Bereits mit 15 Jahren machte sich Uta Ungerer während des Gottesdienstes Notizen. Sie wusste genau, was sie anders machen würde. Dass sie Pfarrerin wird, war ihr schon damals klar. Doch noch während des Theologiestudiums begann ihre Verbindung zum Christentum zu bröckeln. Ihr Glaube geriet ins Wanken. «Das Studium nährte zwar meinen Intellekt, nicht aber meine Seele», erzählt die 51-Jährige. Auch in den Predigten fand sie nicht den Mut und die Kraft, die sie sich für ihr Leben wünschte. Getrieben von der Sehnsucht nach dem Göttlichen, begann die damalige Studentin mit Gleichgesinnten auf dem Dachboden ihres Hauses eigene Rituale zu gestalten.
Das Theologiestudium schloss die gebürtige Deutsche ab. Ebenso das darauf folgende Vikariat. In dieser Praktikumszeit genoss Uta Ungerer viel Freiraum, Neues auszuprobieren. Das Korsett der kirchlichen Strukturen engte sie jedoch zunehmend ein. Sie suchte nach einem anderen Weg, um Menschen zu begleiten. Auf ihre Ordination verzichtete sie, weil sie nicht wusste, ob sie sich mit dem Segen der Kirche überhaupt identifizieren konnte.
RITUALE AUSSERHALB DER KIRCHE FEIERN
Ohne Plan verliess Uta Ungerer 1996 ihre Heimat und zog in die Schweiz. Mit verschiedenen Gelegenheitsjobs als Älplerin sowie mit der Arbeit mit behinderten Menschen und drogenabhängigen Jugendlichen hielt sie sich über Wasser. Damals gewann ihre Vision, Rituale zu gestalten, wieder an Kraft. Mit der Geburt ihrer ersten Tochter baute sie ihre Selbständigkeit als Ritualbegleiterin auf. Losgelöst von den sie beengenden kirchlichen Strukturen. Sie stellte fest, dass viele Menschen sich danach sehnten, ihre Lebensübergänge zu feiern, dies aber nicht innerhalb der Kirche tun wollten. Die Menschen, die zu ihr kamen, waren keine Atheisten. Vielmehr wünschten sich ihre Kundinnen und Kunden ein individuelles, persönliches Ritual. Ein Ritual, welches das Herz berührt. Das meinten sie, in der ihnen bekannten Kirche nicht finden zu können.
WEG VOM INDIVIDUELLEN HIN ZUM GEMEINSAMEN
Vor acht Jahren begann Uta Ungerer in einem Teilzeitpensum als Katechetin zu arbeiten. Trotz einiger Kompromisse erfüllt sie die Arbeit mit viel Freude. Auch die Verbindung zur Kirche wuchs dadurch. Mit der Zeit hat es sie von den individuell gestalteten Ritualen für Einzelne immer mehr Richtung Gemeinschaft gezogen. Ihre Arbeit als Ritualbegleiterin ist ins Wanken geraten. Über zwei Jahre schwelte dieser Veränderungsprozess in ihr, bis ihr klar war, dass sie als Pfarrerin arbeiten wollte. «Es kam mir vor, als hätte mich jemand an der Hand genommen und mich zurück in die Kirche geführt.» Als Uta Ungerer bei der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn ihr Interesse anmeldete, wieder in der Kirche mitzuwirken, stiess sie auf offene Türen. Der Bereich Theologie mit Personalentwicklung und Weiterbildung pwb klärte, ob sie die Voraussetzungen für den Einstieg ins Pfarramt erfüllte. Uta Ungerer tritt am 1. März 2017 als Pfarrverweserin mit einem 30-Prozent-Pensum in ihrer Heimatgemeinde Melchnau ins Pfarramt ein. Ordiniert wird sie ein Jahr später.
Nach der individualisierten Arbeit als Ritualbegleiterin freut sich Uta Ungerer in ihrer neuen Funktion, die Gemeinschaft zu unterstützen. Dem Gemeinsamen Raum zu geben, werde immer wichtiger in unserer Gesellschaft, ist Uta Ungerer überzeugt. «Ich war und bin beseelt davon, Rituale zu gestalten, die etwas bedeuten und Sinnhaftigkeit verleihen. Ich öffne Menschen Räume, die sie mit ihren eigenen Vorstellungen füllen und gestalten. Daraus entstehen kraftvolle und berührende Momente.» Menschen, die sich für Rituale entscheiden, suchen etwas Bestimmtes. Es gibt kaum einen Grund, dies nicht innerhalb der Kirche erfahr- und erlebbar zu machen. Als Pfarrerin hat sie Gestaltungsspielraum, kann Eigenes in Kasualien einbringen und diese als Lebensfeste gestalten.
ERFÜLLENDE AUGENBLICKE
Die Gottesdienste werden sie als Pfarrerin am meisten fordern. «Wie kann ich die Predigt so gestalten, dass die Menschen Kraft und Mut schöpfen? Wie kann ich eine Geschichte erzählen, die nicht nur interessant ist, sondern das Herz berührt», fragt sie sich. Die grösste Befriedigung ihrer künftigen Arbeit sieht sie in den vielen erfüllenden und unerwartet reichen Augenblicken, die sie gemeinsam mit Menschen erleben darf. Augenblicke, in denen der tiefe Glaube gespürt wird. Dafür den Raum zu öffnen, ist ihre grösste Motivation. Sie kann sich gut vorstellen, künftig als Pfarrerin «Special Events» zu gestalten für Personen, die Ihre Feste zwar kirchlich, aber nicht unbedingt im Kirchenraum feiern wollen.
Mit dem Eintritt ins Pfarramt wird Uta Ungerer von ihrer bisherigen, privaten Ritualarbeit Abschied nehmen. Das war eine Auflage, um in den Kirchendienst einzutreten. Ihr ist Freude und Wehmut zugleich anzusehen als sie mit den Worten schliesst: «Dieses Jahr wird meine Tochter 18 Jahre alt, genau wie meine Ritualarbeit. Beide sind jetzt erwachsen. Nun ist es Zeit, loszulassen.»
Von Esther Derendinger,
Bildungsentwicklung und Kommunikation A+W
Uta Ungerer bot als freie Theologin 18 Jahre lang Ritualfeiern für verschiedene Lebensübergänge an. Daneben arbeitet sie als Katechetin. Im März 2017 tritt sie ins Pfarramt