Thomas Schaufelberger: Ihr Kerngeschäft ist es, eine Marke teuer zu machen. Was ist der Wert eines Brands?
Mattias Weber: Eine Marke ist aus der Perspektive der Menschen eine gemeinsam geteilte, kollektive Vorstellung über einen Leistungszusammenhang. Wenn man zehn Leute fragen würde, was Mercedes ist, dann gibt es eine kollektive Vorstellung, was unter diesem Namen in den Köpfen der Leute abgespeichert ist. Das baut sich über eine sehr lange Zeit auf. Der Wert liegt in den Köpfen der Menschen und nicht in den Unternehmen. Deshalb sind Menschen auch bereit, einen gewissen Preis für eine bestimmte Gegenleistung zu bezahlen. Eine gute Marke bietet Entscheidungssicherheit, Komplexitätsreduktion und sie hat eine Imagewirkung. Ich kaufe somit auch, was dieses Produkt repräsentiert.
Was braucht es dazu, dass der Wert eine Marke steigt?
Dies ist ein langer Weg für eine Marke. Ein Unternehmen muss eine klare Vorstellung davon haben, was es verankern will. Es muss eine Idee spürbar werden, die relevant ist für die Menschen. Sie muss authentisch sein und sich unterscheiden von den Konkurrenten. Und dann braucht es Kontinuität und Wille, über lange Zeit, diese Vision zu verfolgen. Mit dem Ziel ein Gesamterlebnis bei den Menschen auszulösen.
Sie entwickeln für Ihre Kunden Storys, um Ideen zu transportieren. Weshalb funktionieren Geschichten für die Führung einer Marke?
Auch wenn ich eine starke Idee habe, muss ich mir am Ende überlegen, wie ich den Zugang zu den Menschen schaffe. Früher hat man Wert gelegt auf Kommunikation und Marketing. Das waren frontale Ansätze, in denen Botschaften gesendet wurden. Heute geht es stärker um einen Dialog und eine Diskussion. Ich muss eine Story haben, die essentiellen Inhalt hat und eine relevante Geschichte erzählt. Und diese Geschichte muss einen Teil des Lebens der Menschen erzählen, um einen Zugang zu ihnen zu erhalten. Ich stelle einen Raum zur Verfügung, in denen Menschen interaktiv einbezogen werden mit ihren Perspektiven.
In der Predigttheorie gibt es eine Diskussion, ob frontale Botschaften Menschen erreichen können. Für die Predigt in der Kirche sind interaktive Kommunikationsformen und Storytelling entscheidend.
Und da hat die Kirche einen unglaublichen Schatz von Geschichten, welche die Idee, die Mission und den Anspruch transportieren. Die Frage ist, wie man Geschichten einsetzt, um einen Bezug zu den Menschen zu schaffen. Die Kirche ist in vielen Aspekten ein Vorbild, was Markenführung angeht. Die Symbolik, die Sprache, die Orte, die Rituale über das Jahr und die Kultur sind über Jahrhunderte entstanden. Sie prägen und rhythmisieren unser Leben. Das war streng geführt und hatte deshalb auch Erfolg.
Seit den Sechzigerjahren gibt es eine Abbruchbewegung in der Kirche. Warum ist die Kirche heute weniger erfolgreich, obwohl sie ihre Marke gut geführt hat?
Meine Hypothese von aussen wäre, dass ihre Idee nicht aktuell genug gehalten worden ist. Menschen haben kein Erlebnis mehr, das direkt mit ihrem Leben zu tun hat: In welchem Kontext trifft man sich? Wie ist der Austausch zwischen den Mitgliedern? Wie werden Diskussionen geführt? Wie klinkt man sich in die Welt der jungen Menschen ein? Welche Technologie wird dafür verwendet?
Wenn man sich umschaut, wie stark das Bedürfnis ist nach Klarheit, nach Selbstfindung und nach Sinn, dann wäre ein Bedarf in der breiten Bevölkerung vorhanden. Die Kirche hat es bis jetzt nicht geschafft, diese Experience in die Zukunft zu transformieren, obwohl man eine sehr gute Ausgangslage hat. Die heutigen Kirchen sind die Apple-
Stores, die Konsumtempel, wo man hin pilgert, wo man übernachtet davor, wo man sich austauscht und wo man gemeinsam geteilte Überzeugungen zelebriert.
Konsum ist Religionsersatz. Kann die Kirche auf diesem Markt auftreten oder läge ihre Chance eher in einem Kontrastprogramm?
Viele Menschen bezahlen heute Geld, um Verzicht und echte Erlebnisse haben zu können. Sie wollen in der Wildnis übernachten oder unter freiem Himmel Yoga machen. In diesem Gegentrend zur Überfülle des Konsums hat die Kirche grosses Potential, eine tragende Rolle einzunehmen.
Individualisierung wäre dann das Zauberwort?
Die Individualisierung hat zwei Aspekte. Einerseits sind Menschen individueller geworden. Gleichzeitig gibt es zunehmend das Bedürfnis, sich in Communities zu bewegen. Das sind digitale Gemeinschaften oder solche, die rund um ein Thema oder einen Brand entstehen. Harley-Davidson schafft es, Treffen mit hoch individuellen Menschen zu organisieren, die dann gemeinsam mit denselben Motorrädern durch Dörfer fahren.
Nochmals zurück zur Methodik. Man müsste also konsequent den Aussenblick der Adressaten auf die Kirche einbeziehen?
Genau. Aber auch dort gibt es einen Spagat. Kein Adressat kann mir sagen, was richtig ist für die Organisation. Er kann mir lediglich spiegeln, wie er es sieht und was ihm persönlich wichtig ist. Was man dann daraus macht, dass muss die Organisation entscheiden. Am Schluss braucht es immer eine klare Haltung. Eine konsistente Idee und eine Vision müssen spürbar werden. Reine Marktforschung reicht da nicht. Die Adressaten haben manchmal keine Vorstellung davon, was sein könnte. Das iPad von Apple hätte sich vorgängig niemand vorstellen können. Wenn man die Apple-Kunden gefragt hätte, wären sie nicht darauf gekommen, denn sie sehen nicht in die Zukunft und wie sich die Welt verändert.
Das ist ein Motiv in der Theologie: Das, was die Kirche ist und sie ausmacht, ist nicht in Menschen Hand, sondern von Gott gesetzt, und manchmal ist es so, dass Menschen gar nicht wissen, was sie nötig haben – zum Beispiel das Evangelium.
Was gesetzt sein sollte, das muss einer Idee folgen, und sie muss kräftig und konstant sein. Das ist wie eine DNA. Aber die Ausprägung davon muss entwicklungs- und anpassungsfähig sein. Ein Baum richtet sich auch nach der Sonne und passt sich an, wenn die Sonne weiterzieht. Auf die Kirche bezogen würde ich sagen: die Ambition, die Idee und die DNA sollten gesetzt sein. Dass ist das, was die Kraft gibt. Die Ausprägung, wie die Idee bei den Menschen Relevanz gewinnt, sollte hoch flexibel sein. Für die Kirche geht es also überhaupt nicht darum, die Kernidee wegzunehmen. Die Kirche wird Kirche bleiben. Aber es geht darum, die Art und Weise weiterzuentwickeln, um relevant zu bleiben.
Mattias Weber, CEO der Branding-Agentur futureworks, beschreibt sich auf Linkedin wie folgt: «Experienced leader of a creative consultancy empowering leaders to unleash the story and potential of their business.»