Liebe Leserinnen, liebe Leser
Messen Sie doch einmal die geistliche Betriebstemperatur in Ihrer Kirche! – Mit welchem Massstab, fragen Sie mich irritiert? Und schon sind wir mitten in der hitzigen Debatte und fassen die heissen Eisen an, die Protestanten gemäss Martin Hirzel gerne vermeiden. Denn wie Thomas Schlag feststellt, platzieren wir die Temperaturmessgeräte bisweilen an verschiedenen Stellen und nutzen nicht dieselbe Masseinheit. Ausserdem sind wir uns uneinig, welche Temperatur die beste Wirkung erzielt. Das beginnt bei der Sauna, die Juliane Hartmann besucht, und endet beim Gottesbild, das Walter Dietrich beschreibt: Wir mögen es heiss, aber nicht zu heiss. Und eine Abkühlung zwischen den Zeilen tut uns gut. Dennoch: möge das aktuelle Magazin Ihre Gedanken kräftig anfeuern!
Sara Stöcklin,
Nachwuchsförderung Theologiestudium
Wie entsteht in Kirchgemeinden spirituelle und gemeinschaftliche Wärme? Für Thomas Schlag, Professor für Praktische Theologie an der Universität Zürich, ist die Haltung der kirchlich Engagierten der entscheidende Faktor für eine feurige Kirche.
Von Thomas Schaufelberger
Thomas Schaufelberger: Den bloss lauwarmen Papierchristen droht die heisse Hölle. Woher kommt dieses Bild, das ich aus meiner Jugend kenne?
TS Thomas Schlag: Dieses Bild kenne ich, Gott sei Dank, aus meiner eigenen Kindheit nicht. Ich höre daraus natürlich das altbekannte Entscheidungschristentum heraus – relativ unbarmherzig, drängend und auch angstbesetzt, abgesehen von den theologischen Problemen solcher Aussagen sowieso.
Wie oder durch wen ist dieses Bild kultiviert und verbreitet worden?
TS Es gibt in der alten pietistischen Tradition ja das eindrückliche Bild der zwei Wege von Charlotte Reihlen, sozusagen die evangelische Variante des Höllentors. Auf dem breiten Weg drohen Laster, Sünde, Tanz und Spiel, der enge Weg ist den wirklich Frommen vorbehalten, hier wird gebetet, sich züchtig benommen, spaziert, dem Weltsinn und der Eisenbahn abgeschworen. Das sind, wenn man es analytisch sehen will, ultimative Aufforderungen zur Bindung an das eine Wort Gottes, übrigens mit einer gehörigen Portion Modernitätsangst und Verweltlichungsfurcht. Aber mit diesem schroffen Gegensatz von «Tod und Verdammnis» auf der einen, «Leben und Seligkeit» auf der anderen Seite sollte man heute weder religiös bilden noch Kirchenentwicklung betreiben.
Du hast einmal in einem Artikel die Typologie von heissen, kalten und lauwarmen Kirchgemeinden entwickelt. Inwiefern unterscheiden sich die Typen von Kirchgemeinden voneinander?
TS Ja, tatsächlich erlebe ich – sei es bei eigenen Erfahrungen mit kirchgemeindlicher Praxis oder auch bei den Analysen durch unser Zentrum für Kirchenentwicklung – sehr unterschiedliche Temperaturen. Kalt ist es dort, wo man wirklich nur noch «daily routine» macht: wenn also von den Pfarrpersonen über die Verwaltung bis hin zum Gemeindeleben irgendwie alles mühsam erscheint, man könnte es fast parochiale Depression nennen. Vielleicht sollte man es so sagen: Natürlich kann nicht überall ein riesiges Feuer angezündet und dauerhaft Wärme für alle erzeugt werden. Und dass es manchmal nur noch lodert und glimmt, ist ja auch den äusseren Umständen, den sogenannten Megatrends geschuldet. Aber wenn dann im Einzelfall in einer Gemeinde kaum noch Glut vorhanden ist, macht mich das schon betroffen. Und ich verstehe es auch nicht so ganz: die finanziellen Gegebenheiten liefern immer noch erhebliche Mengen an Holz, und Anzünder sind auch vorhanden, und dass spirituelle und gemeinschaftliche Wärme und intellektuelle Reibungshitze gebraucht werden, ist ja nicht von der Hand zu weisen.
Was sind die wichtigsten Faktoren, die über eine Entwicklung in eine heisse oder kalte Richtung entscheiden?
TS Ich denke, dass vieles mit einer Haltungsfrage beginnt. Wenn sich die einstmals bewährten Angebote eben nicht mehr als attraktiv erweisen, dann heisst es, mutig umzusteuern. Man kann das – bei allen Grenzen des Vergleichs – bestens an Wirtschaftsunternehmen, etwa KMU’s, sehen: Ein guter Unternehmer, der für seine Produkte keinen Absatz mehr findet, der muss den Markt neu sondieren und sich überlegen, wie er sich gegebenenfalls ganz neu positioniert. Dazu sind drei Dinge vorausgesetzt: Erstens macht es keinen Sinn, den alten Zeiten hinterherzujammern, zweitens muss er vom eigenen Produkt total überzeugt sein, und drittens ist tatsächlich innovative Expertise gefragt. Wie gesagt, das sind zuallererst Haltungsfragen des kirchlichen Personals – aber nicht nur: Alle sind gefragt, sonst endet man am Ende beim Pfarrerbashing. Oder theologisch gesprochen: Ein fröhlicher und kluger und – um nochmals an die Temperatur zu erinnern: brennend engagierter Geist steht am Anfang von allem.
Welchen Anteil haben Pfarrpersonen?
TS Pastoraltheologisch gesprochen wissen wir, dass – trotz aller reformierten Gemeindeideale – in der öffentlichen Wahrnehmung der Pfarrberuf nach wie vor als der wesentliche Schlüsselberuf angesehen wird. Zudem weiss man aus den Studien zu erfolgreichen und blühenden Gemeinden, dass hier dann eben doch vieles durch die Pfarrpersonen initiiert wird. Und klar ist auch, dass «gegen sie» in der Regel nichts Bedeutsames ins Leben gerufen werden kann. Insofern sollten Pfarrpersonen sich dieser Erwartungshaltung auch nicht nur bewusst sein, sondern dieser auch positiv entsprechen. Ich habe manchmal aber den Eindruck, wie wenn die pastorale Existenz ein starkes Eigenleben im Gegenüber zur Kirchgemeinde führt, als ob es sich dabei um zwei unterschiedliche Planeten handelt. Ich habe übrigens nicht den Eindruck, als ob das auf Seiten vieler Kirchenvorstände so anders ist – jedenfalls bin ich nicht sicher, ob es immer schon ein gemeinsames Verständnis und Bild davon gibt, welche Temperatur denn nun angemessen und notwendig wäre.
Braucht es eine Passung von Pfarrperson und Kirchgemeinde hinsichtlich der Temperatur – oder gleichen sich beide an?
TS Ich bleibe nochmals bei diesem Bild und frage: Kann es sein, dass Pfarrpersonen und Kirchengemeinde eben die Temperaturmessgeräte an sehr verschiedenen Orten platzieren? Nebenbei bemerkt: Jetzt muss man mit diesem Bild aber ein wenig aufpassen…wie auch immer. Ich habe oftmals den Eindruck, dass für die einen ein heizungswarmer Kirchenraum schon die Erfüllung aller Wünsche ist; wenn es dort behaglich und isolationstechnisch «in der Ordnung» ist, reicht manchen dies. Andere wollen wirklich Neues entzünden, werden aber gegebenenfalls mit dem Argument ausgebremst, dass das wieder einmal nur ein Strohfeuer werden könnte. Und wieder andere richten wirklich tolle Kamintreffpunkte ein und werden dann für eine solche Nischenaktivität schräg angeschaut.
Wie sollen die Kirchen das umsetzen?
TS Nun, erst einmal gibt es – weil die Kontexte der Gemeinden so unterschiedlich sind – keinen wirklichen Masterplan für die eine erfolgreiche Umsetzung. Was an einem Ort als wohltuend warm empfunden wird, kann in einer anderen Gemeinde als unerträglich heiss erlebt werden. Problematisch wäre es dann aber, wenn man sich eben auf eine lauwarme Temperatur in der Mitte irgendwie verständigen würde. Damit ist am Ende vermutlich niemandem gedient. Insofern sind für mich eine Reihe von aktuellen Initiativen und Projekten ganz wichtige «Hotspots», die dann auch weiter ausstrahlen können, und sei es nur, um der depressiven Kälte etwas Lebensdienliches und Fröhliches entgegenzusetzen. Es geht darum, dass Kirche durch alle in ihr engagierten Personen Ausstrahlungswärme zeigt. Insofern ist die Temperaturfrage nicht ohne diejenigen anzugehen, für die man als Kirche wirklich da sein will. Und was Strahlungswärme betrifft, ist natürlich sofort auch die Frage nach den eigenen, persönlichen geistlichen Ressourcen auf der Tagesordnung. Wer nach aussen hin strahlen will, sollte doch innerlich etwas vom Licht des Evangeliums erleben.
Prof. Dr. Thomas Schlag hat eine Professur für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik, Kirchentheorie und Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich inne. Zudem ist er Mitgründer und Vorsitzender der Leitung des Zentrums für Kirchenentwicklung (ZKE). thomas.schlag@theol.uzh.ch, www.theologie.uzh.ch
Wie steht es um die innerprotestantische Ökumene? Welches sind die Themen, an denen sich niemand die Finger verbrennen will? Wo soll lieber Harmonie demonstriert werden, um die Einheit nicht zu gefährden? Ein Blick auf die Brandherde in Europa von Pfarrer Martin Hirzel.
Von Marin Hirzel
In der innerprotestantischen Ökumene in Europa werden heisse Eisen nicht gerne angefasst. Schwierige oder gar kirchentrennende Themen stehen zumeist nicht zuoberst auf der gemeinsamen Traktandenliste. Lange standen die evangelischen Kirchen ohnehin im Ruf, untereinander immer zu streiten. Und mit rund vierzig Millionen Mitgliedern bei einer Einwohnerzahl von fünfhundert Millionen ist der Protestantismus in Europa ein Minderheitenphänomen. Da gilt es zusammenzuhalten. Da zelebriert man lieber die Einheit, die durch die Leuenberger Konkordie 1973 ermöglicht wurde. Nach jahrhundertelanger Spaltung wurde es möglich, auf der Basis des gemeinsamen Evangeliumsverständnisses einander als Kirchen anzuerkennen und Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zu erklä-ren. Ob in einer Kirche in Hammerfest oder in Palermo, in Budapest oder in Belfast: überall können sich Reformierte, Lutheraner, Unierte und Methodisten heute in ihrer Kirche zu Hause fühlen. Darum geht es bei Treffen von evangelischen Kirchen in Europa heute oft wie bei Familientreffen zu, wo man sich die Geschichten von früher erzählt und tunlichst alles meidet, was die festliche Stimmung verderben könnte. Man spricht lieber über das Gemeinsame: die bedeutenden und spürbaren Wirkungen der Reformation bis heute oder die nach wie vor vorhandene Anerkennung durch Staat und Gesellschaft.
Der Elefant im Raum
Im Herbst 2018 trafen sich in Basel Delegierte aller evangelischen Kirchen Europas zur 8. Vollversammlung (VV) der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE. Würdevoll getagt und Gottesdienst gefeiert wurde im Münster. Das Bewusstsein, über Grenzen hinweg gemeinsam Kirche zu sein, wurde gestärkt. Im Unterschied zu früher wurden jedoch schwierige Themen zumindest indirekt in den Beschlüssen angesprochen. Die evangelische Wochenzeitschrift «Zeitzeichen» übertitelte ihren Bericht über die VV gleichwohl mit «Elefant im Münster». Es gab sie also, die allen bekannten Themen, die im Raum standen; die Probleme, über deren Verursacher man nicht sprechen wollte.
Zu den heissen Eisen gehört, im Unterschied zur weltweiten Ökumene, das Thema Frauenordination definitiv nicht (mehr). In allen grossen Kirchen ist sie längstens eingeführt. Einzig die kleine lutherische Kirche Polens kennt sie noch nicht. Und als man unlängst in Litauen daran ging, sie wieder abzuschaffen, waren die Reaktionen aus der GEKE heftig. Dieses Beispiel zeigt, dass einmal Erreichtes auch wieder verloren gehen kann. Das gemeinsam gewonnene Verständnis in Theologie, Ethik und Kirchenordnung muss stets wieder bekräftigt werden.
Zerreisprobe vermeiden
Punkto der Fragen rund um die Bewertung der Vielfalt menschlicher Sexualität konnte man lange Zeit erleichtert feststellen: «Anders als die christlichen Weltgemeinschaften drohen wir nicht daran zu zerbrechen.» Das lag aber vor allem auch daran, dass die Kirchen Westeuropas hier eine Meinungsführerschaft beanspruchen und etwa zu Homosexualität eine offene Haltung haben. Nicht zuletzt im Zuge der kirchlichen Debatten um die «Ehe für alle» in ganz Europa trauen sich aber vor allem auch vermehrt die Kirchen in Mittel- und Osteuropa ihre abweichenden Meinungen zu äussern. Um Zerreissproben innerhalb der GEKE zu vermeiden, wird deshalb gegenwärtig eine Orientierungshilfe zum Thema «Sexualität und Gender» erarbeitet.
Gerade im Gespräch zwischen den Kirchen in West- und Osteuropa gibt es weitere heisse Eisen, über die man seit der letzten VV der GEKE vermehrt sprechen will. Der Beschluss, über «Demokratie als Herausforderung von Kirchen und Gesellschaft» zu arbeiten, kann als freundliche Einladung insbesondere an die reformierte Kirche Ungarns verstanden werden. Angesichts ihrer offiziellen Nähe zu Viktor Orbans Fidesz-Partei mit ihrer populistisch-nationalistischen Politik und ihrem Modell eines «illiberalen demokratischen Staates» muss sie sich viele Fragen westlicher Kirchenvertreter gefallen lassen. Bevor diese aber vorschnell Urteile fällen, sollten sie die enge Verbindung von Kirche-Volk-Nation im Zusammenhang der Rolle dieser Kirchen während des Kommunismus und der vorangegangenen Kriege betrachten, wo Sprach- und Volksgruppen willkürlich auseinandergerissen wurden.
Einen gemeinsamen Weg gehen
Politische Themen wie auch die Migrations- und Flüchtlingsthematik sind aber nicht nur zwischen den Kirchen in West und Ost heisse Eisen. In Grossbritannien beispielsweise war die Haltung zum Brexit und damit zur EU im Jahr 2016 durchaus unterschiedlich. So war die protestantische Kirche Schottlands mehrheitlich dagegen, in Wales hingegen dafür. Es sind aber nicht nur ethisch-politische Themen, die in der innerevangelischen Ökumene nach wie vor für Debatten sorgen können. Als an der VV der GEKE in Basel ein Studiendokument zum Thema «Pluralität der Religionen» präsentiert wurde, gab es durchaus auch westeuropäische Stimmen, beispielsweise aus Norwegen, denen die theologische Begründung der explizit wertschätzenden Haltung gegenüber der Wahrheit anderer Religionen zu weit ging.
Auch in der innerprotestantischen Ökumene in Europa gilt, dass man lieber Harmonie demonstriert als Einheit durch heftige Debatten und Streit aufs Spiel setzt. Klar ist: Das Anfassen heisser Eisen tut wohl weh. Aber der Wahrheit ist man dies schuldig. Nur so kann man redlich zusammen einen gemeinsamen Weg gehen oder – was Gott verhüten möge – je einen eigenen.
Pfarrer Dr. Martin Ernst Hirzel, geboren 1965, ist Beauftragter Personalentwicklung Pfarrschaft bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Vorher war er Beauftragter für Ökumene und Religionsgemeinschaften beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) in Bern und Professor für Kirchengeschichte an der Waldenserfakultät in Rom. martin.hirzel@refbejuso.ch .
Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die fast alle lutherischen, reformierten und methodistischen Kirchen Europas einschliesst. Die Mitgliedskirchen haben sich 1973 in Leuenberg bei Basel mit der Leuenberger Konkordie zu gegenseitiger Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verpflichtet. www.cpce-assembly.eu.
Das Pataphysische Institut Basel (PIB) heizt ein. Pataphysik ist die Wissenschaft des Absurden und steht für imaginäre Wirklichkeiten. Das Künstlerkollektiv des PIB ist bekannt für seine experimentellen Events. Juliane Hartmann wagt den Selbstversuch und geht in den Iglu.
Von Juliane Hartmann
Heiss wird’s mir beim Gedanken, was mich an diesem Winterabend erwartet: Community-Sauna im Dachstock einer alten Schreinerei in Downtown Basel. «Du kannst einfach so kommen, Saunatücher hat es und sonst brauchst du nichts.» So hat mich einer der beiden Köpfe der Künstlerkollektivs «Pataphysisches Institut Basel» (PIB) eingeladen. Fröstelnd krieche ich tiefer in meinen Wintermantel. Er schützt mich nicht nur vor der Kälte. Das PIB ist bekannt für experimentelle künstlerische Events, für Anlässe, bei denen Austausch und Vergemeinschaftung zentral sind. Pataphysik als Wissenschaft imaginärer Lösungen ist eine ihrer Grundlagen. Meine Versuche, diesen Ansatz zu verstehen, laufen seit Jahren ins Off – und doch erahne ich immer wieder Verbindungen: zu Kirche, zu Christentum, zu meiner Person. Vielleicht erschwitze ich mir beim Saunieren neue Einsichten?
Doch zuerst gibt’s Hitze anderer Art: In der kleinen Küche im Hinterhof hat jemand Fondue gemacht. Meinen Wintermantel brauche ich hier nicht. Bei Käse, Weisswein und Kirsch erfahre ich mehr über die Sauna im Dach: selbstgebaut, aus einer Lattenkonstruktion, in Igluform und mit Decken abgedichtet. «Zuerst konnten wir nicht glauben, dass das alles tatsächlich funktioniert – doch die runde Form hat physikalische Vorteile: perfekte Wärme und Dampfverteilung». Der Originalofen aus Finnland ist in mehrfacher Hinsicht zentrales Element.
Hin zu den Menschen
Als nächster Schritt ist eine mobile Sauna entstanden: sie lässt sich im Auto oder auch auf Veloanhängern transportieren. «So können wir in der kältesten Nacht nach der Sauna draussen sitzen und reden – mitten in der Natur. Wir können auch mit der Sauna zu den Menschen gehen – sie müssen nicht extra zu uns kommen.» «Wenn hier im Dach jemand saunieren möchte, schreiben wir das einfach in den Sauna-Chat, oder jemand kann auch selber die Sauna starten, wenn er das möchte.» Das kenne ich doch auch: wir nennen das Geh-Struktur und Partizipation.
Während wir Fondue essen, geht immer wieder jemand nach oben und legt Holz nach. Dann der gemeinsame Gang über Treppen und Leitern in den offenen Dachstock: Sofas stehen im Kreis, Tücher hängen auf Wäscheleinen, eine Badewanne voll kalten Wassers, die Sauna – tatsächlich wie ein grosses Iglu. Und auf dem Sofatisch einige Flaschen Bier. «Wenn wir bei Kunstevents die Sauna anmachen, sind die Leute oft etwas unentschlossen.» «Sie kennen das nicht, haben Sorge wegen des Nacktseins (wobei man das ja nicht mal muss) und sie sind unsicher, was die Wärme mit ihnen machen wird.»
Auch wenn ich Sauna an sich kenne und mag, die Unentschlossenheit spüre ich auch in mir. Ich bin verunsichert – das ist alles fremd und unvertraut, irritierend auch. Da erinnere ich mich: Pataphysik geht davon aus, dass die Welt aus Ausnahmen besteht – und Regeln, die Ausnahmen der Ausnahmen sind. Da kann ich nur nicken: ich denke ja auch, dass wir Menschen alle Ausnahmen sind, Einzelanfertigungen. Auch diese Situation ist einmalig.
Grenzen verschwinden
Ich fasse mir ein Herz, wickle mich in eines der Tücher, öffne den Iglu einen Spalt weit und finde mich in einer matt leuchtenden Halbkugel wieder. Das Feuer lodert, der finnische Ofen glüht – und es ist heiss. Sehr heiss. Die Decken isolieren unglaublich gut – die physikalischen Vorteile der Form sind deutlich spürbar. Meine Haut fängt an zu glühen. Zum Glück gibt es Stufen. Ich sitze ganz unten, schaue in das Feuer und fange langsam an zu vergessen, dass ich einen Artikel schreiben wollte. «100 Grad» sagt jemand. Ich finde es einfach nur heiss. Als mir das Atmen schwer fällt, gehe ich hinaus an die Luft und in die Badewanne.
In mein Tuch gewickelt sitze ich auf dem Sofa. Immer noch dampfend, mit klarem Kopf und mit Menschen, die ich heute zum ersten Mal sehe. Ich weiss nicht, wie spät es ist. Die Zeit zerfliesst, der Raum um mich weitet sich, Konturen und Grenzen verschwinden im Dunkeln. Ich sehe weit nach oben, ins offene Gebälk des riesigen Stadthauses. Hoch wie die Decke eine Kathedrale. Sitze zwischen unzähligen Frotteetüchern und Bier. Sieht so der Himmel aus?
Wir reden über das, was wir zum Leben wirklich brauchen, und das, was wir nicht mehr brauchen, wir reden über Perfektion und Improvisation und erzählen davon, den eigenen Träumen zu folgen, auch wider alle Vernunft. Die eigene Passion zu leben, weil sie einen drängt, und nicht um damit etwas zu erreichen, sondern einfach weil sie innerlich bewegt. Pataphysik, so denke ich, die Wissenschaft vom Absurden, das sich nicht erklären lässt. Und ich denke auch an Paulus, der schrieb: wenn ich schwach bin, bin ich stark.
Vertrauen wärmt uns
Im offenen Dachstock bei der Iglusauna begegnen wir Fremden uns im Moment und verstehen uns, wider alle Vernunft. «Wenn die Leute an den Kunstevents den Mut aufgebracht haben und in die Sauna gegangen sind, waren sie danach positiv gestimmt und begeistert.» «Sauna wurde für sie zu etwas Attraktivem.» Wie wünsche ich mir, von Kirche auch so erzählen zu können.
«Du bist doch Pfarrerin – du könntest uns doch mal an einem Saunaabend einen spirituellen Input geben!» Könnte ich hier etwas zu sagen haben? Was wäre meine Botschaft, hier bei Feuer und Wasser? In der Wärme werde ich müde, lasse Gespräche an mir vorbeiziehen, nicke etwas ein. Auch ohne Uhr merke ich, dass es spät geworden ist. Zeit zu gehen – ich steige die Leitern und Treppen im Dunkeln nach unten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt mehr verstehe. Doch vielleicht ist das gar nicht so wichtig. Mich wärmt das Vertrauen, das fremde Menschen mir schenken. Ihre Passion für Improvisation und Imperfektion. Die Wärme des ganzen Abends trage ich in meinem Wintermantel mit nach Hause.
Juliane Hartmann ist Pfarrerin und Beauftragte für die Ausbildung bei A+W. Sie ist neugierig auf Menschen und auf Welten innerhalb und ausserhalb der Kirche und vor allem auf die Welten dazwischen. Unterwegs ist sie gerne – äusserlich wie innerlich. juliane.hartmann@zhref.ch
PIB Pataphysisches Institut Basel ist ein Künstlerkollektiv für experimentelle künstlerische Events und Anlässe, bei denen Austausch und Vergemeinschaftung zentral sind. pataphysical.net
Definition: Pataphysik ist ein absurdistisches Philosophie- und Wissenschaftskonzept des französischen Schriftstellers Alfred Jarry (1873–1907), das sich oftmals als nonsensische Parodie der Theoriebildungen und Methoden moderner Wissenschaft gibt. Die Pataphysik präsentiert sich als scheinbar logische Erweiterung der Wissenschaft und Philosophie. (Wikipedia) pataphysical.net/main
Pataphysik ist ein absurdistisches Philosophie- und Wissenschaftskonzept des französischen Schriftstellers Alfred Jarry (1873–1907), das sich oftmals als nonsensische Parodie der Theoriebildungen und Methoden moderner Wissenschaft gibt. Die Pataphysik präsentiert sich als scheinbar logische Erweiterung der Wissenschaft und Philosophie. (Wikipedia) pataphysical.net/main
Die biblischen Gottesbilder zeigen heissblütige, gewalttätige Züge. Aber es gibt auch Gegenbilder: Die von einem stillen, sanften, barmherzigen Gott. Seine beiden Seiten, die heisse und die kühle, bringt die «Gnadenformel» auf den Punkt. Eine Spurensuche.
Von Walter Dietrich
Manchmal hat man in der Bibel den Eindruck, die Menschen sähen sich einem «kalten» Gott gegenüber, den es nicht kümmert, wenn sie leiden. Der Prophet Habakuk beklagt sich: «Wie lange, Ewiger, habe ich um Hilfe gerufen – und du hörst nicht, schreie ich zu dir ‘Gewalttat!’ – und du hilfst nicht?» (Hab 1,2) Der König Saul ruft, kurz vor seinem tragischen Ende, verzweifelt: «Gott hat sich von mir abgewandt und antwortet mir nicht» (1Sam 28,15). Gott kann sogar – durch Prophetenmund – selbst zugeben, lange Zeit «geschwiegen» zu haben, doch nun wolle er sich wieder vernehmen lassen (Jes 42,14). Die Psalmen beklagen häufig, dass Gott untätig bleibt, wo er etwas tun müsste. Ein kollektives Klagegebet appelliert an ihn: «Schweige nicht und halte nicht still!» (Ps 83,2) Ein einzelner Beter fordert ihn auf: «Schweige nicht, Herr, bleibe nicht fern von mir! Wach auf, erwache für mein Recht» (Ps 35,22f; die Vorstellung vom «schlafenden» Gott begegnet noch in Ps 7,7; 44,24f; 59,5f; 80,3). Grell klingt der Ruf des gekreuzigten Jesus im Ohr: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» (Mk 15,34) In unseren Tagen erinnert das Gedenken an die Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren an das wohl unfassbarste Gottesschweigen der Menschheitsgeschichte.
Es gibt freilich auch das andere: dass es Menschen nur recht ist, wenn Gott sich nicht rührt, ganz gleich, was sie tun. Da können sie das Volk Gottes «zermalmen» und die Schutzbedürftigsten – Witwen, Waisen, Fremde – «töten», und dazu ganz kühl sagen: «Der Ewige sieht es nicht, der Gott Jakobs merkt es nicht» (Ps 90,7; ganz ähnlich Ps 10,11). Es könnten einem wieder die Schergen und Helfer in den Konzentrationslagern einfallen, denen bei ihrem mörderischen Geschäft der Gedanke an Gott vielleicht nicht einmal in den Sinn kam.
Gottes Zorn und Sanftmut
Somit scheint klar: Nur das nicht, bloss kein «kalter» Gott! Muss Gott nicht heissblütig sein, aufwallend gegen das Böse, dreinschlagend gegen das Unrecht? Nicht umsonst ist das Attribut des obersten Gottes von Hellas, Zeus, der Speer, und trägt der nordische Thor den Beinamen «Donnerer». Auch beim biblischen Gott ist oft die Rede von «Zorn», «Rache», von seinem «Eifern». Und es gibt drastische Geschichten dazu: Bald nach der Schöpfung, als in der Welt die Gewalt überhandnimmt, entschliesst sich Gott, alles Leben in einer Sintflut zu ersäufen (Gen 6). Dem Mose erscheint er, symbolisch genug, in einem brennenden Dornbusch, dessen Feuer nicht erlischt (Ex 3). Das versklavte Volk Israel haut er aus Ägypten heraus durch eine lange Folge von Plagen und Gewalttaten (Ex 7–14). Dem eben sesshaft gewordenen Israel kommt er wiederholt zu Hilfe: einmal, indem er Sonne und Mond «stillstehen lässt, bis das Volk Rache genommen hat an seinen Feinden» (Jos 10,13), einmal indem er «vom Himmel her die Sterne kämpfen lässt» (Ri 5,20). Dem König David verhilft er zum Sieg gegen die übergriffigen Philister, indem er sich höchstpersönlich in den Kampf einmischt (2Sam 5,17–25). Auf die Bitte des Propheten Elija hin lässt er Feuer vom Himmel fallen und beschämt damit die Verehrer Baals (dessen Propheten Elija dann reihenweise hinschlachtet: 1Kön 18). Gegen die mörderische, imperiale Grossmacht Assur und ihre Metropole Ninive bietet der Prophet Nahum alle nur denkbare göttliche und menschliche Gewalt auf (Nah 2–3).
Doch zu diesen heissblütigen, gewalttätigen Zügen im biblischen Gottesbild gibt es Gegenbilder: von einem stillen, sanften, barmherzigen Gott. So flüchtet sich der eben noch so erfolgreiche Elija kurz darauf zum Gottesberg Horeb – und erlebt dort, wie Gott nicht in Sturmwind, Erdbeben oder Feuer erscheint, sondern in der «Stimme eines verschwebenden Schweigens» (so Martin Bubers Übersetzung von 1Kön 19,12). Die von ihm herbeigeführte Sintflut hat Gott sofort «bereut» und versprochen, künftig die Erde nicht mehr zu vernichten (Gen 8; wenn also die Erde zugrunde geht, dann nicht seinet-, sondern der Menschen wegen!). Und die Prophetenschrift Jona lässt, im Widerspruch gegen Nahum, Ninive Busse tun und daraufhin von Gott verschont werden (Jona 3–4). Sogar das Krokodil bekommt in der Bibel sein Lebensrecht: Gott versichert Hiob, dass er für dieses wie für alle anderen Tiere ein Herz habe (Hiob 38–41). Und Jesus stellt kühl fest, dass «Gott seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute». Das mag für die, die sich «gut» fühlen und unter «Bösen» leiden, eine Anfechtung sein. Doch alle sollen wissen: Gott ist nicht unbeherrscht-heissblütig, sondern grosszügig-langmütig.
Die heisse und die kühle Seite
Freilich, ein Grüssaugust, den man ungestraft immer nur verlachen kann, ist Gott nicht! Seine beiden Seiten, die «heisse» und die «kühle», bringt die sogenannte «Gnadenformel» auf den Punkt, die in verschiedenen Ausformungen rund zwanzigmal in der Hebräischen Bibel begegnet und deren Grundfassung so lautet: «Der Ewige ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und von grosser Gnade und Treue, der Gnade bewahrt Tausenden, der Schuld, Vergehen und Sünde vergibt – der aber nicht ungestraft lässt, sondern die Schuld der Vorfahren heimsucht an Söhnen und Enkeln, bis zur dritten und vierten Generation» (Ex 34,6f). Gegenüber menschlicher Unzulänglichkeit bewahrt Gott also grundsätzlich «kühlen Kopf», er kann aber durchaus auch «hitzig» werden. Der Mensch muss vor ihm keine Angst, sehr wohl aber Respekt haben!
Im Talmud gibt es einen wunderbaren Midrasch: Gott gleicht einem König, der ein hauchfeines Glas besitzt (gemeint ist: die Welt). Nun hat er zwei Getränke, ein sehr heisses und ein sehr kaltes (Zorn und Langmut). Ob er das eine oder das andere hineinschüttet: Das Glas wird zerspringen. Also mischt er heiss und kalt – und hofft, das Glas werde überstehen.
Prof. Dr. Walter Dietrich ist Emeritus am Institut für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Bern, wo er bis 2009 einen Lehrstuhl für Altes Testament innehatte. Zu seinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten gehören die Themen: Samuelbücher, frühe Königszeit in Israel, Archäologie der Eisen I- und IIA-Zeit, Deuteronomiumsforschung, Bibel und Literatur/Kunst und Theologie und Ethik des Alten Testaments. walter.dietrich@theol.unibe.ch
Der Elefant im Raum
«Heiss» – ein einfaches Heftthema. Im Normalfall wär das sehr angenehm, nicht eine Sekunde nachdenken zu müssen, worüber man denn schreiben könnte. In diesem Fall ist es anders. Ich würde lieber über etwas anderes schreiben als über den Klimawandel. Doch der Klimawandel ist der Elefant im Raum: Man kann ihn natürlich ignorieren, kann so tun, als ob er nicht da wär, kann die «Weltwoche» lesen oder Wollschals stricken. Aber egal, was man tut, es wirkt lächerlich, solange das Tier im Wohnzimmer steht.
Was können wir für das Klima tun? «Das Magazin» hat neulich 75 Tipps aufgelistet, von weniger fliegen bis kürzer und kälter waschen. Alle gut, alle richtig, alle sehr empfehlenswert. Wenn, sagen wir, 75 Prozent von uns allen alle 75 Tipps beherzigen würden, dann wären wir das Problem wohl los.
Dumm ist nur, dass wir das nie und nimmer tun werden. Ich hätte zwar kein Problem damit, auf Flugreisen zu verzichten – aber wenn meine Peer Group übers Wochenende nach Berlin fliegt und sich Reisen nach Bhutan oder Feuerland leistet, dann will ich das auch dürfen. Ich glaube, ich bin in dieser Hinsicht weder besonders vorbildlich noch besonders skrupellos, sondern einfach dürftiger Durchschnitt. An diesem Durchschnitt messen wir uns: Haben wir mehr als die andern, sind wir happy. Haben wir weniger, sind wir frustriert. Das können wir nicht ändern, wir sind so programmiert.
Was wir allerdings ändern können, sind die Rahmenbedingungen: via Politik. Wenn es plötzlich verboten ist, Haarsprays mit FCKW herzustellen, hat kaum jemand ein Problem damit. Wenn das Parlament eine Mineralölsteuer beschliesst, akzeptieren wir sie alle. Das wär also der 76. Tipp, und ich glaube, es ist der wichtigste: Politikerinnen und Politiker zu unterstützen, die das Thema wirklich angehen. Die den Elefanten nicht nur sehen, sondern helfen, ihn rauszutragen. Weil der Elefant schwer ist, brauchen wir viele von ihnen. Andere sollten wir nicht mehr wählen.
Niko Stoifberg ist 1976 in Luzern geboren und leitet die englische Redaktion bei getAbstract. Zuvor hat Stoifberg in der französischsprachigen Schweiz Germanistik studiert und als Journalist gearbeitet – unter anderem für Das Magazin, Merian und den Schweizer Monat. Ende Januar 2019 erschien sein Romandebüt «Dort» beim Nagel & Kimche-Verlag.
Ein Stück Heimat
Pfarrerin zu werden, das war ein Jugendtraum von mir. Doch als junger Mensch traute ich mir den Pfarrberuf nicht zu. Ich wurde Rechtsanwältin und spezialisierte mich auf Völkerstrafrecht. Während mehr als fünfzehn Jahren arbeitete ich am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, in Sarajewo, Pristina und Genf.
Trotz reicher Erfahrungen kam ich an den Punkt, an dem ich mir eine Veränderung wünschte. Der theologische Studiengang für Quereinsteigerinnen ermöglicht es, mir meinen Jugendtraum zu erfüllen und Pfarrerin zu werden. Die in der Bibel überlieferten Geschichten von Gottes Weg mit den Menschen faszinieren mich. Sie möchten in die heutige Zeit hineinerzählt werden.
Aus meinem bisherigen Berufsleben bringe ich einen Rucksack voll wertvoller Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit Menschen verschiedener Kulturen mit. Und die Gewissheit, dass Gott einen langen Atem hat und wir im Vertrauen auf ihn jeden Tag wieder das Unmögliche wagen können.
Ich wünsche mir eine Kirche, die ein offenes Haus ist, in dem Menschen aller Altersgruppen Inspiration und Begleitung finden und ein Stück Heimat erleben. So wie ich selbst: Aus beruflichen Gründen bin ich immer wieder umgezogen und wurde in jeder neuen Kirchgemeinde mit offenen Armen aufgenommen.
