfen. Ich wurde zuerst auf Greta aufmerksam und bin erst danach zur XR gekommen.
XR propagiert eine Rebellion, einen Widerstand – auch gegen geltende Gesetze – ist aber gleichzeitig radikal gewaltlos. Ist das kein Widerspruch?
AZ Es kommt auf die Definition von Gewalt an. Es gibt Menschen, die eine Beeinträchtigung von jemand anderem – also, wenn wir eine Brücke besetzen und jemand nicht über diese Brücke gehen kann – als Gewalt definieren. Ich sehe das anders. Wir üben keine psychische oder physische Gewalt gegen jemanden aus. Wir sind passiv. Im Vergleich mit anderen Widerstandsbewegungen sind wir extrem gewaltlos und respektvoll gegenüber unseren Mitmenschen. Aber wir sind radikal. Wir wollen die Gesellschaft an der Wurzel – Radix – verändern. In der Rise-up-Bewegung, aus welcher XR entstanden ist, haben sich Aktivisten und Sozialwissenschaftler damit beschäftigt, wie man den nötigen Wandel einleiten und durchführen kann. Da die Probleme so verwickelt sind, ist das aber nur möglich, wenn das Problem an der Wurzel angegangen wird.
Aktivisten der XR-Bewegung besetzen Strassen und Brücken und lassen sich von Polizisten wegtragen. Weshalb wirkt gewaltloser Widerstand?
AZ Es ist schwierig zu sagen, warum er wirkt. Grundsätzlich haben Menschen, die sich gewaltlos für eine Sache einsetzen, die Sympathie von moralisch aufrichtigen Menschen. Die Harvard-Professorin Erica Chenoweth hat viele Bewegungen erforscht. Das Resultat: Statistisch gesehen ist eine Bewegung doppelt so erfolgreich, wenn sie keine Gewalt anwendet. Mit Gewalt halbiert man die Chancen. Inzwischen sind aber noch andere Effekte gut erforscht. Das strategische Ziel von XR ist es, möglichst viele Verhaftungen zu verursachen. Jede Verhaftung mobilisiert bis zu zwanzig weiteren Personen. Wenn die Gefängnisse überfüllt sind und sich die Polizei fragt, warum sie harmlose Grossmütter verhaften soll, kann es dazu kommen, dass die Polizei die Arbeit verweigert und die Politik unter Druck gerät.
In den zehn Regeln der Bewegung nehme ich eine sehr grosse Wertschätzung für verschiedene Menschen wahr. In Zürich gibt es sogar Entspannungsmassagen für Leute, die sich im Protest zu sehr verausgabt haben. Woher kommt diese fast zärtliche Fürsorge füreinander?
AZ Die Wertschätzung kommt von der Einsicht, dass wir mit respektvollen Beziehungen eine lebenswerte Gesellschaft schaffen können, welche die planetaren Grenzen einhält und mit den finiten Ressourcen gut umgeht. Ohne diesen grossen Respekt wäre XR wohl nie eine so grosse, weltweite Bewegung geworden. Aus diesem Respekt heraus entsteht Wertschätzung.
Wie schafft ihr es, die gewaltlosen Prinzipien wirklich umzusetzen? Ich kann mir vorstellen, dass aus Wut und Angst auch Gewalt werden könnte.
AZ Rebellen, welche an Aktionen teilnehmen, sollten zuvor ein Aktionstraining besuchen. Dort wird viel Gewicht auf gewaltlose Kommunikation gelegt. Diese ist bei XR grundsätzlich sehr wichtig. Zudem haben wir spezielle Deeskalations-Trainings, wo man lernt, wie man angespannte Situationen beruhigen kann. Durch Reflexion und das Eingestehen von Fehlern versuchen wir uns stetig zu verbessern. Auch wir sind nur Menschen!
Weshalb hast du Christian Climate Action Switzerland (CCA) gegründet?
AZ Ich habe CCA mitgegründet. In unserem Forum hat jemand gefragt, ob es bei XR noch andere Christen gibt, um die christliche Gesellschaft zu mobilisieren. Da all mein politisches und soziales Engagement aus meiner christlichen Überzeugung kommt, war es für mich klar, es zu versuchen. Wir sind eine kleine gemischte Gruppe von Menschen aus der Reformierten Kirche und aus Freikirchen in der ganzen Schweiz. Ich hoffe natürlich, die CCA wird, wie in England, noch stark wachsen und wird Kirchen dazu bewegen können, sich aktiv zu beteiligen. Dafür bieten wir zum Beispiel Vorträge in Kirchgemeinden an.
Hast du noch eine leise, zarte Hoffnung für die Welt?
AZ Das bisherige Engagement in Klimafragen hat seit dreissig Jahren nichts gebracht. Ich glaube, dass die XR-Strategie die einzige ist, die noch funktionieren könnte. So hoffe ich, dass wir in der kurzen Zeit, die uns noch bleibt, die nötige Anzahl Menschen mobilisieren können. Es braucht durchschnittlich 3,5 Prozent einer Bevölkerung, die auf die Strasse geht, um eine radikale Veränderung in der Politik zu bewirken. Meine Hoffnung ist, dass wir unsere Forderungen durchsetzen können und sich die Menschen dadurch wieder stärker verbinden. Das ist auch eine christliche Perspektive. Ich erhoffe eine erneut florierende Gesellschaft, in der die Beziehungen zu uns selbst, zu Mitmenschen, zur Natur und zu Gott wieder ins Lot kommen. Momentan sind sie gestört. So gesehen ist die Klimakrise nur ein Symptom. Die Krise ist viel tiefgreifender. Religion kann dazu beitragen, eine neue Gesellschaftsform zu entwickeln.
Andreas Ziegler ist Robotik-Ingenieur (ETH), EVP-Politiker und Gründer der Christian Climate Action Switzerland. Zudem ist er Mitglied der globalen Bewegung Extinction Rebellion (XR).
Auf Anfrage gibt er in Kirchgemeinden Vorträge zum Thema. www.xr-zuerich.ch
Extinction Rebellion (XR) ist eine globale Bewegung, die sich mit zivilem Ungehorsam und gewaltfreien Protestaktionen gegen das massenhafte Artensterben und den Zusammenbruch des Weltklimas einsetzt.
www.xr-zuerich.ch
Christian Climate Action Switzerland ist eine ökumenische Gruppe von Christen, die sich gegenseitig unterstützen, um Jesus Christus angesichts des drohenden und katastrophalen anthropogenen Klimawandels zu folgen. www.christianclimateaction.org und www.facebook.com/CKKACCACC