Liebe Leserinnen, liebe Leser
Was verbinden Sie mit «weiblich»? Körperattribute oder Klischees, Feminismus, Macht oder Mutterschaft, Gott, sich selbst? Unsere Autorinnen und Interviewpartnerinnen – wir haben für diese Ausgabe bewusst nur Frauen angefragt – verbindet es, dass sie bei dem Begriff an Chancen denken. So sieht EKS-Präsidentin Rita Famos in vielfältigen Rollen- und Berufsmodellen eine Chance für die Kirche, während Wirtschaftsprofessorin Dagmar Preissing die Chancen für Frauen in der digitalisierten Arbeitswelt analysiert. Die Chance nicht zu verpassen, andere Blickwinkel und Dimensionen der Spiritualität zuzulassen, ist das Anliegen der Theologinnen Hildegard König und Evelyne Zinsstag. Wir wünschen Ihnen – den 49,9 Prozent unser weiblichen genauso wie den 50,1 Prozent der männlichen Leserschaft – eine anregende Lektüre!
Sara Stöcklin,
Nachwuchsförderung Theologie
Sie ist Pfarrerin geworden, als es noch wenige weibliche Vor- bilder gab. Heute ist Rita Famos Präsidentin der EKS und freut sich über die vielfältigen Rollen- und Berufsmodelle von Pfarr- personen. Ein Gespräch über vermeintlich weibliche Eigenschaften im Beruf und ein Blick auf die kirchliche Bildung.
Von Juliane Hartmann
Juliane Hartmann: Rita Famos, du bist seit 1. Januar 2021 Präsidentin der Evangelischen Kirche Schweiz (EKS) – wo und wie hast du gelernt, was du für deine jetzige Aufgabe brauchst?
Rita Famos (RF): Zum einen war das «learning by doing» durch die verschiedenen Tätigkeiten, die ich schon ausgeübt habe. Tatsächlich begegnen mir nun wieder viele Pfarramtsaspekte. Das Präsidium ist auch eine pastorale Aufgabe: Networking, auf andere zugehen, sie einbeziehen, Theologie treiben und Impulse setzen. Ich freue mich, dass ich bereits in einigen Kantonalkirchen zum Predigen eingeladen wurde. Ich kann in den verschiedenen Themenbereichen allein nichts erreichen, das war in der Kirchgemeinde so und jetzt ebenfalls. Auch als Dekanin und als Abteilungsleiterin habe ich viel gelernt, zum Beispiel das Moderieren einer Expert*innenorganisation oder das Vernetzen mit weltlichen Organisationen. Lehrreich war auch die Arbeit in multikonfessionellen Gremien, wo es galt, sehr unterschiedliche theologische Ausrichtungen an einen Tisch zu bringen und Lösungen zu erarbeiten, wie beispielsweise 2013 eine gemeinsame Stellungnahme zum Lehrplan 21. Diese Arbeit gibt mir Sicherheit für meine jetzige Aufgabe.
Zum anderen habe ich viel in Weiterbildungen gelernt – auch aus- serhalb der Kirchen. In der Ausbildung in systemischer Therapie und Beratung immer das Ganze in den Blick zu nehmen, das ist eine Grundhaltung und viel mehr als nur eine Technik und im Leiten von Kirche besonders wichtig. Lehrreich waren für mich auch die Weiterbildungen, die ich im Nonprofit-Management gemacht habe.
Und was würdest du gern noch lernen?
RF: Mein Französisch würde ich gern verbessern, Rätoromanisch lernen – und Klavierspielen.
Du hast deine Berufskarriere im Pfarramt gestartet. Hattest du Vorbilder?
RF: Mein Vorbild ist meine Vikariatspfarrerin. Sie hat in authentischer Art ihre Frau gestanden. Sie hatte Ausstrahlung und Sicherheit. Sie war Pfarrerin, ohne das Frausein vor sich herzutragen. Damals war man als Pfarrerin noch etwas exotischer als heute. Als ich mir als Jugendliche überlegte Pfarrerin zu werden, kannte ich noch kein weibliches Rollenmodell. Heute schaue ich gerne auf unsere Bundesrätinnen, die alle auf ihre eigene Art einen sehr guten Job machen. Und weil ich eher auf Harmonie bedacht bin, lerne ich viel von Frauen, die mutig und manchmal fadengerade sind, die etwas kritisch ansprechen und auf den Punkt bringen.
Hast du aus deiner Sicht weibliche Eigenschaften, die du für deine jetzige Aufgabe einsetzen kannst – und gibt es die überhaupt?
RF: Es gibt Studien, die sagen, dass Frauen nicht anders führen als Männer, sondern es vielmehr die Charaktereigenschaften, die Erfahrungen und Expertisen sind, die ihre Führungsart prägen und nicht ihr Geschlecht. Ich denke jedoch, es liegt einiges in der Art, wie Mädchen in meiner Generation sozialisiert wurden, das ich nun gut brauchen kann: aufs Ganze schauen, zuerst zuhören, bevor man ins Kraut schiesst, sich um andere sorgen. Unsere Söhne sind mittlerweile anders erzogen und sozialisiert worden und bringen diese Eigenschaften hoffentlich auch mit.
So ist mir eine plurale Kirche wichtig, in der alle zu Wort und mit- einander ins Gespräch kommen. Eher Frauen zugeschrieben wird auch, dass sie themen- und sachorientiert sind, es ihnen nicht so sehr um sie als Person geht. Ob das eine weibliche Eigenschaft ist? Mir ist das Gemeinschaftliche wichtig. Meine Bürotür ist offen und ich trinke gerne auch mal einen Kaffee mit den Mitarbeitenden im Haus.
Dein Vorgänger hat von der zunehmenden Feminisierung des Pfarrberufs gesprochen – wie nimmst du diese Entwicklung, samt Chancen und Risiken wahr?
RF: Ich finde es wunderbar ist das Rollenmodell des Pfarramts nun so vielfältig und es Pfarrerinnen und auch homosexuelle Pfarrpersonen gibt. Dadurch bildet der Pfarrberuf auch die Vielseitigkeit der Gemeinden und der Gesellschaft ab. Als Kirche stellen wir vielseitige Persönlichkeiten und Verkündigungsstile zur Verfügung. Wir sind diverser geworden, das ist eine grosse Chance. Da haben es die Katholiken viel schwieriger.
Ich hoffe allerdings, dass wir divers bleiben und nicht in eine andere Monokultur geraten, wie das zum Beispiel im Lehrberuf der Fall ist. Wir sind auch in den Berufsmodellen diverser geworden. Pfarrpersonen können Teilzeit arbeiten, das ist eine äusserst positive Entwicklung – schon Paulus war Zeltmacher und hat sozusagen «avant la lettre» Teilzeit gearbeitet. Bereichernd ist dabei, dass man dadurch einen anderen Hintergrund einbringen kann beispiels- weise als Familienmann oder -frau, oder in einem anderen Setting. Etwas entgegen dem Mainstream in der Pfarrschaft, hoffe ich, dass die Kultur des Pfarrhauses erhalten bleibt und Pfarrer*innen mit den Menschen ihrer Gemeinde das Leben teilen, das macht auch ihre Seelsorge und Verkündigung lebensnah. Es muss nicht das klassische Pfarrhaus sein, wichtig ist, dass wir als Menschen nahbar und im Alltag erlebbar sind.
Wie ist der Blick der EKS auf das Thema Bildung?
RF: Ich fände es wichtig, die Ausbildungen für Pfarrer*innen über den Röstigraben hinweg zu verbinden und voneinander zu lernen, auch indem Vikarinnen und Vikare sich treffen. Die Berner Ausbildung könnte eine Art Scharnierfunktion haben. Auch multiprofessionelle Elemente in den Ausbildungen scheinen mir wichtig – allein kann eine Berufsgruppe nur wenig bewirken. Ausserdem finde ich es gerade im elektronischen Zeitalter sinnvoll, wenn Mitgliedkirchen einander Bildungsformate zur Verfügung stellen, wie beispielsweise Glaubenskurse. Angesichts der zunehmenden Entkirchli- chung werden inzwischen Leute erwachsen, die keinen Religions- unterricht mehr hatten und über Glauben oder Reformiert-Sein nichts wissen. Da gilt es, Formate zu entwickeln, um Menschen ins Gespräch über Glauben und Reformiert-Sein zu bringen. Mitgliedskirchen können das gemeinsam machen. Ich sähe auch die Möglichkeit, dass Theologische Fakultäten wieder vermehrt untereinander und mit der Kirche zusammenarbeiten und fragen, wie wir uns die Aufgaben so aufteilen können, damit wir als Theologie präsent bleiben – wenn auch nicht als Bern, Basel, Zürich.
Was machst du denn gern, wenn du nicht arbeitest?
RF: Das sind ganz normale Sachen wie Kochen oder Handarbeiten. Etwas, wo man am Schluss sieht, was man gemacht hat. Ich bin gerne in der Natur unterwegs, wandernd, radfahrend, schwimmend. Im Kreis meiner Familie und meiner Freundinnen und Freunde tausche ich mich gerne aus, geniesse die Gemeinschaft. Und ich träume davon, wieder reisen zu können.
Gibt es auch etwas, was du gern noch machen würdest?
RF: Mein Leben ist vielseitig und spannend – ich habe nicht das Gefühl, dass viel zu kurz kommt, ausser vielleicht das Nichtstun, die Langeweile. Und kommt etwas Interessantes, Neues, packe ich Gelegenheiten gerne beim Schopf.
Pfarrerin Rita Famos ist seit 1. Januar 2021 Präsidentin der EKS. Davor leitete sie sieben Jahre die Abteilung Spezialseelsorge der Reformierten Kirche Kanton Zürich. Weitere berufliche Stationen waren: Beauftragte für die Ausbildung bei A+W, Sprecherin «Wort zum Sonntag» beim SRF, Dekanin und Gemeindepfarrerin. rita.famos@evref.ch
Noch heute erscheinen Bibelübersetzungen, die Gott als Herrn darstellen. Noch immer ist es möglich, ein Theologiestudium ohne jede Auseinandersetzung mit feministischen Ansätzen zu absolvieren. Trotzdem hat sich in den letzten 50 Jahren einiges getan in der feministischen Theologie.
Ein Essay von Evelyne Zinsstag
Was haben die jüngst erschienene BasisBibel, die Luther Bibel von 2017 und die Zürcher Bibel von 2007 gemeinsam? Sie übersetzen das Tetragramm des Gottesnamens JHWH durchgängig mit HERR, ohne die mittlerweile 50-jährige Kritik an dieser Übersetzung zur Kenntnis zu nehmen: «Wenn Gott männlich ist, ist das Männliche Gott.» So formulierte es die radikale katholische und später postchristliche feministische Theologin Mary Daly 1973 in Beyond God the Father (zu Deutsch Jenseits von Gottvater, Sohn & Co.).
Diese Erkenntnis hat sich seither nur mit Mühe Raum verschafft – etwa in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache von 2006, die für den Gottesnamen verschiedene Bezeichnungen anbietet und so zu einem Nachdenken über Gottesbilder anregt. Seit den frühen 70er- und den späten 00er-Jahren hat sich viel getan in der feministischen Theologie – und leider noch viel zu wenig in der sogenannt «allgemeinen Theologie», in die junge Studierende an den meisten Universitäten eingeführt werden. Dass heute noch Bibelübersetzungen erscheinen, die Gott einseitig als Herrn darstellen, belegt dies nur allzu deutlich.
Ignoriert und ausgeschlossen
Dabei haben gerade in den exegetischen Fächern feministische Ansätze bedeutende Erkenntnisse über die Rolle der Frauen in der Bibel und auch über deren Unsichtbarmachung beigetragen. Unsichtbar gemacht wurden und werden natürlich nicht nur Protagonistinnen biblischer Geschichten, sondern auch Frauen in der Kirchen- und Theologiegeschichte. So ist auch die Geschichte der feministischen Theologie voller Erfahrungen des Scheiterns, des Ignoriertwerdens oder des Ausschlusses. Der Berner Alt- testamentlerin Silvia Schroer wurde bei ihrer ersten Berufung auf einen katholischen Lehrstuhl in Tübingen 1991 das bischöfliche «nihil obstat» verweigert – so wurde sie schliesslich Professorin an einer reformierten Fakultät. Die Theologin Ina Praetorius wiederum konnte an der Theolo- gischen Fakultät Zürich 1987 mit ihrer Doktorarbeit «Anthropologie und Frauenbild in der deutschsprachigen protestantischen Ethik seit 1949» nicht promovieren – die Doktorwürde wurde ihr stattdessen 1992 in Hei- delberg verliehen.
Die feministische Theologie entstand im Zuge der zweiten Frauenbewegung ab den 70er-Jahren und verbündete sich früh mit der lateinameri- kanischen Befreiungstheologie. Sie war von Beginn an unbequem mit ihrer unverblümten Kritik an patriarchalen Machtstrukturen, androzen- trischen Denkmustern, und schlicht an der vielfältigen Gewalt, die dem weiblichen Geschlecht im Namen der christlichen Religion angetan wurde, und sie bleibt es bis heute. Die Konsequenz: Sie wird, ausgenom- men von entsprechend gesinnten Professor*innen und Dozierenden, einfach ignoriert. Und es ist weiterhin an vielen Fakultäten möglich, ein Studium ohne jede Auseinandersetzung mit feministischen Ansätzen zu absolvieren.
Als ich im dritten Jahr meines Studiums auf Marga Bührigs «Die unsicht- bare Frau und der Gott der Väter». Eine Einführung in die feministische Theologie von 1987 stiess, öffnete sich mir ein neuer Zugang zur Theo- logie. Plötzlich hatte diese mit mir persönlich zu tun und glich nicht mehr nur einer Menge abstrakter Konzepte. Über verschiedene Netzwerke lernte ich feministische Theologinnen in der Schweiz kennen und tauchte in aktuelle Themen ein: Stichworte wie Gleichheits- und Diffe- renzfeminismus, Befreiungstheologie, Intersektionalität, Queer Theology, Womanist Theology, interkulturelle und postkoloniale Theologie und weitere mehr.
So vielfältig sind die Themen und Ansätze, dass sie sich nicht in einer abs- trakten Theorie fassen lassen – es sei denn im Bekenntnis zu einer anwaltschaftlichen Art der Theologie, die gezielt marginalisierte Perspektiven einnimmt und sich für deren Recht einsetzt. Aus diesem Grund bleibt die Erfahrung schmerzhaft, dass trotz vieler überwundener Hindernisse der Weg zur Aufnahme in den Kanon der Theologie grösstenteils unerreicht bleibt.
Netzwerke schaffen neue Freiräume
Auf der anderen Seite hat ebendiese Erfahrung in der Frauenbewegung immer wieder dazu geführt, dass Frauen lernten, sich aufeinander zu beziehen, anstatt auf Anerkennung von aussen zu hoffen, und sich so neue Freiräume zu erschaffen. In diesen Räumen können sie die eigene Situation und daraus hervorgehende Standpunkte ergründen und Strate- gien fassen, diese Standpunkte nach aussen zu tragen. Ein solcher Raum entstand im Januar, als Münchner Doktorand*innen feministische Theologinnen verschiedener Generationen zu einem Podium luden. Im kont- roversen Gespräch zeigte sich, dass die feministische Theologie nicht von Harmonie und Einheitlichkeit geprägt ist, sondern vom gemeinsamen Kampf um Gerechtigkeit für alle Geschlechter – ein Kampf, der auch widersprüchliche Positionen beinhalten kann.
Ein anderer solcher Raum, die IG feministische Theologinnen, feiert die- ses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Die ökumenisch ausgerichtete Interes- sensgemeinschaft engagiert sich durch öffentliche Stellungnahmen und Weiterbildungen für Geschlechtergerechtigkeit in den Kirchen und eine bessere Vernetzung unter gleichgesinnten Frauen. Eine ihrer Gründerin- nen, die Theologin Doris Strahm, erhielt im Dezember 2020 von der Uni Bern die Ehrendoktorwürde für ihr feministisch-theologisches Lebens- werk. Solche Meilensteine und Ehrungen ermutigen für den weiteren Weg, der vor der feministischen Theologie liegt – ein Weg, der gewiss nicht frei von Steinen sein wird, der aber zu überraschenden Aussichten und hoffnungsvollen Perspektiven führt.
Evelyne Zinsstag ist Pfarrerin der Eglise française réformée de Bâle und in verschiedenen feministisch-theologischen und kirchlichen Frauenorganisationen engagiert. 2020 veröffentlichte sie gemeinsam mit Dolores Zoé Bertschinger ihr Buch «Aufbruch ist eines und Weitergehen ist etwas anderes.» (vgl. Buchtipp S. 9) evelyne.zinsstag@ protonmail.ch
Feministische-theologische Netzwerke in der Schweiz: IG feministische Theologinnen der Deutschschweiz und Liechtenstein (feministische-theologinnen.ch); Tsena Malalaka (malalaka.org); ESWTR (eswtr.org); FAMA (fama. ch); Christlicher Friedensdienst (cfd.ch) frauensynode.ch
«Aufbruch ist eines, und Weitergehen ist etwas anderes» Frauenräume von der Saffa 58 über das Tagungszentrum Boldern zum Frauen*Zentrum Zürich, Evelyne Zinsstag, Dolores Zoé Bertschinger, eFeF Verlag, Wettingen, 2020.
Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Antworten auf die Frage zu finden, wie wir die Arbeit der Zukunft gestalten, um soziale Gerechtigkeit und Gendergerechtigkeit zu gewährleisten. Die Wirtschaftsprofessorin Dagmar Preissing zu Chancen und Risiken für Frauen in der digitalisierten Arbeitswelt.
Von Dagmar Preissing
Digitalisierung verändert die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und die Art, wie wir arbeiten. Was bedeuten diese Veränderungen für weibliche Erwerbstätige? Die Flexibilisierung der Arbeit im Hinblick auf Zeit und Ort scheint gerade für Frauen Potenziale im Berufsleben zu eröffnen. Denn die Forderung nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für berufstätige Frauen nach wie vor ein zentrales Anliegen. Und hier scheinen die Möglichkeiten der Arbeit 4.0 in Form von Homeoffice und Plattformökonomie wie Crowdworking diese Wünsche zu verwirklichen. Ein grosses Risiko gehen Frauen aber dann ein, wenn sie sich ausschliesslich in diese flexibilisierten Arbeitsverhältnisse begeben – sie werden dann die Verliererinnen der Arbeit 4.0 sein. Denn der Rahmen des Arbeitsrechts wurde an diese neuen Arbeitsformen und -verhältnisse noch nicht mit ent- sprechenden arbeitsrechtlichen Schutzmassnahmen angepasst. Und das bedeutet ein hohes prekäres Potenzial. Zudem ist bekannt, dass der bereits bestehende Gender Pay Gap, der in der Schweiz 2018 gemäss Bundesamt für Statistik noch bei 11,5 Prozent lag, bei diesen Arbeitsverhältnissen für Frauen noch höher ist als in einem Normalarbeitsverhältnis. Sie haben ein bis zu 18 Prozent geringeres Einkommen als Männer. In der Studie »When Home Affects Pay« von Abi Adams-Prassl, Janine Berg wird bei Crowdworking der Gender Pay Gap mit einem prozentualen Lohnan- teil von 82 Prozent des durchschnittlichen Verdienstes von männlichen Plattformarbeitenden benannt.
Homeoffice: Frauen sind zu Hause
Auch die scheinbar flexible Zeiteinteilung ist nur ein Trugbild. Betrachtet man beispielsweise eine Plattform-Dienstleistung wie »Erstellen von Powerpoint-Präsentationen«, so ergibt sich ein ganz anderes Bild. Für diese Tätigkeit kommen freitagabends oder samstagmorgens die häufigsten Aufträge, die bis Montagmorgen erledigt sein müssen. Das heisst aber für die Auftragnehmerin, dass ein Wochenende mit der Familie so nicht möglich ist. Denn der Auftraggeber gibt die Arbeitszeiten vor. Die Fremdbestimmtheit der Arbeitszeit bleibt bestehen oder nimmt sogar noch zu.
Auch die Arbeit im Homeoffice birgt für Frauen vermehrte Risiken, obgleich diese Arbeitsform vor dem Hintergrund der Vereinbarkeit von Familie und Beruf so attraktiv erscheint. Zum einen trägt diese Arbeitsform erneut zur Festigung des Rollenstereotyps und der Rollenzuschreibung von »Frauen sind zu Hause« bei. Zum anderen stellt diese Arbeitsform ein Karrierehemmnis dar. Wer von zuhause arbeitet, ist im Unternehmen seltener präsent. Wer aber nicht präsent ist, ist auch nicht sichtbar und wird dann bei Karriereentscheidungen seltener berücksichtigt.
Andererseits hätten Frauen gute Chancen, Führungsfunktionen der Zukunft zu übernehmen. Denn die Digitalisierung stellt neue Anforderungen an Organisationen: Sie müssen agiler und fluider werden. In Folge wer- den Hierarchien ab- und dafür Netzwerkstrukturen aufgebaut. Mit diesen Veränderungen übernehmen Führungskräfte andere Aufgaben: Es geht stärker um die Steuerung von Netzwerkstrukturen und um interkulturell und interdisziplinär zusammengesetzte Teams – und damit vermehrt um Kommunikationskompetenzen. Frauen werden ja gerade im Bereich die- ser sozialen Kompetenzen erhöhte Fähigkeiten zugesprochen. So hätten sie gute Chancen, sich in der Arbeit 4.0 als Führungskraft zu etablieren.
Digitale Kompetenzen werden unabdingbar
Ein Aspekt ist jedoch zentral, wenn sich Frauen in der digitalen Arbeitswelt und den neu entstehenden Branchen und Berufsbildern etablieren wollen, sie benötigen digitale Kompetenzen und sollten sich auch nicht vor MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, scheuen. Denn aktuell arbeiten zu viele Frauen in jenen Top-10-Berufen, die aufgrund der Digitalisierung als sehr gefährdet gel- ten wie der Gastronomie-Service, die Buchhaltung oder der Verkauf. Zwar arbeiten auch viele Frauen in jenen Berufen, die zu den Top-10-ungefährdeten Berufsbildern gehören wie Erzieherinnen, Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege, doch in fast allen künftigen Berufsbildern der Arbeit 4.0 werden digitale Kompetenzen zwingend erforderlich sein. Zu diesem Schluss gelangt auch der Wissenschaftler Markus M. Grabka in seiner Studie »Genderspezifische Verteilungseffekte der Digitalisierung«.
Eines ist sicher, je niedriger qualifiziert eine Tätigkeit ist, desto eher und schneller wird sie durch Maschinen ersetzt. Die Digitalisierung wird aber auch höher qualifizierte, auch akademische Arbeitsbereiche verändern. Insgesamt wird die Mensch-Maschine-Interaktion zunehmen, die Maschine wird Unterstützerin, Kollegin oder Kontrolleurin des Menschen.
Zusammenfassend gilt, dass die Arbeit 4.0 berufsspezifische Veränderungen bewirkt und »future skills« erfordert, die allen Berufsbildern gemeinsam ist: Digitale Kompetenz und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Die Bedeutung von Bildung und hoher Qualifizierung nimmt zu – unabhängig vom Geschlecht.
Prof. Dr. Dagmar Preissing hält eine Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Personalmanagement und Führung. 2019 erschien ihr Buch «Frauen in der Arbeitswelt 4.0 - Chancen und Risiken für die Erwerbstätigkeit» beim Verlag Walter De Gruyter GmbH, Oldenburg. dagmar.preissing@ w.hs-fulda.de
An der Universität Zürich leitet der Theologe Thomas Schlag gemeinsam mit einem interdisziplinären Team den Forschungsschwerpunkt «Digital Religion(s). Communication, Interaction and Transformation in the Digital Society». Untersucht wird, wie sich die religiöse Praxis von Individuen und Institutio- nen durch die Digitalisie- rung verändert am Beispiel des Gottesdienstes, der Seelsorge, der Trauerbegleitung und religiöser Netzwerkbildung. www.theologie.uzh.ch
Die Bibel wurde benutzt, um Frauen aus kirchlichen Ämtern auszugrenzen. Hildegard König, bis 2020 Kirchengeschichts-Professorin in Dresden, zeigt, wie diese Argumentations-linien bis in die heutige Zeit wirken und was dagegen wirkt.
Von Thomas Schaufelberger
Thomas Schaufelberger: Im Buch «Erzählen als Widerstand» zeigen Sie in einem Essay, dass die Bibel missbraucht werden kann, um einen spirituel- len oder sexuellen Missbrauch an erwachsenen Frauen zu kaschieren. Wie geschieht das?
Hildegard König (HK): Ein Missbrauch der Bibel ereignet sich im Kontext von geschlossenen Abhängigkeitsverhältnissen, in der eine geistliche Bezugsperson in manipulativer Weise ihre eigenen, verdeckten Interessen durchsetzen will. Das kann der Wunsch sein, einen Menschen zu dominieren, das eigene Ego auszuleben oder materielle Vorteile zu ergattern. Die führende Person beansprucht eine Deutungshoheit in Sachen Spiritualität aufgrund des Status – zum Beipiel als Vorgesetzter – oder kraft eines sakralen Amtes. Die Person tritt mit theologischer oder spiritueller Expertise auf und zitiert Bibelworte, die aus dem Kontext gerissen und für eigene Zwecke enggeführt werden.
Können Sie ein Beispiel dafür machen?
HK: Der wunderschöne Satz – «Liebt einander, wie ich euch geliebt habe» – kann, vom Kontext gelöst, in Abhängigkeitsverhältnissen die Abwehr des schwächeren Parts unterlaufen. Das geht dann so: «Ich gebe mein Leben für dich, wie Jesus. Und was machst du? Liebst du mich auch so?» Solche eng geführten Bibelgespräche bergen die Gefahr, zu einer Rollenvermischung oder zu einer Identifikationsverschiebung zu führen. Die geistliche Autorität setzt sich identisch mit Gott bzw. Jesus, oder befördert eine Projektion durch die abhän- gige Person. Der Wille des Dominanten erscheint dann als der Wille Gottes bzw. Jesu.
Hat dieser Missbrauch der Bibel eine längere Tradition?
HK: Schon im Neuen Testament kritisiert Jesus eine Umdeutung des 4. Gebots durch die Pharisäer zu eigennützigen Zwecken. Eine ähnli- che Umdeutung haben wir auch bei der Salbung Jesu durch eine Frau. Sie kommt in den synoptischen Evangelien mehrfach vor. Nur ein einziges Mal – bei Lukas – erscheint sie als Sünderin. In der Auslegungsgeschichte herrschte lange eine frauenfeindliche Interpretation vor, in der die Sündigkeit dieser Frau herausgestrichen wurde, statt auf ihre Liebestat hinzuweisen. Dahinter stecken patriarchale Ansprüche auf Unterordnung der Frau, die bereits in der Antike auch mit moralischer Minderwertigkeit der Frau begründet wurde.
Gibt es solche frauenfeindliche Exegese noch heute?
HK: Ja, wenn z.B. Maria, die Mutter Jesu, im katholischen Raum bis heute als Argument herangezogen wird, um Frauen aus kirchlichen Ämtern auszuschliessen. In päpstlichen Schreiben (Inter insigniores 1976, Ordinatio sacerdotalis 1994) wird betont, dass Maria von Jesus nicht das apostolische Amt und nicht das Priesteramt erhalten habe. Deshalb entspräche die Nicht-Zulassung der Frauen zur Priesterweihe dem Willen Jesu und intendiere keine Minderung ihrer Würde. Nur, wo sprechen die Evangelien von Amt oder Priesterweihe? Maria wird, scheinbar auf der Basis der Bibel, zum normgebenden Ausschlusskriterium, wenn es um die Teilhabe von Frauen an kirchlichen Ämtern geht, die es in biblischer Zeit noch gar nicht gibt. Für mich ist das ein missbräuchlicher Umgang mit der Bibel durch eine Amtskirche, die ihren Status quo verteidigt gegen Anfragen und Ansprüche der Laien, insbesondere der Frauen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Menschenbild, Kirchenbild und solchen frauenfeindlichen Schlussfolgerungen?
HK: Die Bibel ist in ihren Bildern vielfältig und vieldeutig. Das erste Schöpfungspoem etwa spricht von «Menschen, männlich und weiblich» als Ebenbilder Gottes. Das ist ein offenes Bild, das durch die Übersetzung mit «Mann» und «Frau» verengt wird im Sinne sozialer Rollennormierung. Das offene Menschenbild der Poesie wird ver- eindeutigt. Das mag vom älteren Schöpfungstext Genesis 2-3 her- rühren: Aus seiner Perspektive der Geschlechterbipolarität werden Gefahr, zu einer Rollenvermischung oder zu einer Identifikationsverschiebung zu führen. Die geistliche Autorität setzt sich identisch mit Gott bzw. Jesus, oder befördert eine Projektion durch die abhän- gige Person. Der Wille des Dominanten erscheint dann als der Wille Gottes bzw. Jesu.
Hat dieser Missbrauch der Bibel eine längere Tradition?
HK: Schon im Neuen Testament kritisiert Jesus eine Umdeutung des 4. Gebots durch die Pharisäer zu eigennützigen Zwecken. Eine ähnli- che Umdeutung haben wir auch bei der Salbung Jesu durch eine Frau. Sie kommt in den synoptischen Evangelien mehrfach vor. Nur ein einziges Mal – bei Lukas – erscheint sie als Sünderin. In der Auslegungsgeschichte herrschte lange eine frauenfeindliche Interpretation vor, in der die Sündigkeit dieser Frau herausgestrichen wurde, statt auf ihre Liebestat hinzuweisen. Dahinter stecken patriarchale Ansprüche auf Unterordnung der Frau, die bereits in der Antike auch mit moralischer Minderwertigkeit der Frau begründet wurde.
Gibt es solche frauenfeindliche Exegese noch heute?
HK: Ja, wenn z.B. Maria, die Mutter Jesu, im katholischen Raum bis heute als Argument herangezogen wird, um Frauen aus kirchlichen Ämtern auszuschliessen. In päpstlichen Schreiben (Inter insigniores 1976, Ordinatio sacerdotalis 1994) wird betont, dass Maria von Jesus nicht das apostolische Amt und nicht das Priesteramt erhalten habe. Deshalb entspräche die Nicht-Zulassung der Frauen zur Priesterweihe dem Willen Jesu und intendiere keine Minderung ihrer Würde. Nur, wo sprechen die Evangelien von Amt oder Priesterweihe? Maria wird, scheinbar auf der Basis der Bibel, zum norm- gebenden Ausschlusskriterium, wenn es um die Teilhabe von Frauen an kirchlichen Ämtern geht, die es in biblischer Zeit noch gar nicht gibt. Für mich ist das ein missbräuchlicher Umgang mit der Bibel durch eine Amtskirche, die ihren Status quo verteidigt gegen Anfragen und Ansprüche der Laien, insbesondere der Frauen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Menschenbild, Kirchenbild und solchen frauenfeindlichen Schlussfolgerungen?
Die Bibel ist in ihren Bildern vielfältig und vieldeutig. Das erste Schöpfungspoem etwa spricht von «Menschen, männlich und weiblich» als Ebenbilder Gottes. Das ist ein offenes Bild, das durch die Übersetzung mit «Mann» und «Frau» verengt wird im Sinne sozialer Rollennormierung. Das offene Menschenbild der Poesie wird ver- eindeutigt. Das mag vom älteren Schöpfungstext Genesis 2-3 herrühren: Aus seiner Perspektive der Geschlechterbipolarität werden Mann und Frau in eine Dominanzstruktur eingeschrieben, die sich mit der essentiellen und moralischen Vorrangigkeit des Mannes begründen lässt. Das entspricht der patriarchalen Ordnung der alten Mittelmeerkulturen und ihrem androzentrischen Menschen- bild. Daraus entwickelt sich ein kyriarchales Kirchenbild. Der Kyrios, der Herr, steht an der Spitze. In der griechischen Antike wurde jeder Herr eines Hausstandes oder der Herrscher mit Kyrios angesprochen. Diese kyriarchale Ordnung findet sich dann früh auch in christlichen Gemeinden.
Welche Wirkungen hatte dies für die Frauen?
HK: Eine Wirkung seit frühchristlicher Zeit ist die Marginalisierung der Frauen. Sie werden an den Rand gedrängt, eingeschränkt und unsichtbar gemacht. Dort, wo Frauen sich sehen lassen, werden sie schnell und oft inkriminiert. Es wird ihnen Frechheit oder Anmassung vorgeworfen, sie werden beschämt oder als Häretikerinnen verschrien. Das ist in die Kirchengeschichte eingeschrieben und lebt weiter im kollektiven Gedächtnis – in allen Kirchen. Viele Gene- rationen von Frauen haben diese Abwertung verinnerlicht. Sie kön- nen da nicht so einfach aus ihrer Befangenheit heraus, zumal pat- riarchale Strukturen längst noch nicht überall überwunden sind.
Wurde mit dem Ausschluss der Frauen auch eine Dimension der Spiritualität exkludiert?
HK: Ich nehme das so wahr. Lebenserfahrungen wie Schwangerschaft und Geburt, die ja hoch spirituelle Grenzerfahrungen sind, haben in der Kirche wenig Raum. Auch die prophetische Dimension, die in der Bibel oft Frauen zugeschrieben wird, ist kaum hörbar. Oder die diakonische Dimension: Diakonie wird grösstenteils von Laien, insbesondere von Frauen geleistet, hat aber im gemeindlichen Gottesdienst ganz wenig Gewicht, obwohl sie einer der Grundvollzüge von Kirche darstellt. Oder die mystische Dimension der Spiritualität: Sie wandert in die Privatsphäre aus.
Was hilft gegen missbräuchliche Verwendung der Bibel?
HK: Wir haben die Aufgabe, die Menschen zum selbstbewussten Umgang mit der Bibel zu ermutigen. Jede und jeder Getaufte hat eigene Geistes-Gegenwart. Alle haben deshalb die Fähigkeit, die Bibel auf ihr Leben hin zu deuten. Diese Deutungshoheit ist Geistesgabe. Und wenn sie sich entfalten soll, muss sie kultiviert werden, durch Bildung und Wissen um die Entstehung und die Eigenart der Bibel, durch die Einsicht, dass die Bibel auf jeder Seite die Erfahrungen der Menschen mit Gott beschreibt. Menschen, die das begriffen haben, lassen sich nicht so leicht mit Bibelzitaten verführen. Deshalb sollten Kirchen Orte sein, wo Menschen sich in experimenteller Weise die Heilige Schrift aneignen können. Die Gemeinde wird dann zu einer Deutungsgemeinschaft für das Wort Gottes.
Hildegard König, Dr. theol. habil., Studium der Theologie und Germanis- tik; bis 2020 Professorin für Kirchengeschichte am Institut für Katholische Theologie der TU Dresden. Gründungsmit- glied von AGENDA – Fo- rum katholischer Theologinnen; Lyrikerin und TZI-Trainerin. Die Forschung der internatio- nal anerkannten histori- schen Theologin zeichnet sich durch eine multipers- pektive, kritische Hermeneutik sowie eine interdisziplinäre und gesellschaftsrelevante Weitung kirchenge- schichtlicher Themen aus. Ihre Schwerpunkte liegen in der Patrologie, Geschlechterforschung und kirchlichen Zeitgeschichte.
Erzählen als Widerstand. Berichte über spirituellen und sexuellen Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche. Mit Essays von Hildegard König und anderen. Vgl. Buchrezension in diesem Magazin (S. 27).
Wenn ich zum ersten Mal an einem neuen Ort in den Ferien bin, dann schaue ich mir die Kirchen an. Egal, ob in der Provence, im Bleniotal oder im Bündnerland. Je weiter südlich, desto üppiger fallen in der Regel die Fresken aus. Und umso ausgeprägter ist oft auch der Marienkult. Kürzlich hat mich meine Tochter gefragt, warum Mutter und Kind immer alleine abgebildet sind. Eine gute Frage. Besonders wenn man bedenkt, dass es eigentlich «ein ganzes Dorf bräuchte», um ein Kind aufzuziehen.
Doch vielleicht wurde Maria gerade deswegen in patriarchal geprägten Gesellschaften über Jahrhunderte als die perfekte Frau angesehen: Keusch und aufopferungsvoll. Damit bildet sie aber das genaue Gegenteil dessen ab, was uns als Menschen erfolgreich gemacht hat, schreiben auch die beiden Evolutionsbiologen Carel van Schaik und Kai Michel in ihrem neuen Buch «Die Wahrheit über Eva». Denn überlebt hat unsere Spezies in erster Linie, weil sie kooperiert hat. Lange Zeit wurde aber viel darauf verwendet, weibliche Netzwerke zu zerstören. Sei es beim Gebären, das in ein enges medizinisches Korsett gepresst wurde. Sei es, wenn Frauen von Chefs in der Arbeitswelt unter dem Stichwort «stutenbissig» gegeneinander ausgepielt werden. Isoliert wurden Frauen insgesamt kontrollier- und lenkbarer und in den Zirkeln der Macht regierten die Männer unter sich.
Wie wichtig weibliche Allianzen gerade im Beruf sind, darf ich seit einigen Jahren selbst erfahren. Früher auf der Nachrichtenredaktion, da war ich oft eine der einzigen Frauen. Als ich dann nach der Geburt meiner jüngsten Tochter beschloss, mich selbstständig zu machen, änderte sich das schlagartig. Aus den vorher schlummernden weiblichen Verbindungen, gelegentlich bei einem schnellen Kaffee gepflegt, wurde ein tragfähiges Netz für Austausch, Vermittlung und gegenseitige Unterstützung. Daran denke ich, wenn ich die Maria und ihr Kind sehe, so ganz alleine. Dann würde ich ihnen gerne eine Oma zur Seite stellen. Eine Freundin. Oder wenigstens ein paar fröhliche Putten.
Hinter die Kulissen schauen
Der Geruch unserer Dorfkirche hängt mir noch in der Nase. Es war ein sinnlicher Ort für mich. Von dem, was der Pfarrer erzählte, verstanden wir nicht viel. Aber er erzählte es mit so viel Herzblut und Überzeugung, dass wir doch davon erfasst wurden. Zur Konfirmation erhielt ich einen Spruch, in dem steht, dass Wahrheit frei macht. Dieser Vers brachte mich in jedem Lebensabschnitt neu zum Nachdenken.
Als ich während meines Archäologiestudiums in eine Sinnkrise geriet, dachte ich darüber nach, zur Theologie zu wechseln. Doch mein Glaube fühlte sich nicht reif genug an. Jahre später, als ich nach einer längeren Kinderpause wieder ins Erwerbsleben einstieg, tauchten erneut Fragen auf. In meinem Beruf fehlte mir die langfristige Perspektive. Gleichzeitig wuchs der Wunsch, meine verbleibenden Berufsjahre mit einer sinnstiftenden Tätigkeit auszufüllen. So war ich geradezu elektrisiert, als ich beim Bündeln des Altpapiers zufällig auf die Anzeige des neuen Studiengangs für Quereinsteigerin- nen ins Pfarramt stiess: hoppla, Ich könnte ja auch noch etwas richtig Spannendes machen!
Als Pfarrerin möchte ich eine Sprache und Rituale finden, die auch kirchenkritische Menschen ansprechen. Gemeinsam mit ganz unterschied- lichen Menschen möchte ich an einer lebenswerten Zukunft bauen.
