Von Juliane Hartmann
Heiss wird’s mir beim Gedanken, was mich an diesem Winterabend erwartet: Community-Sauna im Dachstock einer alten Schreinerei in Downtown Basel. «Du kannst einfach so kommen, Saunatücher hat es und sonst brauchst du nichts.» So hat mich einer der beiden Köpfe der Künstlerkollektivs «Pataphysisches Institut Basel» (PIB) eingeladen. Fröstelnd krieche ich tiefer in meinen Wintermantel. Er schützt mich nicht nur vor der Kälte. Das PIB ist bekannt für experimentelle künstlerische Events, für Anlässe, bei denen Austausch und Vergemeinschaftung zentral sind. Pataphysik als Wissenschaft imaginärer Lösungen ist eine ihrer Grundlagen. Meine Versuche, diesen Ansatz zu verstehen, laufen seit Jahren ins Off – und doch erahne ich immer wieder Verbindungen: zu Kirche, zu Christentum, zu meiner Person. Vielleicht erschwitze ich mir beim Saunieren neue Einsichten?
Doch zuerst gibt’s Hitze anderer Art: In der kleinen Küche im Hinterhof hat jemand Fondue gemacht. Meinen Wintermantel brauche ich hier nicht. Bei Käse, Weisswein und Kirsch erfahre ich mehr über die Sauna im Dach: selbstgebaut, aus einer Lattenkonstruktion, in Igluform und mit Decken abgedichtet. «Zuerst konnten wir nicht glauben, dass das alles tatsächlich funktioniert – doch die runde Form hat physikalische Vorteile: perfekte Wärme und Dampfverteilung». Der Originalofen aus Finnland ist in mehrfacher Hinsicht zentrales Element.
Als nächster Schritt ist eine mobile Sauna entstanden: sie lässt sich im Auto oder auch auf Veloanhängern transportieren. «So können wir in der kältesten Nacht nach der Sauna draussen sitzen und reden – mitten in der Natur. Wir können auch mit der Sauna zu den Menschen gehen – sie müssen nicht extra zu uns kommen.» «Wenn hier im Dach jemand saunieren möchte, schreiben wir das einfach in den Sauna-Chat, oder jemand kann auch selber die Sauna starten, wenn er das möchte.» Das kenne ich doch auch: wir nennen das Geh-Struktur und Partizipation.
Während wir Fondue essen, geht immer wieder jemand nach oben und legt Holz nach. Dann der gemeinsame Gang über Treppen und Leitern in den offenen Dachstock: Sofas stehen im Kreis, Tücher hängen auf Wäscheleinen, eine Badewanne voll kalten Wassers, die Sauna – tatsächlich wie ein grosses Iglu. Und auf dem Sofatisch einige Flaschen Bier. «Wenn wir bei Kunstevents die Sauna anmachen, sind die Leute oft etwas unentschlossen.» «Sie kennen das nicht, haben Sorge wegen des Nacktseins (wobei man das ja nicht mal muss) und sie sind unsicher, was die Wärme mit ihnen machen wird.»
Auch wenn ich Sauna an sich kenne und mag, die Unentschlossenheit spüre ich auch in mir. Ich bin verunsichert – das ist alles fremd und unvertraut, irritierend auch. Da erinnere ich mich: Pataphysik geht davon aus, dass die Welt aus Ausnahmen besteht – und Regeln, die Ausnahmen der Ausnahmen sind. Da kann ich nur nicken: ich denke ja auch, dass wir Menschen alle Ausnahmen sind, Einzelanfertigungen. Auch diese Situation ist einmalig.
Ich fasse mir ein Herz, wickle mich in eines der Tücher, öffne den Iglu einen Spalt weit und finde mich in einer matt leuchtenden Halbkugel wieder. Das Feuer lodert, der finnische Ofen glüht – und es ist heiss. Sehr heiss. Die Decken isolieren unglaublich gut – die physikalischen Vorteile der Form sind deutlich spürbar. Meine Haut fängt an zu glühen. Zum Glück gibt es Stufen. Ich sitze ganz unten, schaue in das Feuer und fange langsam an zu vergessen, dass ich einen Artikel schreiben wollte. «100 Grad» sagt jemand. Ich finde es einfach nur heiss. Als mir das Atmen schwer fällt, gehe ich hinaus an die Luft und in die Badewanne.
In mein Tuch gewickelt sitze ich auf dem Sofa. Immer noch dampfend, mit klarem Kopf und mit Menschen, die ich heute zum ersten Mal sehe. Ich weiss nicht, wie spät es ist. Die Zeit zerfliesst, der Raum um mich weitet sich, Konturen und Grenzen verschwinden im Dunkeln. Ich sehe weit nach oben, ins offene Gebälk des riesigen Stadthauses. Hoch wie die Decke eine Kathedrale. Sitze zwischen unzähligen Frotteetüchern und Bier. Sieht so der Himmel aus?
Wir reden über das, was wir zum Leben wirklich brauchen, und das, was wir nicht mehr brauchen, wir reden über Perfektion und Improvisation und erzählen davon, den eigenen Träumen zu folgen, auch wider alle Vernunft. Die eigene Passion zu leben, weil sie einen drängt, und nicht um damit etwas zu erreichen, sondern einfach weil sie innerlich bewegt. Pataphysik, so denke ich, die Wissenschaft vom Absurden, das sich nicht erklären lässt. Und ich denke auch an Paulus, der schrieb: wenn ich schwach bin, bin ich stark.
Im offenen Dachstock bei der Iglusauna begegnen wir Fremden uns im Moment und verstehen uns, wider alle Vernunft. «Wenn die Leute an den Kunstevents den Mut aufgebracht haben und in die Sauna gegangen sind, waren sie danach positiv gestimmt und begeistert.» «Sauna wurde für sie zu etwas Attraktivem.» Wie wünsche ich mir, von Kirche auch so erzählen zu können.
«Du bist doch Pfarrerin – du könntest uns doch mal an einem Saunaabend einen spirituellen Input geben!» Könnte ich hier etwas zu sagen haben? Was wäre meine Botschaft, hier bei Feuer und Wasser? In der Wärme werde ich müde, lasse Gespräche an mir vorbeiziehen, nicke etwas ein. Auch ohne Uhr merke ich, dass es spät geworden ist. Zeit zu gehen – ich steige die Leitern und Treppen im Dunkeln nach unten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt mehr verstehe. Doch vielleicht ist das gar nicht so wichtig. Mich wärmt das Vertrauen, das fremde Menschen mir schenken. Ihre Passion für Improvisation und Imperfektion. Die Wärme des ganzen Abends trage ich in meinem Wintermantel mit nach Hause.
Juliane Hartmann ist Pfarrerin und Beauftragte für die Ausbildung bei A+W. Sie ist neugierig auf Menschen und auf Welten innerhalb und ausserhalb der Kirche und vor allem auf die Welten dazwischen. Unterwegs ist sie gerne – äusserlich wie innerlich. [tocco-encoded-addr:MTA2LDExNywxMDgsMTA1LDk3LDExMCwxMDEsNDYsMTA0LDk3LDExNCwxMTYsMTA5LDk3LDExMCwxMTAsNjQsMTIyLDEwNCwxMTQsMTAxLDEwMiw0Niw5OSwxMDQ=]
PIB Pataphysisches Institut Basel ist ein Künstlerkollektiv für experimentelle künstlerische Events und Anlässe, bei denen Austausch und Vergemeinschaftung zentral sind. pataphysical.net
Definition: Pataphysik
ist ein absurdistisches Philosophie- und Wissenschaftskonzept des französischen Schriftstellers Alfred Jarry (1873–1907), das sich oftmals als nonsensische Parodie der Theoriebildungen und Methoden moderner Wissenschaft gibt. Die Pataphysik präsentiert sich als scheinbar logische Erweiterung der Wissenschaft und Philosophie. (Wikipedia) pataphysical.net/main