Studie: Jugend, Theologie und Pfarrberuf
Die Jugendlichen von heute interessieren sich für Reli-
gion. Sie suchen offene Räume für religiöse Erfahrung und Reflexion. Welche Konsequenzen und Chancen ergeben sich daraus für die Kirche und den Pfarrberuf? Ein Gespräch mit Professor Stefan Huber, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der WEKOT-Studie.
Matthias Bachmann: Welches Ergebnis der WEKOT-Studie hat Sie am meisten überrascht?
Stefan Huber: Am meisten hat mich die widersprüchliche Wahrnehmung des Theologiestudiums irritiert. Auf der einen Seite werten die Gymnasiasten das Studium überwiegend als lebensnah und vielseitig. Das ist höchst erfreulich. Daraus könnte man schlussfolgern, dass das Studium attraktiv ist. Zugleich sagen sie jedoch, dass es unattraktiv und altmodisch sei. Das wirft Fragen auf: Warum beurteilen sie es als unattraktiv und altmodisch? Zugleich: Warum wird die Kirche oft als altmodisch wahrgenommen und als eine Institution der Vergangenheit, die keine Zukunft hat? Das steht im Widerspruch zu vielen positiven Ansätzen und Aufbrüchen, die es in der Kirche gibt.
Was sind denn Themen und Fragen, die junge Menschen heute bewegen, die zugleich auf ein Theologiestudium oder die Kirche verweisen könnten?
Der Religionsmonitor wurde 2007 und 2012 in vielen europäischen Staaten durchgeführt. In fast allen westeuropäischen Ländern zeigte sich, dass Religiosität bei Jugendlichen, insbesondere bei denen, die nicht konfessionell gebunden sind, in Bezug auf intellektuelle Dimension und auf die religiöse Erfahrung zugenommen hat. Daraus kann man ableiten, dass Gespräche über religiöse Erfahrungen und Themen für Jugendliche attraktiv sind und auf ein Theologiestudium verweisen. Wichtig ist der Aspekt der Autonomie, ein Grundthema unserer Zeit, das bei Jugendlichen besonders ausgeprägt ist. Jugendliche wollen Fragen in einem offenen Raum klären und auch eigene religiöse Erfahrungen machen.
Haben es Fächer wie Religionswissenschaften und empirische Religionsforschung bei jungen Menschen heute leichter, weil sie sozusagen ohne den ideologischen Überbau und die normative Neigung der Theologie auskommen?
Da stecken viele Fragen mit drin. Ich würde sagen, dass die moderne Theologie, wie sie an den Universitäten gelehrt wird, nicht mit einem ideologischen Überbau operiert, sondern einen Raum darstellt, in dem offene Fragen gestellt werden können. Daher stellt sich eher die Frage, ob das den Jugendlichen bewusst ist oder ob sie von einem falschen Bild von Theologie ausgehen. Zudem sind normative Fragen, wenn sie offen diskutiert werden können, für Jugendliche interessant. Denn sie sind ja in einem Alter, in dem sie sich entscheiden müssen, was wichtig, was wahr ist. Solche Fragen stellen sich Jugendliche sehr stark und darum sind für sie normative Fragen grundsätzlich interessant. In Bezug auf die Attraktivität des Theologiestudiums bedeutet es, dass den Jugendlichen gezeigt wird, dass normative Fragen im Studium angesprochen werden, dass diese aber in einem offenen Raum diskutiert werden. Ich denke, dass dies attraktiv ist. Insofern ist die Theologie auch attraktiver als Religionswissenschaft, in der solche Fragen bewusst ausgeklammert werden.
Wie interpretieren Sie die Darstellung 3.14 zum Pfarrberuf (S.6)? Hier sticht als einzige klar positive Eigenschaft «lebensnah» hervor («herausfordernd» ist ja zumindest ambivalent). Ist der Beruf noch anschlussfähig gegenüber den Lebenswelten junger Menschen?
Meiner Ansicht nach hängt die mangelnde Attraktivität mit dem Charakteristikum altmodisch zusammen. Warum altmodisch? Das könnte damit zusammenhängen, dass man Theologie, Kirche und Pfarramt als altertümlich wahrnimmt, als etwas, was kaum Impulse für die Gestaltung der Zukunft geben kann. Wenn diese Analyse richtig ist, dann erhöht sich die Attraktivität des Pfarrberufs, wenn es gelingt, deutlich zu machen, dass die Kirche und der Pfarrberuf eine wichtige Aufgabe in der und für die Zukunft hat, dass beides unverzichtbar ist für die Gestaltung der zukünftigen Gesellschaft.
Wozu braucht es heute überhaupt noch einen studierten Religionsfachmann bzw. eine Religionsfachfrau? Könnte sich das ganze Konzept des Pfarrberufs als eines akademischen Berufs überlebt haben?
Ich würde auf diese Frage mit einem klaren Nein antworten. Die universitäre Ausbildung gewährleistet wissenschaftliche Standards und ein aufgeklärtes Denken. Das ist meiner Ansicht nach ein sehr hohes Gut. Allerdings kann man sich schon darüber Gedanken machen, ob nicht eine grundlegende Reform des Theologiestudiums notwendig wäre. Dabei sollten zum Beispiel die Praxiskompetenzen der zukünftigen Pfarrerinnen und Pfarrer gestärkt werden. In diesem Zusammenhang könnte über eine Stärkung der kirchlichen Ausbildung nachgedacht werden. Beispielsweise wäre es überlegenswert, die kirchliche Ausbildung an einem Seminar für angehende Pfarrerinnen und Pfarrer durchzuführen. Darin sollten Spiritualität und religiöse Selbstreflexion wichtige Themen sein.
Was sind die Anforderungen an eine Pfarrerin und einen Pfarrer
von heute?
Die Kernachsen sind religiöse Erfahrung, Intellektualität und Autonomie des Individuums. Von daher wäre es wichtig, dass Pfarrerinnen und Pfarrer gerade in Bezug auf religiöse Erfahrungen und Intellektualität hin transparent sind. Das heisst, sie sollten zeigen, was sie glauben, wo sie auf der Suche sind, wo sie Fragen haben und auch welche Erfahrungen sie machen und gemacht haben. Sie sollten zudem nicht nur ihre Gewissheiten offenlegen, sondern auch ihre Unsicherheiten und vorläufigen Standpunkte. Mit dieser Transparenz könnten die Gemeindeglieder ermutigt werden, eigenständige religiöse Wege zu gehen und auch das offene Gespräch mit der Pfarrerin und dem Pfarrer zu suchen.