In England und Schottland erkunden Vikar:innen zukunftsweisende kirchliche Projekte. Ihre Blogbeiträge geben Einblick in die sich verändernde Kirchenlandschaft und bieten Inspiration für die eigene Gemeindearbeit.

Jährlich begeben sich die Vikar:innen gegen Ende ihrer Ausbildung auf eine inspirierende Reise nach England und Schottland, um innovative kirchliche Orte zu erkunden und Pionier:innen zu treffen. Die Reise ist Teil der Ausbildung Gemeindeentwicklung und soll das Bewusstsein für die sich rasch verändernde kirchliche Landschaft schärfen. Als Leistungsnachweises verfassen die Vikar:innen u.a. jeweils einen Blogbeitrags, der ihre Eindrücke von der Reise widerspiegelt und als Reflexion über das Gelernte dient. In dieser Sommer-Serie erhalten Sie 9 spannende Einblicke von Vikar:innen (die zwischenzeitlich bereits im Pfarramt sind). Insights, die auch für die eigene Arbeit in der Kirchgemeinde inspirieren können.

 

Sommer-Serie 4/9

Christ Church im Herzen von London - Christi Kirche unter Menschen zu sein?  

von Wiebke Suter-Blume

Unsere Studienreise befasst sich damit, Kirche innovativ und zukunftsfähig zu entwickeln. Christus reist mit und macht schon am ersten Tag klar: Unsere Konzepte der Kirchenentwicklung sind nicht seine Sorge. Er gibt seinen Namen freigiebig her für verschiedene Formen, die jede für sich Gemeinschaft mit ihm und untereinander ermöglichen. 

Ich befinde mich Sonntag, 19. März 23 zweimal in einem Gottesdienst einer „Christ Church“. Für mich eine Begegnung mit zwei Wegen, wie Kirche sich in Raum und Zeit im Herzen von London bewegt. Mir scheint, Christus beweist hier mit Humor, dass ihn unsere Ideen zur „Gehstruktur“ der Kirche wenig kümmern – Hauptsache er kommt mit Menschen in Kontakt und diese untereinander und mit ihm.  

Christ Church London

Nördlich der Blackfriars Bridge feiert Christus in „seiner Kirche“ – der Christ Church London – Morgengottesdienst in der London School of Economics. Wir würden diese Gemeinschaft vielleicht als Freikirche bezeichnen. Ihr Anliegen ist es, die soziale, spirituelle und christliche Transformation Londons mitzugestalten. Eine bunte Schar aller Hautfarben, Altersklassen, Fitnessgrade und Sozialschichten trifft sich im kleinen Theatersaal zu einer ausgedehnten Lobpreiszeit, gefolgt von Community Infos und Lehre, heute über Freigiebigkeit. Ein schönes und stimmiges, geistdurchwirktes Erlebnis von Gemeinschaft mit Christus, Gott und der Gemeinde. Der Pförtner war wohl der einzige lokale Teilnehmer. Christ Church London hat zwar einige digitale Treffpunkte – doch der Sonntagsgottesdienst ist offline – und bringt so Christus sonntags an diesen Ort.

Die Christ Church kommt und geht wie in einer Nomandengesellschaft. Sie trifft sich hier, da dieser Ort verkehrstechnisch optimal und finanziell erschwinglich ist. Die mobile Gemeinschaft, die sich punktuell trifft, nutzt diese Inseln in Raum und Zeit zur offline-Stärkung untereinander. Die Teilnehmenden bleiben nach dem Gottesdienst zum Kaffee aus Pappbechern beisammen. Dieses Treffen strahlt in den Alltag der Glieder dieser Gemeinschaft aus – und damit Christus in alle Ecken von London mitnimmt, auch dorthin, wo keine Kirche kommt – nur Christus mit einzelnen Gliedern seiner Kirche.  

Stadtkloster oder Kirche

Südlich der Blackfriars Bridge ist die Christ Church ein Garant für Kontinuität in dem sich schnell ändernden Quartier. Die Christ Church Southwark ist eine anglikanische Ortskirche. Aufgrund einer Quartierstudie orientiert sie sich an klösterlichen Konzepten der Kontemplation, vielleicht würden wir das als Stadtkloster bezeichnen. Hier trifft sich eine viel kleinere Gemeinschaft aus dem umliegenden Quartier in der Backsteinkirche zum kontemplativen Abendgottesdienst. Die Feier lebt von Gebeten und stiller Kontemplation im Kirchenraum. Statt Band und Lobpreis gibt es eine Liturgie, die aus dem Gebetsbuch mitgesprochen werden kann. Dies verbindet die Gemeinschaft mit Christus ebenso wie die anschliessende Zeit für Gemeinschaft und Gelächter. Der Gottesdienst wird digital übertragen und trägt Christi Einladung zur Kontemplation so über die Kirchenmauern hinaus in die Welt. Die lokale Gemeinschaft, die sich hier trifft, geht nirgends hin – sie ist eher gehbehindert und sitzt einfach da. Ihre Willkommenskultur und kontemplative Ruhe wirkt wie eine Insel aus einer anderen Welt und Zeit, die in unserer mobilen Welt schon wieder Halt gibt und beruhigt – auch diejenigen, die nicht eintreten, sondern nur vorbeilaufen.  

Was nehme ich mit nach Hause? Mir kommt das Wort der „Schweiz der zwei Geschwindigkeiten“ in den Sinn. Die moderne Schweiz der schnelllebigen Wirtschaft und die traditionelle Schweiz der kulturellen Identität. Wie sähe hier wohl eine Christ Church aus, die beide Geschwindigkeiten bedient? Welche Rolle würden reformierte Gemeinschaften darin spielen? Vielleicht wäre der Startpunkt im reformierten Stammland eine Kirche, die einfach da ist und in der reformierten Diaspora eine Kirche, die mit Menschen kommt und geht.