MAGAZIN BILDUNGKIRCHE 3/14 - FREMD
Thomas Schaufelberger: Teilweise entsteht der Eindruck, dass Fresh Expressions of Church von gewissen Personen auf formale Aspekte
reduziert werden. Zum Beispiel gehen einige einfach in der Halfpipe skaten und beten anschliessend gemeinsam. Oder es gibt Bäckerkurse oder Familientreffen.
Brian McLaren: Für einige ist das tatsächlich so: Sie suchen in erster Linie nach neuen Formen, ohne über Inhalt, Kommunikation oder Auftrag zu reflektieren. Ich denke, das muss keine schlechte Sache sein. Denn manchmal sind unsere Formen ein Problem und nicht mehr geeignet. Da braucht es teilweise wirklich neue Formen. Andere, und ich zähle mich hier dazu, denken jedoch, dass unsere Herausforderungen viel tiefer sind als lediglich die Frage nach den Formen. Wir müssen grundsätzlicher über die Herausforderungen nachdenken, über unsere Geschichte, Identität, Theologie und theologische Ausbildung reflektieren.
Was sind denn die konkreten Herausforderungen?
Viele Begriffe, welche wir heute verwenden, wurden in einem gewissen historischen und gesellschaftlichen Umfeld geprägt. Auch so grundlegende Begriffe wie zum Beispiel Rettung oder Mission. Heute haben viele Menschen Mühe mit diesen Begriffen. Mein persönliches Interesse ist, was solche Begriffe früher bedeuteten und was sie in unserer heutigen Zeit bedeuten könnten. Eine der grössten aktuellen Herausforderungen ist zum Beispiel die Frage, was wir meinen, wenn wir von Gott sprechen. Es geht darum zu verstehen, dass die Bedeutung aller diese Begriffe mit Bildern verknüpft sind. Wenn wir zum Beispiel Gott mit einem Felsen vergleichen, haben die Leute von früher darunter etwas anderes verstanden als wir heute. Vielleicht haben die Leute damals an einen erhöhten Berg gedacht, der ihnen Schutz vor Feinden gibt. Unsere Herausforderung ist nun, mit welchen Bildern wir Gott heute beschreiben würden als Ort des Schutzes.
Viele Leute beschreiben unseren Kontinent heute als postchristlich. Wie denken sie darüber?
Ich bin einverstanden, dass wir eine gewisse Art von christlicher
Kultur verloren haben. Die religiöse Entwicklung in Europa ist jedoch sehr komplex, und niemand kann diese eindeutig beschreiben. Es ist jedoch nicht nur ein Problem des Christentums, sondern der Religionen an sich. Die schnellstwachsende Gruppe in der Welt ist diejenige der Nichtreligiösen. Dabei muss man bedenken, dass der christliche Glaube durch die Ereignisse des 20. Jahrhunderts sehr oft mit Gewalt, Rassismus oder Diskriminierung von Menschen anderer Religionen oder Homosexueller verknüpft wird. Die Menschen haben somit gute Gründe, sich von christlicher Religion abzuwenden.
In der Schweiz gibt es sehr traditionsreiche Kirchen. Kann man solche geschichtsträchtige Kirchen ändern und neue Formen davon ent-
wickeln?
Die reformierte Kirche war vor 500 Jahren selbst eine Fresh Expression of Church. Die Kirche hat generell eine reiche Geschichte von
Erneuerungen, Reformen, frischen Ausdrucksformen von Kirchen. Das ist Teil unserer Geschichte. Wir sollten also überrascht sein, wenn wir keine neuen Ausdrucksformen erkennen könnten. Zudem leben wir in einer Zeit der Veränderung. Das bedeutet, dass viele Organisationen über neue Wege und Formen nachdenken müssen, nicht nur die Kirche.
Sehen sie auch eine Zukunft für traditionelle Kirchen?
Ja, klar! Aber die traditionellen Kirchen sind herausgefordert, ihren Auftrag neu zu entdecken. Kirchen müssen den Menschen in erster
Linie helfen, besser leben zu können. Die Leute erwarten das heute. Alles, was den Menschen nicht hilft, ein besseres Leben führen zu
können, sollte zumindest reflektiert werden. Denn allein die Tatsache, dass etwas Kirche heisst oder ein Kreuz auf dem Dach hat, bedeutet noch lange nicht, dass etwas Bestand hat. Die Kirche soll von daher
einen Auftrag erfüllen, bei welchem die Leute erkennen, dass er
wichtig ist.
Was ist die Kernbotschaft der Kirche?
Für mich ist es eine Transformationsbotschaft. Jesus nannte es das Reich Gottes. Seine Kernbotschaft war, dass wir alle unsere Art und Weise zu denken verändern und Teil dieser Weltbewegung sein können.
Was für eine Art von Pfarrerinnen und Pfarrer brauchen wir für die
Kirche von heute?
Das ist eine der grossen Herausforderungen. Denn die Herausforderungen der Pfarrer/innen von früher sind nicht mehr dieselben wie heute im Jahr 2014, und es sind auch nicht die gleichen wie im Jahr 2060. Wir müssen nicht nur über die Vergangenheit und Gegenwart nachdenken, sondern auch über die Zukunft. Eine der grössten Veränderungen heute ist, dass die Menschen nicht mehr in die Kirche gehen. Ob Pfarrerinnen und Pfarrer eine Art von Museumsangestellte sind für Leute, welche eher an der Vergangenheit interessiert sind, oder eher ein Doktor, der verstehen muss, was die Krankheiten und Herausforderungen der heutigen Menschen sind: Es braucht eine Reform der theologischen Ausbildung. Wenn die Ausbildung in erster Linie durch das Studium der Geschichte geprägt ist, dann schaust du immer zurück. Wenn du aber das Bewusstsein hast, dass du die Gegenwart auf Grundlage der Geschichte gestalten musst, dass du Geschichte schreibst, dann verändert das die Ausbildung tiefgreifend. Wir sind es gewohnt, Texte zu lesen. Das ist immer noch sehr bedeutend. Aber wir müssen nicht nur den Text, sondern auch unseren Kontext von heute studieren. Darüber hinaus sollten wir über uns selbst, unsere persönliche Story, reflektieren. Das hilft uns, uns selbst, aber auch andere besser zu verstehen.
Brian McLaren ist US-amerikanischer Theologe, Konferenzredner, Autor und bekannter Vertreter der Emerging- Church-Bewegung. Er beschäftigt sich mit Fragen zum Verhältnis von Kirche und Postmoderne, Gerechtigkeit und spiritueller Transformation. www.brianmclaren.net
Literaturtipp:
We Make the Road by Walking. A Year-Long Quest for Spiritual Formation, Reorientation and Activation. Brian D. McLaren 2014. Hodder Christian Books.
Tipp:
Der nächste Impulstag Fresh Expressions of Church findet am
7. November 2015 in Zürich statt. Referenten sind
die deutschen Theologen Christian Hennecke
und Philipp Ehlhaus.
www.freshexpressions.ch