von Marie Ursula Kind

Eine Flasche und viele Gläser. So stellt Lorenzo Lebrija, Direktor des „Try Tank Experimental Laboratory”, unkompliziert und spontan seine Vision von Kirche dar:  ein loses Netz von relativ eigenständigen interessenbasierten Minikirchen (Gläser) verbunden durch eine Pfarrperson (Flasche). Die Pfarrperson ist in Kontakt mit den unterschiedlichen Minikirchen. Als Beispiele von solchen Minikirchen: nennt er Treffen zum Abendessen (ökumenisch); Treffen im Waschsalon, während man für Bedürftige die Wäsche wäscht; Treffen während einer Aufräumaktion im Quartier; Treffen für Leseratten in einem Buchklub; Treffen zu Kaffee und Kuchen und Austausch von Nachrichten.

Das Zentrum dieses kleinen Kirchenuniversums aus Minikirchen, die sich an unterschiedlichen Orten treffen, ist eine Pfarrperson. Sie amtet in einer Kirche. In regelmässigen Abständen initiiert sie in ihrer Kirche Treffen von Vertretern oder auch aller Mitglieder der angeschlossenen Minikirchen. Anlässlich dieser Treffen richten sich die unterschiedlichen Minikirchen gemeinsam aus auf Gott. Die gemeinsame inhaltliche Basis ist in der US Episcopal Church das common book of prayer. Die Pfarrperson vernetzt die Minikirchen untereinander, wo es thematisch Sinn macht, und Möglichkeiten bestehen, Synergien zu nutzen.

Das Credo von Lorenzo Lebrija: «Church is relational». Seine Vision von Kirche lebt von der Qualität der Beziehungen unter den beteiligten Menschen. Beziehungen halten das ganze Gefüge zusammen, in dem jeder und jede nach eigenen Interessen eine Gruppe Gleichgesinnter finden oder initiieren kann. Verbunden sind alle durch das Evangelium und die Ausrichtung auf Jesus Christus.

 

Lorenzo Lebrijas dreistufiges Vorgehen für das Initiieren einer Minikirche

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Die Energie, die in diesem Ansatz steckt, wirkt ansteckend: einfach einmal ausprobieren, neugierig, spielerisch und mutig sein. Für das Verständnis von Kirche entscheidend ist die Verlagerung des Gewichts weg von der geographisch definierten Ortskirche hin zum lebendigen Kirchenorganismus, der sich nicht über statische Gemeindegrenzen definiert, sondern über vielseitige aktive Beziehungen zwischen Menschen. Die zentrale Frage ist: wo und wie können wir Menschen und insbesondere junge Menschen in ihrem Bedürfnis nach Spiritualität abholen?

Mit dem Bild der Lagerfeuer am Wegesrand (vgl. «Indie-Christen»: Spirituelle Lagerfeuer sind auch Kirche | RefLab) zeigt Evelyne Baumberger sehr schön auf, wo junge Menschen anzutreffen sind. Als kirchlich engagierte Menschen sind wir herausgefordert, uns aus unseren bequemen Kirchengebäuden hinaus aufzumachen hinaus zu den Menschen. Aufmerksames Zuhören ist gefragt, keine Berührungsängste haben, verständliche Sprache finden für Fragen von Spiritualität und Glauben und für die schwierigen Fragen des Lebens. Die Bewegungsrichtung ist hinaus aus den Mauern und hin zu den Menschen.

 

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