Liebe Leser:innen
«Die sind doch verrückt!» Genau, verrückt sind meist die anderen. Denn was verrückt ist, bestimmen die Definierenden. Oder würden Sie sich selbst als verrückt bezeichnen – obwohl das andere vielleicht schon getan haben?
In diesem Heft gehen wir verschiedenen Facetten des Verrücktseins nach: Eine Psychiatrieseelsorgerin erzählt aus ihrem Klinikalltag und den Verrücktheiten, denen sie begegnet. Ein Extremschwimmer beschreibt seinen Zustand des Ver-rückt-seins und Bei-sich-seins bei seinen Expeditionen. Ähnlich wie ihm ergeht es der Sufi-Lehrerin beim Wirbeltanz der Derwische. Und schliesslich gibt eine Kunstpädagogin Tipps, wie man bei der künstlerischen Arbeit den Flow fördern kann. Im positiven Sinne tut etwas Verrücktheit gut. Sie belebt, macht kreativ, offen und fördert den Mut, Neues zu wagen.
Esther Derendinger, Bildungsentwicklung und Kommunikation, A+W
Schon früh hat sie das Phänomen des Wahnsinns oder der Verrücktheit fasziniert. Regine Munz ist Psychiatrie-Seelsorgerin und trifft bei ihrer Arbeit auf allerlei ver-rückte Menschen. Immer wieder bemüht sie sich dabei um eine verständnisvolle, respektvolle Haltung angesichts der Verrücktheiten.
Von Regine Munz
Ich treffe einen Mann vor der Kasse der Cafeteria in der Psychiatrie. Er bezahlt gerade Duschgel, Zahnpasta, eine Zahnbürste und andere Dinge des täglichen Gebrauchs. «Schön, dass ich Sie treffe. Ich muss etwas mit Ihnen besprechen», sagt er zu mir. Am Tisch draussen fragt mich Herr T., was man tun kann, um sich vor dem Teufel zu schützen. Der Teufel, so erzählt er, habe seinen Haustürschlüssel gestohlen. Überdies würde er von drei Killern verfolgt. Deswegen sei er aus dem Fenster gesprungen. Nun sei er hier gelandet, freiwillig.
Wer ist hier ver-rückt?
Wer versuchen möchte, zu definieren, was verrückt oder was wahnsinnig ist, muss dabei immer seine eigene Ansicht mit reflektieren. Denn: Verrückt ist eine Frage des Standpunkts. Verrückt sind immer die anderen. Demzufolge sagt jede Definition der «Verrücktheit» mehr über den Definierenden als über das Definierte aus. «Verrückt» sagt ebenfalls etwas über eine Gesellschaft, die bestimmt, was verrückt ist und wo die Verrückten versorgt bzw. behandelt werden. Nicht von ungefähr befinden sich viele Psychiatrische Kliniken der Schweiz weit draussen, bei Bahnlinien und am Rand der Städte und Gemeinden.
Ich arbeite als Seelsorgerin – eine Patientin hat mich einmal so schön als «Geistpflegerin» tituliert – in einer Psychiatrischen Klinik. Mir begegnen Menschen mit Suchtproblemen, mit Schwermut, mit tiefen Verletzungen und Traumata und Menschen, deren eigenes Erleben, deren Ängste und deren Sprache nicht ohne Weiteres von anderen geteilt werden können. Schon früh hat mich das Phänomen des Wahnsinns oder der Verrücktheit fasziniert. Besonders der Anfang der Erzählung «Lenz» über den Sturm und Drang Dichter und Theologen Jakob Michael Reinhold Lenz hat bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen: «Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen.[…] [E]s lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehn konnte.»
Büchners «Lenz»
Der Mediziner und Schriftsteller Georg Büchner hat das Innenleben von Menschen sowie deren allmähliches Abrücken und Entfernen von einer mit anderen geteilten Welt in «Lenz» eindrucksvoll beschrieben. Er erzählt die Geschichte eines wahnsinnigen Menschen, bei dem oben und unten verrückt sind, der zunehmend den Verstand verliert, der die Verzweiflung und den Schmerz, den er empfindet, nicht mehr aushalten kann und dabei anfängt, sich selbst zu verletzen. Lenz findet für mehrere Wochen bei Pfarrer Johann Friedrich Oberlin in Waldersbach im Elsass Zuflucht und darf in dessen Kirche predigen: «Lenz sprach. Er war schüchtern; unter den Tönen hatte sein Starrkrampf sich ganz gelegt, sein ganzer Schmerz wachte jetzt auf und legte sich in sein Herz. Ein süsses Gefühl unendlichen Wohls beschlich ihn. Er sprach einfach mit den Leuten; sie litten alle mit ihm, und es war ihm ein Trost, wenn er über einige müdgeweinte Augen Schlaf und gequälten Herzen Ruhe bringen, wenn er über dieses von materiellen Bedürfnissen gequälte Sein, diese dumpfen Leiden gen Himmel leiten konnte. Er war fester geworden, wie er schloss – da fingen die Stimmen wieder an.»
«Ich heisse Legion, denn wir sind viele»
Mk 5,9
Büchner beschreibt die Welt, wie Lenz sie erfährt, in all ihrer Ausweg-
losigkeit, in dem gewaltigen Riss, der sie aufspaltet, und konfrontiert mit deren verstörenden Fremdheit. Die Leser:in erlebt die seelischen Qualen von Lenz mit, wie er unter dem Verlust der Distanz zu den Stimmungen der anderen und zu den eigenen Grössenfantasien und Schuldgefühlen leidet und zusammenbricht, wie die geduldige Betreuung und der Beistand des Pfarrers an ihre Grenzen gerät und Lenz endlich nach mehreren Selbstmordversuchen zurück nach Strassburg gebracht wird. «Lenz» ist ein eindrückliches Dokument, das vor der Romantisierung der Verrücktheiten und ihrer Idealisierung warnt. Es beschreibt die Ängste und die Verzweiflung, die Menschen erleben, weil das, was sie erleben, nicht mehr aushaltbar ist und auch nicht mehr von anderen verstanden werden kann, sodass sie sich auf ihre eigene Wahrnehmung zurückziehen.
Die Sprache der Verrücktheit
Büchners Bericht fängt über diese existenziellen Krisen hinaus etwas von dem ein, was der südafrikanische Psychiater David Cooper «die Sprache der Verrücktheit» genannt hat, die mehr oder weniger in allen Menschen und in der Sprache selbst steckt: Die Sprache der Verrücktheit ist, wie Cooper behauptet, nicht die andere Sprache, sondern gerade die Realisation der Sprache selbst. Beispielsweise ist die intensivste Form von Haben etwas zu essen, alle anderen Versuche, den Umstand, was es heisst, etwas zu besitzen, festzulegen und zu definieren sind blosse Konstruktionen.
«Die Sprache der Verrücktheit ist nicht mehr und nicht weniger als die Verwirklichung der Sprache. Unsere Wörter beginnen den anderen zu berühren, und darin liegt die Gefährlichkeit der Verrücktheit, wenn sie ihre Wahrheit ausspricht.» In der Sprache der Verrücktheit zerbrechen gewohnte Beziehungen und Sprachmuster. Die Beziehung zwischen
Zeichen und Bezeichnetem wird verflüssigt und beliebig, Satzkonstruktionen verlieren ihre Bedeutung, weil alles gleich-gültig ist. Zentrale Erfahrungen sind für andere wenig einleuchtend und kaum nachvollziehbar, sodass sie wenig soziale Resonanz finden und nicht mit anderen geteilt werden können. So kommt etwas Starres in die Selbst- und Fremdwahrnehmung verrückter Menschen, die ganze Welt scheint sich auf die verrückten Menschen zu konzentrieren und sie zu meinen in ihrer Bedrohung, Verfolgung oder auch in ihrer Besonderheit und wichtigen Funktion für die Welt.
«Wenn wir im Leben vom Tode umgeben sind, so auch in der Gesundheit des Verstands vom Wahnsinn.»
Ludwig Wittgenstein
Seelsorge auf Augenhöhe
Meine Rolle als Seelsorgerin verstehe ich so, dass ich das Ringen um die eigene Besonderheit und Einzigartigkeit des Gegenübers würdige. Ich versuche, die Welt des anderen zu verstehen und bin mir dabei selbstkritisch meiner fachlichen und anderen Grenzen bewusst – ich bin keine Psychiaterin und keine Psychologin – und weiss um die eigene Fehlerhaftigkeit. Wichtig ist mir, im Gespräch auf Augenhöhe den Respekt vor der Würde des oder der anderen fühlbar werden zu lassen. Dabei möchte ich das Bedürfnis meines Gegenübers nach Distanz erkennen und wahren. Immer wieder bemühe ich mich dabei um eine verständnisvolle, respektvolle und angemessene Haltung angesichts der Verrücktheiten, ohne mich dabei in die Gedankenwelt des anderen hineinziehen zu lassen. Manchmal ist es wichtig, dass ich als Repräsentantin der symbolischen Ordnung des Christentums fungiere und destruktive Vorstellungen abweise.
Ich führe ein langes Gespräch mit einer Patientin auf der Abteilung. Sie ist überzeugt, krank zu sein, allergisch gegen ein Medikament, sie möchte Tests, Blutdruckmessung, Blutabnahme, das ganze Programm. Die Abteilung ist überfordert. Im Gespräch erzählt die Patientin ausführlich von ihren somatischen Problemen, die von den Ärzten einfach nicht ernst genommen würden. Dann am Rande erzählt sie von ihrer Angst und der schwierigen Beziehung zu ihrem Sohn. Nach einiger Zeit, in der unser Gespräch einen immer kreisförmigeren Verlauf nimmt, verabschiede ich mich und verlasse das Zimmer. Die Tür ist offen, daher kann ich ihr Selbstgespräch mithören: «Was, Seelsorge, und kein Arzt! Was brauche ich Seelsorge, wenn ich meine Brille nicht finde.»
PD Dr. theol. Regine Munz ist Pfarrerin, Psychiatrieseelsorgerin in der Psychiatrie Baselland und Privatdozentin für systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Basel. Sie forscht und schreibt u.a. zu den Themen Gnade, Narrativität und Scham.
regine.munz@unibas.ch
Er ist ein Wassermann. Ernst Bromeis schwimmt seit Jahren durch Seen und Flüsse. Daraus entstehen Geschichten, welche bewegen. Nicht zuletzt ihn selbst: Das Schwimmen an der Grenze ist für ihn ein kreatives Kunstwerk.
Von Thomas Schaufelberger
Jetzt wird er einen Moment lang still. Sein Blick geht zur Limmat, die lautlos vorbeifliesst, während der Aufbau für das Züri-Fäscht im Gange ist. Ernst Bromeis ringt um Worte. Ja, es brauche Mut, an die Grenzen zu gehen und sein Leben als Wasserbotschafter und Extremsportler zu gestalten. Und plötzlich erzählt er die Geschichte von Christoph Kolumbus. Seine grösste Leistung bestand nicht darin, das übliche Seefahrer-Handwerk zu demonstrieren und über das Meer zu segeln. Schwieriger war die fünfzehnjährige Überzeugungsarbeit am spanischen Königshaus, um drei Schiffe der königlichen Meerflotte für die verrückte Idee, an den Rand des Meeres zu segeln, abzuzweigen. Das schaffte er dank einer guten Geschichte.
Ernst Bromeis entwickelte viele Geschichten. Weit weg vom Land. Tausend Kilometer und mehr: Er schwamm von der Rheinquelle bis nach Rotterdam, durchquerte alle Bündner Seen, den grössten See jedes Kantons und versuchte sich am mächtigsten Süsswassersee der Welt. Vom Baikalsee kam er zurück mit der Frage eines einheimischen Fischers: «Haben eure Seen auch eine Seele?»
Die Suche nach der Seele in allem, nach der guten Geschichte, die Menschen bewegt, begann früh. Als Fünfzehnjähriger fuhr er mit dem Velo von Ardez aus mit schlechter Ausrüstung regelmässig auf den Flüelapass, 2383 Meter über dem Meer. Dort oben fand er manchmal miserables Wetter, Schneefall, hilfsbereite Menschen, die ihm eine Zeitung zum Wärmeschutz bei der Abfahrt gaben, eingefrorene Bremsen. Nahe Menschen sagen, dass das Verrücktsein zum Menschen Ernst Bromeis passt. Sportstudent, Trainer, Primarlehrer, Extremschwimmer, Wasserbotschafter. Unten im Tal schüttelten sie den Kopf über den kreativen Kopf. Bis heute.
Ein verrückter Zustand
Denn der Wassermensch Bromeis macht etwas, was für viele Menschen mit Ur-Ängsten verbunden ist: das stabile Land loszulassen, den sicheren Boden zu verlassen, eins zu werden mit dem fliessenden Element Wasser, das Leben ermöglicht und zugleich zerstört. «Von aussen sieht das verrückter aus, wie es sich beim Schwimmen anfühlt. Ein Schwimmer im Meer sieht vom Land aus wie ein Ertrinkender», sagt er. Aber mit dem Können des Experten und der zunehmenden Erfahrung ist das Extremschwimmen nicht kopflos. Das Können erlaubt erst die der Normalität entrückten Expeditionen. Der Zustand während des alleinigen Schwimmens gleicht einer totalen Konzentration. Der Mensch verschmilzt mit der Natur. Es gibt keine Dualität mehr zwischen der Umwelt dort und dem Menschen hier. Plötzlich werde er sich bewusst, sagt der Wasserbotschafter, «dass ich selbst Natur bin. – Ein wunderbarer Zustand.» Verantwortung spüren. Ganz allein sein. Flow-Zustand. Die Fragmentierung der Zeit fällt. Alles kommt zusammen. Stille.
Der verrückte Zustand erhöht die Sensibilität für kleinste Nuancen. Schwarz, weniger schwarz, dunkel, blau, dunkelblau, grün. Während der See vom Land aus reizarm ist, entfaltet sich beim Schwimmen ein ganzes Spektrum. Je nach Temperatur hat das Wasser eine andere Konsistenz. Wichtig für das Wassergefühl. Bei Mainz, wo der warme Main in den Rhein fliesst, ist das Wasser ölig. In einem kalten Bergsee spitzig, gläsrig.
Ernst Bromeis – vor sich die Espressotasse im Limmat-Café – pausiert. Dann sagt er: «Du musst an die Grenze gehen, um Neues zu entdecken.» Wirklich spannend werde es erst am Rand. Er zeichnet auf das Café-Tischchen vor sich mit dem Finger einen grossen Kreis. «Interessante Dinge passieren da, an dieser Linie. Wenn du dich exponierst und ausgesetzt bist, da entstehen unerwartete Dinge.» Ohne Grenzerfahrungen gäbe es keine unerwarteten Überraschungen, keine Erkenntnisse, kein Lernen, keine Kunst. Auch die Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft brauche diese Erfahrung des Entrücktseins am Rand.
Ohne verrückte Erfahrungen gäbe es keine guten Geschichten, die vom Wert des Wassers erzählen. Es ist eben nicht einfach «Ressource», die genutzt und kommerzialisiert werden kann. Sondern es ist «Source» – Quelle – mit einer Seele. Auf der ersten Meile nach der Quelle fliesst sie gratis – ein Geschenk. Für die Urvölker – und wer weiss, früher auch hierzulande – hat das Wasser deshalb heilige Qualität. Eine Seele. Der Baikalsee gilt bei den Kulturen vor Ort als heiliges Meer und Quelle der Welt. Bei uns kommt niemand auf die Idee, den Bodensee so zu bezeichnen. «Wo und wann wurden unsere Quellen ent-seelt?», fragt der Schwimmkünstler Bromeis. Die Bass-Lautsprecher bei der temporären Bar gegenüber werden für das Züri-Fäscht getestet. Die Limmat dahinter macht keinen Mucks.
Mit Geschichten bewegen
Mit den Geschichten, die er durch seine Schwimm-Expeditionen findet, will er die Welt verändern. Wassermann Bromeis findet durch die verrückten Expeditionen am Rand der menschlichen Existenz dafür auch mediale Resonanz. Al Gore, Bertrand Piccard, Reto Knutti versuchen etwas Ähnliches: Sie erzählen eine gute Geschichte als Werkzeug, um andere zu bewegen. «Würden wir hinter den Ressourcen auch die Source wieder entdecken, würde sich unser Zugang zur Natur verändern», meint der Bündner Wasserbotschafter. Die Schwimm-Geschichten sind sein Werkzeug, um einen Perspektivenwechsel anzuregen. Unter dem Label «Das blaue Wunder» schiebt er Projekte an: «Die Alpen sind die Quellen von Europa. Wasser ist lebenswichtiges Gut und muss geschützt werden.»
Manchmal erscheint das Engagement eines Einzelnen nur als kleiner Tropfen in einem grossen Gefäss. Aber ist das Meer nicht auch nur eine Summe von Tropfen? Ernst Bromeis sucht die drei Schiffe, die es Christoph Kolumbus erlaubten, neue Perspektiven auf die Welt zu eröffnen. Dafür klopft er an dicke Tore, dafür sucht er Kooperationen, nutzt er Netzwerke, findet er Geld. Verrückt ist das nicht. Aber mutig.
Wasserbotschafter:in werden: Das können alle. Auf seiner Website gibt Ernst Bromeis fünf Verhaltensempfehlungen an, um Wasserbotschafter:in zu sein. Die Kunst ist es, täglich «daran zu denken UND ZU HANDELN», sich für das Wasser einzusetzen und nicht nachzulassen. Ein Leben lang. Wasser ist ein Menschenrecht. Wasser ist endlich. www.dasblauewunder.ch
Ernst Bromeis ist Wasserbotschafter, Expeditionsschwimmer, Referent, Autor und Aktivist. Als Wasserbotschafter setzt er sich dafür ein, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Auf seinen Schwimm-Expeditionen durchquerte er unzählige Schweizer Seen, schwamm im Rhein von der Quelle bis zur Mündung und wagte sich auch an den Baikalsee in Sibirien.
ernst.bromeis@dasblauewunder.ch
Weisse Gewänder, im Kreis wirbelnde Menschen – Derwische gehen in ihrem Drehtanz auf, sind ent-rückt und zentriert zugleich. Monika Grieger ist Lehrerin für die Sufi-Tradition und lehrt auch den Drehtanz. Sie begleitet Menschen aller Religionen und Kulturen auf ihrem spirituellen Weg.
Von Esther Derendinger
Esther Derendinger: Was ist Sufismus und wie grenzt er sich vom Islam ab?
Monika Grieger (MG): Sufismus ist die Mystik des Islams. Und jede Mystik hat eine Herkunftsreligion. Sufismus hat sich jedoch schon immer verbunden gefühlt mit anderen Religionen, beispielsweise auch mit den christlichen Wandermönchen in der Wüste oder den Hindus. Sufis haben verschiedene Weisheitslehren integriert, die jede Religion transzendieren. Sie beten mit allen. Im Westen gibt es viele Sufis, die keine Muslime sind. Unser Sufi-Weg wird daher auch universeller Sufismus genannt. Ich selbst bin offiziell Katholikin und gehe ab und zu gerne in die Kirche. Ich habe also ebenfalls Bezug zum Christentum.
Wie kamen Sie zum Sufismus und zum Drehtanz?
MG: Durch einen Schicksalsschlag. Mein erstes Kind ist kurz nach der Geburt gestorben. Ich war verzweifelt und habe nach Antworten gesucht. Dann habe ich von einem Meister in den französischen Bergen gehört, einem, der Menschen zur Erleuchtung bringen würde. Es war das, was ich damals suchte. Er hat viel über die Transformation von Schmerz in Freude gesprochen. Dadurch bin ich immer tiefer eingetaucht und begann, mich mit Sufismus zu beschäftigen.
Sie sind autorisierte Lehrerin für die Sufi-Tradition und unterrichten auch den Drehtanz der Derwische. Was heisst das genau?
MG: Es gibt verschiedene Sufi-Richtungen. Lehrerin bin ich in der Inayati-Linie und Semazen (drehender Derwisch) in der Tradition der Mewlewi. Bei uns in der Inayati-Tradition liegt der Fokus bei der Meditation, in der Stille und im Rückzug. In der Mewlewi-Tradition gehört der Drehtanz zu den zentralen Praktiken. Mein Mann und ich sind Semazen und können an den Sema-Zeremonien mittanzen, bzw. mitdrehen. Wir gehören beiden Orden an.
Was bedeutet der Drehtanz für Sie?
MG: Schon als junge Frau hat mich der Drehtanz begeistert. Bei meinem Lehrer gab es jeweils donnerstags Zikr (Gebet) und dazu gehörte auch der Drehtanz. Sufis verschiedener Traditionen drehen – auch Kinder drehen, es ist eine natürliche Bewegung. In der Inayati-Sufi-Tradition lehre ich den Drehtanz als spirituelle Praxis. Das erlebe ich als befreiend, ekstatisch und gleichzeitig zentrierend und nach innen führend. Drehen ist beten in Bewegung. Es kann allein oder in der Gruppe praktiziert werden. Die Haltung beim Drehen mit den offenen Armen erinnert mich oft an die Haltung von Jesus am Kreuz. So sagte der Sufi-Märtyrer Mansur al Hallaj (9./10. Jh.) einst: «Ich sterbe in der Religion des Kreuzes.» Für mich symbolisiert das Kreuz auch das Ausgeglichene, die Verbindung von Himmel und Erde, von Ost und West und das Umfassen der Menschheit. Später lernte ich bei der Gruppe der Mewlewi die Sema-Zeremonie kennen und praktizieren, die mich ebenfalls fasziniert und berührt.
Wie ist der Drehtanz in die Tradition eingebunden?
MG: Besonders in der Mewlewi-Tradition ist der Drehtanz mit der Sema-Zeremonie ein wichtiger Pfeiler in der spirituellen Praxis. Die Zeremonie symbolisiert die eigene spirituellen Reise. Dazu gehört die Musik, das islamische Ritualgebet und das Lehrgespräch sowie das Lesen der alten Schriften von Rumi. Bei uns in der Inayati-Linie geht es mehr um die innere Erfahrung in der Meditation und in der Stille. Gebete sind ebenfalls wichtig, aber wir sind frei, welche wir verwenden wollen.
Wie läuft ein (Sema-)Ritual ab?
MG: Zum einen gibt es ja das freie Drehen, das sehr ekstatisch sein kann. Bei unseren Zikr wird gebetet, wir stimmen uns ein, und wer will, steht auf, verneigt sich und beginnt zu drehen.
Die Sema-Zeremonie aus der Mewlewi-Tradition hat einen vorgegebenen Ablauf und stammt aus dem 13. Jahrhundert. Rumis Sohn hat dem Sema nach Rumis Tod seine rituelle Form gegeben, die bis heute unverändert ist. Die verschiedenen Teile der Zeremonie versinnbildlichen den vierteiligen spirituellen Weg vom Erwachen über den Aufstieg und das Entwerden in Gott bis zur Rückkehr in diese Welt als Dienender. Der Semazen ist achtsam und präsent, die Körperhaltung drückt Offenheit, Empfangen und Weitergeben aus. Am Anfang tragen die Derwische über ihrem weissen Kleid einen schwarzen Umhang. Sie sind umhüllt und noch im Dunkeln. Das weisse Kleid der Derwische symbolisiert das Leichentuch des Egos, der Hut den Grabstein des Egos. Das Ritual basiert auf der Sehnsucht, zurück zum Ursprung zu finden.
Ist es schwierig, den Drehtanz zu lernen? Wird einem dabei nicht schwindlig ?
MG:Man kann sich langsam drehen, das ist einfach. Das können alle. Anspruchsvoll sind die Sema-Zeremonien. Da muss einem einerseits das Ritual vertraut sein, zum andern setzt der Drehtanz auch körperliche Fitness voraus. Das Sema-Ritual dauert etwa 90 Minuten. Was einen dabei trägt, ist die Einstimmung in der Gemeinschaft der sich drehenden Derwische, die Musik sowie die Ausrichtung durch das Gebet.
Von aussen betrachtet wirken Derwische etwas ver-rückt und wie in Trance. Was passiert in/mit einem beim Drehen?
MG: Beim Drehen geht es um Hingabe, Kontemplation und ums Vergessen von sich selbst. Es ist ekstatisch und lässt Menschen tiefer mit sich in Verbindung kommen. Ein Gebet in Bewegung. Das kann ganz in der Stille sein oder mehr äusserlich. In Pakistan gibt es beispielsweise die Madzub. Madzub werden im Sufismus als Menschen angesehen, die eine aussergewöhnlich tiefe mystische Erfahrung gemacht haben. Ihr Zustand wird oft als «verrückte Liebe zu Gott» beschrieben.
Wer sind die Menschen, die Sie auf ihrem Weg begleiten?
MG: In Europa sind etwa zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer auf dem Inayati-Weg. Oft folgen sie keiner offiziellen Religion, sind christlichen oder auch islamischen Ursprungs. Unter ihnen sind Künstlerinnen, Handwerker, Architektinnen, Rechtsanwälte, Sozial-
arbeiterinnen oder Lehrer. Menschen auf spiritueller Suche.
Was hat Sie dazu bewogen, schon in jungen Jahren zu lehren?
MG Ich fand es damals etwas langweilig, dass die Sufi-Lehrer in Zürich nur in den alten Schriften lasen. So begann ich schon früh Meditationen anzubieten. Nach und nach hat sich das Angebot ausgeweitet, und schliesslich gründete ich mit meinem Mann das Sufi Zentrum Omega.
Können Sie davon leben?
MG: Nein, überhaupt nicht. Das Zentrum ist für uns Berufung. Das ist auch typisch für Sufis, man geht einem Beruf nach und führt ein bürgerliches Leben. Ich war Heilpädagogin an einer Sekundarschule, mein Mann arbeitet noch immer als Psychotherapeut. Wir haben zwei Töchter und unterdessen auch zwei Enkelkinder.
Die Spiritualität des Inayati-Ordens basiert auf dem Glauben an die Einheit allen Seins, der Achtung der Heiligkeit des Lebens, der Wertschätzung aller Menschen, Religionen und Kulturen, der Anerkennung der weiblichen Seite Gottes und des Rechts aller Menschen auf ein erfülltes Leben in Freiheit und Würde.
Das Wort «Zikr» stammt aus dem Arabischen und bedeutet «erinnern». Beim Zikr geht es darum, sich bewusst auf Gott zu konzentrieren. Es kann als kontemplative Praxis bezeichnet werden.
Der Mewlewi-Orden geht auf den Gründer Rumi (1212–1273) zurück. Die Anhänger werden auch die drehenden Derwische genannt. Für die Mewlewis ist der Drehtanz ein Gebet, durch das man Gott näherkommen kann.
Monika Grieger ist Leiterin und Gründerin des Sufi Zentrum Omega. Sie ist Murshida (autorisierte Lehrerin) in der Inayati Sufi-Tradition und Semazen (drehender Derwisch in der Tradition der Mewlewi). Sie verbindet die Erfahrung und das Wissen dieser beiden Sufi-Wege und begleitet Menschen auf ihrem spirituellen Weg. omega.zh@bluewin.ch
Der Flow ist ein aussergewöhnlicher Zustand. Er ist eine Art «Ausser-sich-Sein», ein Ver-rückt-Sein vom Alltag. Jene Ver-rückung des Normalen findet sich unter anderem im künstlerischen Tun, das insbesondere durch seine Irritationen zum Nachdenken anregen möchte.
Von Laura Medrow-Grahl
Wenn Menschen in einen Flow geraten, befinden sie sich in einem Zustand höchster Konzentration. Diese Vertiefung beinhaltet das restlose Aufgehen in einer bestimmten Tätigkeit, wodurch ein regelrechter Schaffensrausch ausgelöst wird. Flow ist ein emotional positiv aufgeladener, produktiver und potenziell schöpferischer Zustand, der sich unter anderem in Situationen des Lernens oder im künstlerischen Tun einstellen kann. Flow treibt das Selbstvertrauen in die Entwicklung von Fähigkeiten voran, sodass sich persönliches Wachstum vollziehen kann.
Das Flow-Erleben wurde in der Psychologie bereits umfassend behandelt, im Kontext der Kunstpädagogik wurde es hingegen selten und nur flüchtig angerissen, das ist eine Forschungslücke. Innerhalb meines Dissertationsprojekts habe ich diese zu füllen versucht und habe die Verbindung zwischen Imagination, Flow und handlungsorientiertem Lernen untersucht.
Den Flow fördern
Das Erleben des Flow ist gewiss nicht erzwingbar, allerdings können spezifische Umstände ihn begünstigen. In meiner Arbeit interessierte mich die Frage: Wie muss Kunstunterricht beschaffen sein, damit ein Flow-Zustand für besonders viele Schülerinnen und Schüler (leichter) ermöglicht wird und von ihnen reflektiert werden kann? Die folgenden Aspekte sind inhaltlich teilweise den Hauptkomponenten des Erlebens von Flow nach dem ungarischen Psychologieprofessor Mihályi Csíkszentmihályi entlehnt.
Es gibt Voraussetzungen, unter denen es den Schülerinnen und Schülern erleichtert wird, in den Flow zu kommen. Das ist beispielsweise die Rahmenplanung von Projekten oder Kunstunterricht ohne starke zeitliche Einschränkungen. So ist eine vertiefendende Produktivität innerhalb autonomer Arbeitsprozesse möglich. Auch offene, individuell angepasste Aufgabenformate bzw. Erfahrungsmöglichkeiten, denen sich die Schülerinnen und Schüler gewachsen fühlen, haben geholfen wie auch die Schaffung eines ruhigen Raums für eine bessere Konzentrationsfähigkeit. Für die Lernenden war es auch wichtig, dass sie selbstständig Fragestellungen bearbeiten konnten, innerhalb derer sie sich unmittelbar deutliche Rückmeldung hinsichtlich ihrer selbst gesteckten Ziele geben konnten. Es ist auch hilfreich, wenn immer wieder kontrolliert wird, ob der Grad der Herausforderung auch der Fähigkeit der Schüler entspricht. Das heisst, das Feld zu finden, in dem eine Person weder über- noch unterfordert ist.
Ebenfalls unterstützend ist es zudem, wenn verschiedene Flow-Zugänge bereitgestellt und den Schüler:innen anfängliche Hemmungen oder Startschwierigkeiten genommen werden. Weitere Punkte sind Neuheit und Unvorhersehbarkeit, die helfen, die Aufmerksamkeit und die Konzentration zu erhöhen. Weiter ist die Flow-Erfahrung sowie das Fortschreiten der Arbeit per se wichtiger als die Resultate eines Kunstwerks am Schluss.
Sich vertiefen erfüllt
Eine Person kann sich, unabhängig von äusseren Umständen, erfüllt fühlen, indem sie die Inhalte ihres Bewusstseins ändert. Dies kann geschehen, indem sie in den Flow-Zustand gerät oder sich das vorstellt und somit den Fokus auf das lenkt, was im Innern geschieht. Ein dritter möglicher Weg ist der Imaginations-Flow, bei dem die Person in ihrem Imaginieren in einen Flow gerät. Die absolute Vertiefung in eine Aktivität oder eine Vorstellung lässt die Person in diesem Moment alles andere ausblenden. Je stärker die Herausforderung wächst und die entsprechenden Fähigkeiten erarbeitet werden, umso erfüllender ist der Flow-Zustand.
Was den Zusammenhang mit dem Imaginations-Flow untermalt, ist in der Forschung auch der Konsens, dass Tätigkeiten, in denen weder Fähigkeiten gefordert werden noch Herausforderungen warten, wie beispielsweise beim Fernsehen oder beim Durchscrollen von sozialen Netzwerken, zu Apathie führen können. Es ist davon auszugehen, dass es Menschen, die stark digital sozialisiert wurden und häufig lange Zeit vor Bildschirmen verbringen, schwerer fällt, sich aktiv Dinge vorzustellen. Dem muss in künftigen Bildungssituationen dringend kritisch-reflexiv begegnet werden, ohne dabei auch die Vorteile von neuen Medien in der Bildung aus dem Blick zu verlieren.
Je nach Persönlichkeit ist das Erleben von Flow in allen erdenklichen Situationen möglich. Die Kanäle, in denen Flow erlebt werden kann, sind so vielfältig wie die Individuen selbst.
5 Arten, in den Flow zu kommen
- künstlerisch innerhalb von Performances, beim Malen, Fotografieren, Zeichnen, Collagieren u. v. m.
- mittels körperlicher Betätigung, z. B. beim Schwimmen, Tanzen, Bergsteigen etc.
- bei Kopfarbeit, wie z. B. beim Schachspielen, Knobeln, Rätseln usw.
- durch Musizieren, ganz gleich, ob am Piano, mit der Gitarre, Geige, Trompete etc.
- bei Freizeitaktivitäten, wie z. B. dem Kochen, bei dem in Musse raffiniert frei kombiniert wird
Exemplarisch können hier einige Flow-Kanäle genannt werden, allerdings sind diese Flow-«Initiatoren» so individuell wie wir selbst, und jede Person gelangt bei anderen Tätigkeiten in den Flow. Welche sind es bei Ihnen?
Kein Druck und keine Unterbrechungen
Schülerinnen und Schüler erleben Flow und Imaginationsphänomene bereits häufig zum Beispiel beim konzentrierten Lernen und während herausfordernder Freizeitaktivitäten. Im Alltag können sie in diversen Situationen auftreten. Auf Basis der im Anschluss an die Projekte geführten Interviews mit Schülerinnen und Schülern lassen sich bedeutsame Aspekte von Kunstunterricht für Flow und umgekehrt herleiten: Die Schülerinnen und Schülern fordern Zwanglosigkeit im Unterricht, ohne Druck und frei von Unterbrechungen. Sie plädieren für eine ruhige und entspannte Lernatmosphäre, zu der sowohl die Lehrperson als auch sie selbst beitragen können.
Dr. phil. Laura Medrow-Grahl ist als Lehrerin in den Fächern Kunst und Englisch tätig. Zuvor lehrte sie Kunstpädagogik mit den Schwerpunkten Imagination, Flow und Künstlerische Forschung an der Leuphana Universität Lüneburg. 2022 erschien ihr Buch «Flow und Imaginative Bildung». laura.medrow@gmx.de

«verrückt»
Vor 30 Jahren habe ich ein Jahr lang als Austauschstudent bei Steve und Mary gelebt, Bible Belt Christen, die beide in Vietnam gedient hatten. Ende des 20. Jahrhunderts verkauften sie ihr Haus in Kansas City und tingelten mit dem Wohnwagen quer durch die Staaten, um noch so viele Seelen wie möglich zu retten, weil das Ende nahe sei.
Sie waren nicht die Einzigen, die glaubten, dass es mit der Welt demnächst zu Ende gehe. Zu Silvester 1999 warteten wir alle gespannt darauf, ob nun der «Y2K»-Bug tatsächlich alle Computer auf dem Planeten gleichzeitig lahmlegen würde und was das für Atomkraftwerke, Nuklearsilos und in der Luft befindliche Flugzeuge bedeuten würde.
Die paar Jahre, die darauf folgten, hielten uns auch in Atem: 11. September, Christoph Blocher im Bundesrat, die Influencer-Karrieren von Kim Kardashian und Logan Paul, Erdbeben in Haiti und russische Kriege in Endlosschlaufe.
Ich blicke auf den Bildschirm, der so tut, als wäre er ein Fenster nach draussen. In La Chaux-de-Fonds und Grabs wirbeln Quasi-Tornados Kücheneinrichtungen und Volksfeste durch die Innenstadt. Auf Rhodos brennen die Kiefernwälder und Touristencamps. Die UNO ruft eine globale Ernährungskrise aus, da aufgrund der Klimaerwärmung zehn Prozent der Weltbevölkerung an Hunger leiden. Dieselbe «Tagesschau», welche mir all das berichtet, endet mit einem Beitrag über Herr und Frau Schweizer, die mit dem Flieger nach New York in die Ferien verreisen, weil der Wechselkurs so vorteilhaft sei.
Steve und Mary sind irgendwann nach Florida gezogen. Steve ist letztes Jahr an den Spätfolgen einer Agent Orange Vergiftung gestorben – wie unzählige Veteranen vor ihm. Und auch wenn wir uns nie über irgendetwas einig waren, bin ich mir nicht mehr sicher, ob er komplett falsch lag, was das Ende betrifft.
Etrit Hasler, Autor und Slam Poet, gehört zu den Pionieren der Schweizer und der deutschsprachigen Slam-Poetry-Szene. Der boshaft-charmante Schnellsprecher schafft auf der Bühne bis 270 Wörter pro Minute. Daneben ist der St. Galler Moderator, Autor und Journalist seit 2020 Geschäftsführer des Dachverbands Suisseculture Sociale.

Dem Kopf davonrennen
Das Militär war eine prägende Zeit für mich und ausschlaggebend dafür, dass ich das Theologiestudium begonnen habe. In dieser Zeit habe ich realisiert, dass es meine Vision ist, ein Vorbild zu sein für Menschen in einer heiklen Zeit und ihnen Perspektiven bieten zu können.
Ursprünglich wollte ich Mathe oder Physik studieren, dann wählte ich in der Kanti das Schwerpunktfach Philosophie, Psychologie und Pädagogik und habe erkannt: Da geht es um den Menschen als Einheit, als Ganzes.
Meinen Ausgleich zum kopflastigen Studium hole ich mir beim Langstreckenlaufen oder Schwimmen. Die Natur ist meine Insel, wo ich mich erholen kann.
Aufgewachsen bin ich bireligiös oder fast schon säkular: Mein Vater kommt aus Ägypten und ist ein frommer Moslem, meine Mutter ist Schweizerin und liberale Christin. Geprägt hat mich aber auch mein atheistischer Grossvater, er war auch eine Vaterfigur. Ich habe den kirchlichen Unterricht als angenehm empfunden. Vor allem, dass der Pfarrer meine Zweifel respektierte und meine Fragen abgeholt hat.
Die Frage, was ich nach dem Studium machen möchte, ist herausfordernd. Was sind Visionen für mein Leben? Ausserdem bin ich immer noch am Lernen, mich selbstständig theologisch zu verorten: Ich kann mich in vielen Positionen und Argumenten wiederfinden. Was ich aber jetzt schon weiss: Mich interessiert in der Theologie vor allem die Seelsorge. Da sehe ich mich in der Arbeit mit marginalisierten Personengruppen, das ist mein Anliegen.
Foto: Dario Abstutz