Liebe Leserin, lieber Leser
«Verspielt» – Was geht Ihnen hier spontan durch den Kopf? «Die Chancen sind verspielt oder gar die Zukunft»? Wen würde es wundern angesichts von Kriegen, Klimakrise und Krankheiten? Das neue Magazin legt eine andere Lesart nahe, wenn wir zwischen Wegschauen, Aktionismus und Verzweiflung feststecken. Es lädt ein, «verspielt» zu sein und die Möglichkeiten des Spielerischen für die kirchliche Arbeit zu entdecken. Die Beiträge umspielen das Thema theologisch und auch ganz praktisch. Wir freuen uns, wenn Ihnen beim Lesen aufgeht, wieviel Gleichnishaftes für das Evangelium im Spielen steckt; so dass wir eine neue Sicht auf unser Leben und diese Welt gewinnen und merken, dass wir’s damit noch nicht verspielt haben.
Martin Hirzel,
Leiter Personalentwicklung Pfarrschaft, Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn
Gesellschaftsspiele haben Spielregeln. Doch was ist mit den Regeln, die nicht im Regelheft festgehalten sind und trotzdem eine wichtige Rolle spielen? Spielautor Daniel Fehr macht sich Gedanken zu ungeschriebenen Regeln im Spiel.
Von Daniel Fehr
Kennen Sie «Clank», «Everdell» oder «Arche Nova»? Vielleicht kennen Sie «Codenames», «Die Siedler von Catan» oder «Carcassonne»? Ganz sicher kennen Sie «Uno», «Monopoly» oder «Brandy Dog». Alles sind Gesellschaftsspiele und davon gibt es immer mehr. Letztes Jahr erschienen allein auf dem deutschsprachigen Markt rund tausend Spiele. Damit Sie ein solches Spiel spielen können, müssen Sie die Regeln kennen. Sonst können Sie mit den Figürchen, Plättchen, Karten, Würfeln und Tableaus, die sich in der Spielschachtel befinden, zwar irgendetwas spielen, aber nicht das intendierte Spiel.
Die erste Frage am Spieltisch lautet darum: Wer kennt die Regeln? Im Idealfall hat jemand die Spielregeln im Voraus gelesen und erklärt sie nun den anderen. Möglich ist auch, dass niemand die Regeln gelesen hat und sie trotzdem alle kennen. Man kennt sie vom Hörensagen: aus der Familie oder dem Jugendlager. Bei Spielen wie «Monopoly» oder «Uno» frage ich mich, ob überhaupt jemand je die Regeln gelesen hat. Ich jedenfalls nicht. Kennt die Regeln niemand, liest man sie aus der Spielregel direkt vor oder schaut sich, sofern vorhanden, ein Tutorial auf YouTube an. Wie immer die Regeln eines Spiels gelernt werden: Ohne geht es nicht. Ohne Regeln kein Spiel.
Ungeschriebene Spielregeln
Ich selbst arbeite auch als Spielautor. Dazu gehört das Schreiben der Spielregeln, die dann von den Verlagen noch überarbeitet und umformuliert werden, bevor sie im fertigen Spiel landen. Wer eine Spielregel schreibt, kennt zwei Gräuel: auf der einen Seite lauert das dicke Regelheft, das zwar alle Regeln genau erklärt, aber so lang ist, dass es selbst die Geduldigsten abschreckt; auf der anderen Seite lauert die Regellücke, die so gross ist, dass das Spiel nicht gespielt werden kann, weil unklar bleibt, wie es funktioniert. Regelschreiben besteht darum im Ausbalancieren zwischen dem, was gesagt werden muss, und dem was, weggelassen werden kann: Muss beschrieben werden, was «Drafting» bedeutet, oder ist allen klar, dass damit eine bestimmte Art der Kartenauswahl gemeint ist? Muss extra gesagt werden, dass es nicht erlaubt ist, den Mitspielenden in die Karten zu schauen?
Weil nicht alles in die Spielregel kann, gibt es notgedrungen immer auch ungeschriebene Regeln. Bei den allermeisten Kartenspielen ist es zum Beispiel nicht erlaubt, den Mitspieler:innen in die Karten zu sehen, auch wenn dies nicht explizit in den Regeln steht. Die meisten der ungeschriebenen Regeln betreffen die soziale Situation, in welche das Spiel die Spielenden stellt. Einige betreffen spezifisch die Spielsituation. Die erste lautet: Wenn du dich auf das Spiel einlässt, akzeptierst du seine Regeln. Mit deiner Teilnahme am Spiel versprichst du, dass du dich an die Regeln halten wirst. Kurz: Du sollst nicht schummeln! Die zweite heisst: Wenn du dich auf das Spiel einlässt, spielst du es zu Ende. Auch dann, wenn nach fünf Minuten klar ist, dass du nicht gewinnen wirst oder dass dich das Spiel langweilt. Was nicht heisst, dass es keine Gründe für einen Spielabbruch gibt: Notfälle etwa oder wenn die Gruppe gemeinsam entscheidet, es bleiben zu lassen.
Regelkorrektur oder Regeländerung
Darüber hinaus gibt es viele ungeschriebene Regeln, die von der Spielgruppe und vom Spiel abhängen. Ob ein bereits ausgeführter Zug nochmals rückgängig gemacht werden darf, hängt oft davon ab, um welches Spiel es sich handelt. Im Schach ist die Regel explizit: Eine berührte Spielfigur muss gezogen werden, sofern ein legaler Zug möglich ist. Bei den meisten anderen Spielen ist das so nicht festgeschrieben. Die Gruppe muss sich darüber verständigen, ob diese ungeschriebene Regel gilt. Sie muss sich auch darüber verständigen, wann sie dies tut: bereits vor dem Spiel oder erst, wenn der Fall eintrifft? Ein anderes Beispiel ist die Frage, wie man mit Regeln umgeht, die zwar in der Spielanleitung stehen, aber beim Erklären vergessen wurden. Gelten nun die erklärten Regeln oder die Regeln in der Spielanleitung? Während ich grundsätzlich dafür plädiere, ein Spiel mit den erklärten Regeln fertig zu spielen, sehen dies andere oft anders. Für sie ist es eine Regelkorrektur, für mich eine Regeländerung und ich rufe in gespielter Empörung: «Mir hat niemand gesagt, dass ich das nicht tun darf!»
Dies ist nur eine kleine Auswahl von ungeschriebenen Regeln, die zur Spielsituation gehören. Insider wissen um sie, ohne dass sie benannt werden. Und für die meisten sind sie so vertraut, dass sie übersehen, dass es Konstellationen gibt, in denen es hilfreich wäre, die impliziten Regeln zu explizieren.
Trotzdem kann es sinnvoll sein, genau dies zu tun: Wenn zum Beispiel vor einem «Uno»-Spiel alle sagen, sie kennen die Regeln, sollte man sich dennoch kurz darüber verständigen, denn bei mündlich tradierten Spielen gelten oft unterschiedliche Hausregeln (z.B. darf man auf eine «Zieh Zwei»-Karte eine weitere «Zieh Zwei»-Karte spielen?). Oder wenn ein Spiel-Novize sich auf ein dreistündiges Expertenspiel einlassen will, ist es hilfreich, ihn auf die Spieldauer und -komplexität aufmerksam zu machen und daran zu erinnern, dass er nicht während des Spiels aussteigen kann.
Wann und wem ungeschriebene Regeln erklärt werden sollten, dafür gibt es keine Regel. Hier müssen wir uns auf unsere Empathie und Sensibilität für soziale Situationen verlassen. Dass dies nicht nur im Spielekontext der Fall ist, sondern auch im kirchlichen, muss ich wahrscheinlich nicht weiter explizieren. Nur so viel: Es liegt in beiden Kontexten in der Verantwortung der Insider, die ungeschriebenen Regeln im richtigen Moment deutlich zu machen – oder umgekehrt: Die Insider sollten nicht von den anderen erwarten, dass sie nachfragen.
Daniel Fehr studierte an der amerikanischen Princeton University Germanistik und lernte zuvor an der Zürcher Hochschule der Künste und der School of Visual Arts in New York das Bildermachen. Er schreibt Bilderbücher, konzipiert spielerische Bücher und entwickelt Gesellschaftsspiele für Kinder und Erwachsene. hello@danielfehr.ch
Buch- und Spieltipp: Daniel Fehr hat rund dreissig Bücher und Spiele in knapp zwanzig Sprachen veröffentlicht. www.danielfehr.ch
Spiele sind intrinsisch motiviert. Spiele sind sinnvoll, aber zweckfrei. Und Spiele erzeugen eine gestalthafte Ganzheit, die nach aussen begrenzt, nach innen aber unendlich ist. Eine kleine Anleitung zur Wahrnehmung eines Urphänomens.
Von Martin Brüske
Dass die Weisheit (chokma, sophia, sapientia) vor Gott spielt, sagt das Buch der Sprüche (8, 22–31). Diese Aussage fasziniert und irritiert zugleich. Sie erzeugt eine unmittelbare ästhetische Plausibilität im Zusammenhang des grossen Gedichts, in dem sie zu finden ist. Und dennoch – was soll das nun heissen: die Weisheit spiele? Was der ästhetischen Imagination beinahe evident zu sein scheint, wird dem nachdenkenden Verstehen sofort frag-würdig. Religionsgeschichtliches und ikonographisches Vergleichen führt nur begrenzt weiter: Traditionsgeschichte ordnet ein in einen grösseren Zusammenhang, aber auch sie sagt uns nichts direkt zur Bedeutung der Aussage. Ohne uns dem Phänomen des Spiels zu nähern, kommen wir nicht weiter!
Ein Urphänomen, das verkannt werden kann
Man kann an der Bedeutung des Phänomens vorbeilaufen. Der Spiesser, in seiner Gefangenschaft in den Positivismus des Alltags, in dem, was er allein für beachtenswert befindet, wird das Phänomen des Spiels immer als uneigentlich betrachten. Dies zu tun, gehört wohl zu seiner Definition. Spiele sind für Kinder, bestenfalls zur Entspannung (wenn er Karten klopft), sie sind durch den sogenannten «Ernst des Lebens» überholt, liegen davor, daneben, danach.
Dagegen steht eine Tradition, für die das Spiel ein Urphänomen von höchstem Rang ist. Es «spielt» in derselben Liga wie Arbeit, Kampf und Liebe. (Übrigens: Wer hinhorcht merkt, wie die Phänomene sich durchdringen, vom Kampfspiel zum Liebesspiel und zum Spielcharakter kreativer Arbeit.) Für Heraklit ist der Kosmos in seiner raum-zeitlichen Bewegtheit und als ganzer (Äon) ein königliches Brettspiel. In Platons Nomoi wird Kult als Spiel gedeutet und ist Gabe der Götter. In christlicher Deutung führt bei Klemens von Alexandrien der menschgewordene Logos den himmlischen Tanzreigen und lässt so Vollendung imaginieren. Für Thomas von Aquin steht das Spiel in genauer Analogie zur Tätigkeit des Weisen; wem die Fähigkeit zu spielen fehlt, der hat einen Mangel. Denn spielen zu können ist Tugend. Und besonders der Kontemplative sollte diese Tugend ausbilden, damit sein innerer Haushalt zur Ausgeglichenheit findet. Schliesslich Schiller, für den der Mensch nur dort, wo er spielt, ganz Mensch ist. Im Spiel vermitteln sich ihm Freiheit und Notwendigkeit. Das ist ihm ästhetisches und politisches Programm zugleich: Das Spiel eröffnet die Möglichkeit einer Ordnung der Freiheit, die nicht in den «terreur» der radikalen Phase der Französischen Revolution abgleitet.
Elemente des Spiels
Spiele sind intrinsisch motiviert. Spiele wollen nichts sein als sie selbst. «Sinnvoll, aber zweckfrei» nannte das Romano Guardini und deutete damit zugleich die christliche Liturgiefeier als Spiel, in dem die Seele vor Gott sein kann. Spiele erzeugen eine gestalthafte Ganzheit, die nach aussen begrenzt, nach innen aber unendlich ist. Spiele – immer Bewegungsgestalt und immer Spiel mit Bildern (Buytendijk) – vermitteln Bergung und Freude. Sie stellen sich her, indem sie als Gestalt ergriffen werden, um dann als Gestalt zu ergreifen. So vermögen sie – die einzelnen Subjekte übergreifend – zu involvieren: Wir spielen und zugleich nimmt uns das Spiel in sich auf. Also: «Wir spielen», aber auch «wir werden gespielt» und «das Spiel spielt sich». In bergender Freude ist das Spiel «Oase des Glücks» (Fink) und darin Vorwegnahme von Vollendung. Spiele umgreifen den vitalen Grund – auch höhere Tiere spielen – und die höchste Höhe des Menschseins. Ihr Wirklichkeitscharakter ist reines Schweben, schwach und stark zugleich: Der Stecken des Kindes, der im Spiel jetzt sein Pferd ist, ist als Nachahmung (Mimesis) der Wirklichkeit ein Nichts, in der eröffneten Spielwelt aber unendliche Möglichkeit, die den Positivismus der Spiesserwelt radikal übersteigt und Welten eröffnet.
Die spielende Weisheit und das Geschehen der Teilhabe an Gott
Als sein geliebtes Kind ist die Weisheit – nach unserem Gedicht – bei Gott um vor ihm zu spielen – und zugleich ist es ihre Freude bei den Menschen zu sein. Die ewige Debatte der Exegeten, ob die Weisheit der grossen Hymnen der Weisheitsbücher Metapher oder Hypostase sei, ist ebenso unbeendbar wie sie unfruchtbar ist. Sie verfehlt ihren Gegenstand, weil sie sich das Phänomen des Spiels der Weisheit – hier liegt der Schlüssel – zu wenig erschlossen hat. Denn die Antwort lautet: Weder noch! Die spielende Weisheit ist Geschehen. Sie bildet die lebendige Grenze (Sergei Bulgakow) in der Gott und Mensch, Anfang und Ende vermittelt werden. In unserem Gedicht ist sie als Erstgeschaffene der perfekte Spiegel des Schöpfungswillens Gottes, als spielende bildet sie ihn in sich ab, als spielende eröffnet sie daraus den Möglichkeitsraum der Vollendung, als spielende involviert sie den Menschen in dieses Geschehen, in dem Gott Anteil an sich schenkt. Die spielende Weisheit ist das gottmenschliche Geschehen der Teilhabe an Gott:
«Ich war seine Freude Tag für Tag / und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund / und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.»
Dr. Martin Brüske ist Philosoph und Theologe. Er unterrichtete an der Universität Freiburg Dogmatik und theologische Propädeutik sowie Ethik am TDS in Aarau. Seine Dissertation im Grenzgebiet von Liturgiewissenschaft und dogmatischer Sakramententheologie bestimmt die grundlegende Handlungsform der Liturgie als Spiel vor Gott. martin.brueske@unifr.ch
Das Spiel ist nicht die Auflockerung zwischen dem Wesentlichen. Im guten und passenden Spiel liegt das Wesentliche schon drin, manchmal sogar eine Portion Himmelblau.
Von Frank Lehmann
Kommt zuerst der Körper oder der Geist? Können wir sitzend «aufbrechen zu neuen Ufern» und «beweglich sein»? Wenn das möglich ist, sind wir mit unserer Sitzungskirche auf dem richtigen Weg. Persönlich habe ich da meine Zweifel. Wenn ich meinen Körper bewege, bewege ich auch eher meine Gedanken. Wenn ich darauf vertrauen soll, dass ich gestärkt werde und deshalb stark bin, so muss ich meine Kraft auch spüren und einsetzen können. Grob gesagt.
Nun habe ich ein wenig den Ruf des Spiel-Pfarrers, und deshalb darf und soll ich diese Zeilen schreiben. Damit irgendwer sie sitzend liest. Und danach etwas in Bewegung kommt. Vielleicht.
Manch einer denkt: «Ich bräuchte noch ein Spielchen zum Auflockern!» – nein, so ist das nicht gemeint. Das Spiel ist nicht die Auflockerung zwischen dem Wesentlichen. Im guten und passenden Spiel liegt das Wesentliche schon drin, manchmal sogar eine Portion Himmelblau.
Theologie tun – nicht «runterbrechen»
Ich hatte gelernt, in Begriffen vom Vertrauen, Hoffen und Handeln zu sprechen. Das hat mir entsprochen und eine vermeintliche Sicherheit gegeben. Spätestens in den Feiern mit demenzkranken Menschen und in der Konfirmandenarbeit mit Menschen mit geistigen Einschränkungen komme ich damit an die Grenze. Aber auch sonst. Ich bin gezwungen, die Theologie auf eine neue Ebene zu heben – nicht «runterzubrechen», wie manch einer sagt, vielmehr «hochzuheben» ins Leben hinein. Zwei Weiterbildungen in themenzentriertem Theater und in Gestalttherapie waren mir dabei Türöffner: Lerne, die wesentlichen Dinge in Ich- oder Wir- oder Du-Sätzen zu formulieren, verbal. Dann siehst Du, worum es geht.
Ein Beispiel: «Tragt einer des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.» (Gal 6,2). Hierzu kann man begrifflich mit Nächstenliebe, Diakonie, Verantwortung, Gerechtigkeit arbeiten und lernen – das schliesst sich nicht aus.

Themenzentriert würden wir aber auch sagen: «Ich werde getragen, wenn ich schwach bin.» «Ich trage, wenn ich stark bin.» «Du trägst mich.» «Ich trage Dich.» «Wir tragen uns.» «Ich kann tragfähig leben und Verantwortung übernehmen.» «Manchmal leiden wir, weil es schwer ist – aber wir schaffen es ins Ziel.»
Im Spiel, das auf dem Bild zu sehen ist, wird all das gemacht und erfahren. Dazu werden sich die Spielenden noch freuen, zweifeln, lachen, zögern, staunen, überwinden, stolz sein, feiern. Das Wesentliche geschieht hier – mit Haut und Haar, mit Seele und Herz und Verstand.
Gewiss können wir es dann noch reflektieren, deuten, einrahmen, wieder aufnehmen, hinterfragen und verstärken. All das. Die Themenzentrierer nennen das «realisieren», also das Gespielte irgendwie mit Verstand und Welt verknüpfen. Das tue ich nach wie vor und immer wieder. Aber was die Nachhaltigkeit von vermitteltem Wissen, begrifflich und theoretisch korrekt, angeht, bin ich demütig und bescheiden geworden. Es berührt und bewegt auch selten einen Menschen. Und: Man darf die Spiele und Erlebnisse nicht zu Tode deuten. Sonst spielt man beim nächsten Mal nur noch halb so freudig mit.
Wann ist ein Spiel wesentlich?
Also im pädagogischen-evangelischen Sinn gut? In jedem Spiel stecken mehrere «Themen», welche oft weit vom oberflächlich erkennbaren Spielthema abweichen. Sie berühren nie alle Mitspielenden, aber vielleicht einige davon.


Nehmen wir das Tanzen: Ja, auch das ist ein Spiel. Die alten Hebräer haben das gespürt, wenn sie das Verb «schatak» für spielen und tanzen gleichermassen nutzten. Jede und jeder, der da mitspielt, trägt im Leben und in Bezug auf den Tanz Themen mit sich, die recht unterschiedlich sein können. Im Tanzen stecken auch solche Themen und im Evangelium sowieso. Die Tabelle soll zeigen, worauf es ankommt:

Wichtig: In jedem dieser drei Bereiche gibt es noch weitere immanente «Themen». Nicht alle sind für jede und jeden relevant. Das Spiel ist am evangelischsten, wenn die drei Felder korrelieren. So geschieht im Spiel Wesentliches, nicht bloss mit Kindern, auch in der Bildung mit Erwachsenen, bei Feiern, im Gottesdienst, manchmal sogar in der Seelsorge.
Viel lieber als darüber zu schreiben, würde ich es mit Euch erfahren.
Frank Lehmann ist Pfarrer in der Kirchgemeinde Wädenswil und Kursleiter des «Konf-Kurs in Bewegung» bei A+W.
frank.lehmann@kirche-waedenswil.ch
Playing Arts ist (Selbst)Bildung durch Spiel. Playing Arts ist ein Prozess, der gespiesen wird von Neugier, Vielfalt und Kreativität. Es geht um Wahrnehmung und Ausdruckskompetenz. Was weckt die Spiellust in uns und was hat Kirche mit Spiel zu tun?
Von Martina Schwarz
Seit ich Playing Arts kenne, liebe ich Kassarollen. Jeder Art und Grösse. Langsam schreibe ich Wort für Wort auf die Rollen. Unter meinen Fingern verwandelt sich das weisse, glatte Papier in Psalmrollen. Später murmeln wir die Worte in den Wind. Und am Schluss reissen sich die Mitmurmelnden Wortfetzen aus der Rolle, als Proviant. Ich erinnere die Orte, wo Kassarollen zum Einsatz kamen: den Magnolienbaum im alten Park mit Studierenden, den Kreuzgang mit Pfarrer:innen, die Dachterrasse der Diakonissen. Kassarollen sind multifunktional. Und letztlich auch bloss ein Material. Das weiterführt. Mich in mein Spiel verwickelt. Eine Spur legt. Eine Zündschnur zündet. Etwas verstärkt, das schon immer da war. Wie der Spreng- und Explosionskünstler Roman Signer sein Schnarchen in isländischer Landschaft verstärkt. Ich lerne gerne von Kunst und Künstler:innen. Am liebsten von denen, die den Humor als produktiven Zugang zum Drama auf dieser Erde nutzen. Wie eine Elster stibitze ich ihre Fragen: «Findet mich das Glück?» oder «soll ich heimlich in Bremgarten ein Zimmer mieten?» (Fischli & Weiss).
Spielen ist Probehandeln
Als Kind beargwöhnte ich die pädagogische Welt, die gerne Spiele machte, um scheinbar leicht ein Ziel zu erreichen. Viel lieber verfolgte ich meine eigene Spur. Lange habe ich das vergessen. Oder bloss an einer ganz kleinen Ecke, im Schreiben ausgelebt. Denn ich schreibe, um zu verstehen. Schreiben ist für mich Probehandeln, ja vielleicht auch Probeglauben. Seit ich Playing Arts kenne, ist für mich auch Spielen Probehandeln, Probeglauben. Impulse bemerken, aufgreifen und in die Luft werfen, damit der Wind hindurchfährt und mir neue Anregungen zuwirft. Oder Menschen, die mit mir spielen. Resonanz geben. Eine neue Spur in meinem Spiel sehen. Für ihr Spiel und so weiter und so fort. Schier end- und anfangslos. So ist das Spielen eine Art Kollaboration und ein Laboratorium des Unverfügbaren.
Seit ich Playing Arts kenne, sehe ich überall Spuren und Zeichen, die Ja sagen: Ja, du darfst. Du darfst deiner Frage folgen, deinem Spiel. Ja, du wirst verstehen, indem du tust. So ist Playing Arts eine Wahrnehmungsschule, wie Schreiben eine ist oder Predigen oder Tanzen oder eben Spielen, eine, die mir scheinbar plan-los sagt: Mach mal! Spiele!
Auf Playing Arts Fortbildungen habe ich mit Ohropax auf feinen Metallstäben einen kleinen Garten angelegt, und auf den Ton des Friedens gehört, der sehr leise wächst. Dann wollte ich eigentlich noch einen Trostautomaten entwerfen, und dabei ist eine Mariengrotte entstanden. Ein andermal wurde gefragt, wo denn mein Treib-Stoff sei, und ich entdeckte dabei den alten durchbrochenen Stoff, mit dem meine Mutter die Babykleider vor dem Staub im Schrank schützte. Drauf hin setzte ich den Stoff im Wald aus, folgte ihm filmend mit meiner kleinen Handykamera und lernte mehr über Abschied und Schmerz, aber auch über die grosse Befreiung im Tun.
Was ist Playing Arts oder: folge Deiner Spur!
Playing-Arts-Prozesse erinnern an Reisen, deren Verlauf im Voraus nicht abzusehen ist. Die Fortbewegungsmittel heissen: Neugier, Vielfalt, Kreativität. Ästhetische Selbstbildung lautet die Kürzestdefinition von Playing Arts. Oder: sich im Spiel eigene Fähigkeiten anzueignen. Dabei spielt handwerkliches Können eine untergeordnete Rolle. Dafür Wahrnehmung eine umso wichtigere. Es geht um Ausdruckskompetenz und die Frage: Wie komme ich ins Spiel? Was macht mich heiss, was lässt mich kalt?
Eigentlich ist Playing Arts ein Kunstwort. Im Englischen kommt es so nicht vor. Es hat sich seit den späten 1990er Jahren als ein Ansatz entwickelt, der sich gegen die funktionalistische Spielpädagogik der 1980er Jahre wendete. Playing Arts war ein Befreiungsschlag, wieder mehr selbst zu spielen, sich im Spiel zu riskieren. Das deutsche Wort Spiel ist ambivalent. Spiel wird schnell als Kinderkram abgetan. Dabei: Ohne Spiel keine Kunst. Und: Bildungsprozesse, die nicht schon von vornherein definiert sind, überraschen und prägen sich ein. Denn, woran erinnere ich mich, wenn ich mein eigenes Lernen Revue passieren lasse? Vielleicht an die Bäume, die wir am Rande der Biologiestunde im Wald umarmten, oder den Ton der Wassergläser, mit denen wir Musik machten, etwas abseits des Musikunterrichts. Immer dann, wenn wir die geordneten Bahnen verliessen, uns an die Ränder wagten, experimentieren durften, spielen. Etwas er-forschen, was mit uns selbst zu tun hatte und unserm kleinen Leben mit sieben, sechzehn oder vierundzwanzig.
Mit Playing Arts die Spiellust fördern
Der süddeutsche Diakon und Playing Artist Robby Höschele war bei der Geburtsstunde von Playing Arts dabei und hat Fortbildungsformate entwickelt, die Menschen locken, ihr eigenes Spiel zu entdecken. Er förderte bei Generationen von Theologinnen, Sozialpädagogen und andern Spiellust. Er griff dabei in die Kiste der Künste unserer Zeit, in die des Glaubens, des eigenen Lebens, des Alltäglichen und in die des Baumarkts. Denn, was für mich in bescheidenem Rahmen für die Kassarolle gilt, ohne die ich nicht aufbreche, gilt für Robby Höschele für einen Kleintransporter, vollgepackt mit Material zum Ver-Spielen. Er braucht davon jeweils etwa 10%, aber aus der Fülle lässt sich schöpfen. So segnet Robby auch gerne mal bei einer Amtseinsetzung eine Pfarrerin mit 1000 Pingpongbällen, die er aus Kübeln über Kopf und Füsse der Geistlichen giesst. Die Kirche füllt sich mit angenehmen Pings und Pongs. Eine Kirchenmusik der andern Art.
Was hat Playing Arts mit Kirche zu tun?
Und so komm ich zum Schluss: Was hat das alles mit Kirche zu tun? Am besten fangen wir am Anfang an. Frau Weisheit spielt vor Gott:
«da stand ich als Werkmeisterin ihm zur Seite
und war seine Freude Tag für Tag,
spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdkreis
und hatte meine Freude an den Menschen.» (Spr 8,30f)
Und hören mit dem Ende auf:
«Uns ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.» (1Joh 3,2)
Wir haben es noch nicht. Die Kirche der Zukunft, zum Beispiel. Wir umspielen Lücken. Und be-greifen hier und da an kleinen Enden und Anfängen etwas. Wir schreiben die neuen Fragen und Antworten auf Kassarollen; später am Tag murmeln wir sie mit Verbündeten gegen den Wind.
Martina Schwarz ist Pfarrerin und Leiterin Praktisches Semester bei der KOPTA, der Koordinationsstelle für praktikumbezogene theologische Ausbildung der Universität Bern. Zudem ist sie Predigtcoach und leidenschaftliche Playing Artist. martina.schwarz@unibe.ch
Playing Arts - weiterführende Links zum Thema:
www.ejw-exbi.de
www.netzwerk-spielundkultur.de

«Verspielt» und «umfahren» sind gute Vokabeln für den Deutschunterricht. Während man eine Baustelle umfahren kann, ja, dies meist ohne Probleme bewältigt wird, kann man unglücklicherweise einen Menschen dabei – und da sei Gott vor! – umfahren und damit die Schicksale aller Beteiligten beträchtlich verändern.
Als verspielt wird das Kind, das junge Tier oder mitunter der Mitt-30er mit einem Hang zu Lego-Bausets oder Videospielen beschrieben. Sollte dieser junge Mann eine Freude am Glückspiel entwickeln, so mag es sein, dass er eines Tages seiner Freundin, Mutter, dem Vater oder Therapeuten mitteilen muss: Ich habe alles verspielt. Beide Vokabeln verraten viel über die Menschen, öffnen trotz ihrer Alltäglichkeit ganze Welten im Kopf. Demographien steigen auf, soziale Gefüge, Klassenbetrachtungen, Sehnsüchte, Verlorenheiten, Belohungsverfahren.
Dass die meisten Menschen einen Hang zum Spiel haben, mag es ihnen Glücks- oder Unglücksspiel sein, hat Steve Jobs wohl am erfolgreichsten umzusetzen verstanden. Seither lässt er uns minimale Gesten auf kleinen Kästchen vollziehen, auf deren Mattscheiben wir uns Videos von Krähen, Delfinen, Babykatzen und Affen ansehen, über deren Grad an Verspieltheit wir staunen und lachen und das Ganze mit Musik unterlegen, die oftmals davon lebt, dass die Interpreten sich bei der Wiedergabe verspielen und eine gewisse Schrägheit zum ästhetischen Merkmal und Muss wird.
Manchmal frage ich mich, ob Ausserirdische auch deswegen unseren Planeten grossräumig umfahren.
Nora Gorminger ist für vier Ausgaben unsere Kolumnistin. Die Schriftstellerin hat Amerikanistik, Germanistik und Kunstgeschichte studiert und danach eine Promotion im Fach Amerikanistik begonnen. Seit 2010 leitet sie das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg als Direktorin. Zahlreiche Aufträge, Aufenthaltsstipendien und Lehraufträge führen sie als Autorin, Dozentin und Performerin rund um den Globus. www.nora-gomringer.de
Wir dürfen Fehler machen
Ich bin ein Cevianer. Als Jugendleiter habe ich gemerkt: hier wird mir etwas zugetraut, und wenn ich einen Fehler mache, helfen die anderen. Als ich im Lager für die Reise verantwortlich war, stieg ich mit der Gruppe in den falschen Zug und wir verpassten das Postauto. Alle nahmen es sportlich, ein Teil ging zu Fuss und für die anderen leistete das Küchenteam einen Shuttleservice. Trotzdem lernte ich dazu und verpasste nie wieder einen Zug mit einer Gruppe.
Dass in meinem Cevi-Team auch Fragen rund um Gott und die Bibel diskutiert wurden, weckte mein Interesse am Glauben. Ich stellte fest, dass die Leute in meinem Umfeld unterschiedliche Ansichten hatten. Was ich vom reformierten Pfarrer hörte, sagte mir zu. Es passte zu der Erfahrung, dass nicht alles so einfach gestrickt ist im Leben. Ich überlegte mir, Theologie zu studieren, wurde aber zunächst Primarlehrer. Nach zwei Jahren Berufstätigkeit bin ich dann doch ins Theologiestudium eingestiegen.
Ich schätze die Kirche als Institution. Es ist genial, dass es in den abgelegensten Dörfern ein Seelsorgeangebot gibt. Bezüglich Strukturen könnte sie sich aber einiges vom Cevi abschauen. Sie sollte Menschen ermächtigen, Freiwillige wertschätzen und nicht mit Bürokratie belasten. Und sie sollte flexibel genug sein, um lokale Initiativen unkompliziert zu unterstützen. So wie die unserer Cevi-Gruppe in der Pandemie: Wir haben über hundert Lebkuchen gebacken und sie im Dorf verteilt.
