Neulich donnerte es in der Berner Heiliggeistkirche, als Slam Poet/ innen und Theolog/innen im Wettstreit um die schnellen Worte gegeneinander antraten. Wortergüsse zur Prophetie im Alten Israel und heutzutage allemal. Wortgewalt zum Flüchtlingsdrama im Mare Nostrum und zum pädagogisch gewieften Papst, die sich entlud und das Publikum beben liess. Ich lief nach gelungener Veranstaltung durch den strömenden Regen nach Hause und liess die Wortflut allmählich abklingen. Bis nur noch das Wort der Gewinnerrede blieb, das Wort vom Engel, der mit dem Schwert das Paradies bewacht und sagt: Da kannst du nicht rein. Vor jedem erhofften, herbeigeschworenen, herbeigesungenen, herbeimeditierten Tor zum Paradies steht er und sagt trocken: Kein Zutritt in die holden Gärten.
Was dem Sieger an jenem Abend gelang, war ein Meisterstück theologischer Rede, Sprachkunst jenseits der beklagten kirchlichen Sprachlosigkeit. Er hat mit scharfen Worten ohne Schnörkel die Grenze markiert und die Hörerin mit der dröhnenden Wahrheit in den Ohren zurückgelassen, dass es im Leben vor und mit Gott kein, aber wirklich kein Ausweichen gibt vor der Realität dieser gottverlassenen, gottgeliebten Welt. Er hat seinen Adressat/innen zugemutet, den Verlust auszuhalten, hat keine Alternativen angeboten, die Spannung nicht aufgelöst. Was ihnen bleibt, ist, auf der Grenze zu verweilen und mit dem Engel anzustossen.
Die Gewinnerrede erinnert mich an Überlegungen von Michel de Certeau (1925–1986), der in seinem fulminanten Werk die Sprache von Mystiker/innen des 16. und 17. Jahrhunderts untersucht hat. Ihre Sprache ist geprägt von einem Verlust, vom «Gründungsverschwinden», wie Certeau schreibt, weil Ostern heisst, dass der Körper fehlt. Seither sind Menschen auf der Suche, sehnsuchtstrunken, zerrissen, befeuert und verzweifelt aus Liebe, immer wissend, dass sie den Körper nie mehr haben, halten können. Von jedem Ort, den sie aufsuchen, wissen sie: Er lässt sich hier nicht haben. Ihre Sprache trägt die Zeichen des Verlusts. Darum protzt sie nicht, pocht nicht auf Privilegien, jagt nicht dem Prestige nach. Im Gegenteil: Ihre Sprache ist schwach. Und genau dadurch stark und durchdringend, weil alles auf eine Karte gesetzt wurde.
Warum fällt es heute innerkirchlich so schwer, über die eigenen Erfahrungen mit Gott zu reden, so die Leitfrage, welche die Verantwortlichen des Bildungsmagazins gestellt haben. Warum diese Sprachlosigkeit, diese Hemmschwelle? Gott bewahre, wenn die Schwelle leichtsinnig niedergerissen würde! Dann würde die Versuchung locken, mit vollem Mund Gott aufzutischen, lauthals als Besitz zu verkaufen, was einem als Schatz geschenkt wurde. Wenn die Schwelle niedergerissen würde, dann hätte man früher oder später den Engel mit dem Schwert am Hals, der unsanft daran erinnert, dass der Zutritt zum Paradies verweigert bleibt.
Was bleibt, ist die Herausforderung, auf der Schwelle zu reden. Wissend, dass alle Gotteserfahrung erschaudern lässt und darum nicht ausgesprochen werden kann. Gleichzeitig untrüglich gewiss, dass nur das eine nottut, ich einzig vom Gekreuzigten weiss (1 Kor 2.2), kein Plan B vorhanden ist, und darum das Zeugnis riskiert werden muss, kräftig, furchtlos.
Dr. Claudia Kohli Reichenbach ist seit 1. Juni 2014 Geschäftsleiterin der Aus- und Weiterbildung in Seelsorge AWS und Lehrbeauftragte der Abteilung Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Sie lebt mit ihrer Familie in der Stadt-Communität Don Camillo in Bern.