Seit mehreren Jahren nimmt ein Thema stets den ersten Platz bei der vom Berner Pfarrverein initiierten und von Staat und Kirche finanziell unterstützten «Beratungsstelle Pfarramt» ein: Perspektivlosigkeit beziehungsweise Sackgassengefühl. Pfarrerinnen und Pfarrer beklagen ihre fehlende Motivation und eine fehlende Perspektive: «Einmal Pfarrer, immer Pfarrer». Vermehrt tritt bei Pfarrerinnen und Pfarrern das Gefühl auf, sie seien durch ihre Ausbildung und ihren Beruf in eine Sackgasse geraten. Gerade auch jüngere Pfarrpersonen fragen in der Beratung vermehrt nach ihrer Berufsidentität und Rolle in der Gesellschaft. Ins Bild passen da auch die alarmierenden Zahlen eines erhöhten Anteils von Erkrankungen bei WeA-Pflichtigen. Dauerthemen bleiben der hohe Anteil von Kompetenzklärungen gegenüber Behörden sowie Konflikte mit Teammitgliedern.
Die breite Ausbildung zum Pfarramt ist wertvoll, aber auch zu wenig tief, um damit in anderen Berufen zu punkten. Im heutigen Bildungssystem zählen nur zertifizierte Qualifikationen, nicht aber langjährig erworbene Kompetenzen. Die Erfahrungen arbeitslos gewordener Kolleginnen und Kollegen zeigen, dass heute überall CAS/DAS/MAS-kompatible Aus- und Weiterbildungen gefragt sind und die Personalchefs von Wirtschaft und Verwaltung wenig mit den theologischen Abschlüssen anfangen können - auch wenn die Kompetenzen ausreichen bzw. oft sogar Überqualifikationen ins Spiel kommen.
Nimmt man die anonymisierten Berichte der Beratungsstelle als Seismograph für die Befindlichkeit der Pfarrschaft und hört zugleich, wie schwer es für arbeitslos gewordene Pfarrpersonen geworden ist, in anderen Stellen unterzukommen, stellen sich zentrale Fragen für die Personalentwicklung. Zumal die geschilderte Problematik parallel mit einem weiteren Trend dahergeht: Im Kanton Bern hatten im Jahr 2013 nur noch 143 von 502 Pfarrpersonen eine Vollzeitstelle. Insgesamt betrug der Frauenanteil 39%, die Zahlen der in den letzten Jahren Ordinierten zeigen aber deutlich, dass sich das Verhältnis in den nächsten 15 Jahren umkehren wird. Das heisst: zwei Drittel der Pfarrpersonen werden Frauen sein parallel zum Trend zu mehr Teilzeitstellen. In Zukunft wird es schlicht mehr Pfarrerinnen und Pfarrer geben, die ein zweites Einkommen brauchen.
Hier stellen sich grundsätzliche Fragen für die Anstellungsträger, wie man diesen Trends begegnen kann, damit das Pfarramt weiter attraktiv und die Identifikation mit dem Beruf erhalten bleibt. Denn für den einzelnen braucht es sehr viel Energie, um sich neben dem Pfarrberuf ein zweites Standbein aufzubauen. Im Umgang mit dieser Frage gibt es zwei gegensätzliche Meinungen: Eine Strömung meint, dass es auch eine Aufgabe der Aus- und der Weiterbildung wäre, Kooperationen mit anderen Berufen einzugehen, die wenigstens die Anerkennung von bestimmten Modulen mit sich bringen würde (z.B. Psychologie, Journalistik, HR, Soziologie, Pädagogik). Eine andere Strömung warnt davor, die kirchenspezifischen Aus- und Weiterbildungen so zu erweitern und stattdessen lieber eigene Gefässe zu standardisieren, weil sonst die besonders Kreativen abwandern könnten, die wir dringend in der Kirche brauchen. Nur haben die Erfahrungen mit dem Studiengängen Medienpfarrer/in oder Spiritualen gezeigt, dass nach deren Abschluss viel zu wenige bis gar keine entsprechenden Betätigungsfelder zur Verfügung standen.
Meines Erachtens steht die Gemeinde- beziehungsweise Kirchenentwicklung und in Folge davon auch die Personalentwicklung vor tiefgreifenden Veränderungen. Gemeindekultur und Berufsbild ändern sich, wenn nur noch ein Drittel in Vollzeit tätig ist und die Fluktuation steigt. Ich glaube jedoch nicht den Unkenrufen, wonach der Pfarrberuf immer mehr zum «Job» wird. Nach wie vor arbeitet die überwiegende Mehrheit aller Pfarrerinnen und Pfarrer mit hohem Engagement, innerem Feuer und Herzblut. Viele spüren durch ihre Ordination eine innere Berufung, die sie zu unglaublichen Leistungen befähigt, sie aber auch manches Krumme aushalten und ertragen lässt.
Was könnte man tun, damit diese Leidenschaft und Berufstreue erhalten bleibt?
Auf der Organisationsebene mangelt es vielfach an konkreter Arbeitsplatzgestaltung, der Einsatzplanung und einer effektiven Führung. Wohlgemerkt ist hier nicht einer einseitigen Hierarchisierung oder der Unterordnung der Pfarrpersonen unter den Rat das Wort geredet. Es braucht viel stärker als bisher eine gemeinsame Führungskultur, die aus theologischen Grundsätzen gespeist wird. Gemeinsame Weiterbildungen von Pfarrschaft und Behördenmitgliedern oder mit anderen Ämtern bzw. Berufsgruppen sind bisher eher die Ausnahme.
In einem säkularen Umfeld intensivieren sich immer stärker die Anforderungsprofile. Es bleibt den Pfarrleuten selbst überlassen, ob sie sich dem notwendigen lebenslangen Lernprozess unterziehen. Hier ist stärker als bisher die Eigenverantwortung zur Weiterbildung gefragt, die durch Anreizsysteme der Anstellungsträger gefördert werden sollte. Hingabe und Leidenschaft zum Beruf bzw. zur Berufung benötigen Nahrung. Kreativität braucht Anregungen.
Neben die verschiedenen Formen von Mitarbeitergesprächen in den Gemeinden muss eine persönliche Begleitung beziehungsweise Laufbahnberatung durch die Landeskirchen treten. Das Element der persönlichen Begleitung der Mitarbeitenden ist zugleich ein wichtiges Präventionsmittel gegen die geschilderte Perspektivlosigkeit. Allfällige Konflikte und Frustrationen können frühzeitiger erkannt werden. Zugleich sollte die Weiterbildung durch Kooperationen mit verwandten Berufen Perspektiven eröffnen, die Pfarrpersonen ein weiteres Betätigungsfeld ermöglichen.
Die sozialen Beziehungen und Netzwerke der Pfarrerinnen und Pfarrer untereinander müssen wieder wachsen. Die vielen vor sich hin kränkelnden Pfarrvereine bieten ein trauriges Bild, andere Formen werden nur sehr vereinzelt praktiziert. Im kollegialen Austausch liegen grossartige Chancen zur Begegnung, zur Intervision, zum Ein-üben von Teamfähigkeit, zum Austragen von Konflikten im geschützten Raum, aber auch zur gemeinschaftlichen Pflege der eigenen Spiritualität, wie es sie in keiner anderen Berufsgruppe gibt.