Jacques-Antoine von Allmen: Aus deiner Erfahrung: in welchen Bereichen sind Pfarrpersonen auf Diakone neidisch?
Urs Noser: Ich nehme wahr, dass wir oft näher bei den Leuten sind und besser vernetzt mit verschiedenen Gruppierungen der Gemeinde. Das hat mit unserer Ausbildung zu tun. Mit Methoden der Animation und der Gemeinwesenarbeit können wir die Menschen motivieren und beteiligen. Diakone haben zum Beispiel gelernt, wie man ein Lager leitet. Wir arbeiten ganz praktisch mit verschiedensten Gruppen, sprechen ihre Sprache. Pfarrpersonen hingegen werden im Theologiestudium zum Teil an den Bedürfnissen der Gemeinden vorbei ausgebildet. Diese brauchen nicht nur Akademiker, sondern auch theologisch gebildete Gemeindepraktiker. Die Nähe der Pfarrpersonen zur Gemeinde wird dadurch erschwert, dass die Bevölkerung oft (auch in der Stadt) die Theologen auf ein «Podest» stellt.
Und ja: einige Pfarrpersonen sind auf Diakone neidisch, die als Prädikanten Gottesdienste leiten und Abdankungen feiern. Je pastoraler der Stellenbeschrieb eines Diakons ausfällt, desto wahrscheinlicher können Reibereien mit der Pfarrperson entstehen. Hier steht die Kirchenvorsteherschaft in der Verantwortung, dass beide Berufsstände ihre unterschiedlichen Ausbildungen und Begabungen für das Ganze einbringen können.
In den letzten Jahrzehnten hat sich der Beruf der Diakone endgültig von der Abhängigkeit von der Pfarrschaft emanzipiert. Die «Gemeindehelfer/in» gehört der Vergangenheit an. Was steht aus deiner Sicht einer wirklichen Arbeitsbeziehung auf Augenhöhe im Weg?
Es hängt alles an der Haltung der beteiligten Personen, ob die Zusammenarbeit als Ergänzung oder als Konkurrenz gelebt wird. Hie und da möchten Pfarrpersonen, teils aus Deutschland, ein pastoralhierarchisches Modell ( zum Beispiel lutherischen Zuschnitts) praktizieren. Da haben Behörden und andere Mitarbeitende einen schweren Stand. Die Situation wurde zum Glück entschärft, seitdem sich Pfarrpersonen aus dem Ausland zuerst zwei Jahre mit den hiesigen Verhältnissen vertraut machen müssen.
In welchen Bereichen siehst du nach wie vor eine Benachteiligung des Berufsstandes der Diakone? Wo müsste mit Priorität eine Angleichung geschehen?
In der St. Galler Kirche kann man nicht mehr von Benachteiligung sprechen. Dass sich aus dem akademischen Grad der Pfarrpersonen ein höherer Lohn ergibt als für Diakone, ist von diesen inzwischen akzeptiert. Viel wichtiger ist die Mitsprache in der Kirchenvorsteherschaft. Dort, wo diese Mitsprache fehlt, können sich Diakone weniger effektiv am Gemeindeaufbau beteiligen. Es braucht hier bei den Behörden ein neues Gemeindeleitungsverständnis, um den verschiedenen Berufsgruppen ihre Rolle zuzuweisen. Die Behörde muss dafür sorgen, dass die unterschiedlichen Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten sinnvoll voneinander abgegrenzt sind. Eine professionelle Teamkultur muss entwickelt werden, dazu braucht es Weiterbildung für alle Beteiligten.
Noch zum Stichwort Kirchenleitung: ich empfinde es als ungemein wertvoll, dass ich als Kirchenrat an der Weiterentwicklung der St. Galler Kirche mitwirken kann. Es geht mir nicht um Interessenvertretung, sondern ich kann als Diakon meine berufliche Optik in das Ganze einbringen.
Zum Schluss die Zauberfrage: wie durch Zauberhand wird die Zukunft schlagartig so, wie du dir sie erträumst. Wie sieht es aus?
Diakone sind nicht die Pfarrpersonen der Zukunft. Ich wäre missverstanden, würde man dies aus meinen Ausführungen ableiten. Ich träume aber von einer gemeinsamen, kirchlich getragenen Ausbildungsstätte, in der alle kirchlichen Berufe ausgebildet und auf ihre Tätigkeit in der Gemeinde vorbereitet werden. Ein ergänzendes Curriculum könnte zum Beispiel der Beruf des «Theologischen Gemeindeleiters» sein. Dieser würde noch viel mehr im Bereich Gemeindepraxis und Leitungs- und Führungskompetenz ausgebildet und Teams in den Gemeinden operativ leiten. Vielleicht würde das auch einen Beitrag zur Rekrutierung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Dienst in der Gemeinde leisten. Motivierten Nachwuchs könnten wir sehr gut gebrauchen!
Urs Noser ist seit 1992 als Sozialdiakon und Prädikant in der Kirchgemeinde Altstätten tätig. Er war von 1994 bis 2010 Mitglied der Synode und von 2008 bis 2010 deren Präsident. Seit 2010 ist er Mitglied des Kirchenrats der Evang. -ref. Kirche des Kantons St.Gallen. Er ist zuständig für das Ressort Geistliche Begleitung mit Familien und Kindern, Jugendfragen und Junge Erwachsene.