KOLUMNE: MATTHIAS KRIEG
SANDAG
Mongole ist er und spricht nur Mongolisch. Unser Fahrer, dem wir vertrauen müssen. Der uns zwei Wochen sicher durch grosse, unberührte Landschaften von mythischen Dimensionen fährt. Nahezu menschenleer. Oft durch Tobel und Flüsse. Ohne Schilder und Wegweiser. Wir fühlen uns völlig sicher. Dieser Fremde kennt sein Land. Er orientiert sich an Bergformationen und Flussläufen. Manchmal hält er an einer Jurte und fragt nach einer Furt. Tibetischer Buddhist ist er. Kommen wir an einem Ovoo vorbei, einem heiligen Steinhügel mit blauen Fähnchen, den er früher dreimal zu Fuss umrundet hätte, so hupt er dreimal. Wir erinnern ihn, wenn er es vergisst. Dann lächelt Sandag.
WIR
Ob ausgeliefert oder hingegeben, jedenfalls vertrauen wir ihm. Seine unglaubliche Sprache, von der wir kein Wort verstehen, amüsiert uns. Seine Fähigkeit zu wissen, was wir wollen – mein Freund fremde Vögel beobachten und ich fremde Bilder festhalten – schafft Nähe. Seine Freude, wie wir uns freuen an seinem Land. Abends spielen wir wortlos Triomino. Sandag lernt rasch und amüsiert sich köstlich. Er schlägt uns und lacht. Wir entdecken im Fremden das Eigene neu. Unsere Heimat, Sprache, Religion. Unsere Fähigkeit zu Hingabe, Vertrauen, Freude. Uns. Alles wortlos.
MIGRATION
Ich erfahre in zwei Wochen das Fremde. Und das Fremde in mir, das Werden des Eigenen am Fremden, den Migrationshintergrund meines Daseins. Niemand hat sich. Alle werden. Ich werde ich am Fremden. Und ich bleibe mir auch fremd. Sandag hat mich wortlos zu mir geführt. Religion und Kultur entstehen aus dem Fremden. Wollen beide das nicht mehr wissen, sind sie längst seicht geworden. Nostalgie. Kitsch. Wenn es eine Institution gibt, die durch ihren Migrationshintergrund ist, was sie ist, dann die Kirche. Das Fremde ist ihr heilig.