In England und Schottland erkunden Vikar:innen zukunftsweisende kirchliche Projekte. Ihre Blogbeiträge geben Einblick in die sich verändernde Kirchenlandschaft und bieten Inspiration für die eigene Gemeindearbeit.

Jährlich begeben sich die Vikar:innen gegen Ende ihrer Ausbildung auf eine inspirierende Reise nach England und Schottland, um innovative kirchliche Orte zu erkunden und Pionier:innen zu treffen. Die Reise ist Teil der Ausbildung Gemeindeentwicklung und soll das Bewusstsein für die sich rasch verändernde kirchliche Landschaft schärfen. Als Leistungsnachweises verfassen die Vikar:innen u.a. jeweils einen Blogbeitrags, der ihre Eindrücke von der Reise widerspiegelt und als Reflexion über das Gelernte dient. In dieser Sommer-Serie erhalten Sie 9 spannende Einblicke von Vikar:innen (die zwischenzeitlich bereits im Pfarramt sind). Insights, die auch für die eigene Arbeit in der Kirchgemeinde inspirieren können.

 

Sommer-Serie 5/9

Frisch kombiniert 

von Sara Stöcklin-Kaldewey

Die St. Bride’s Church in London verbindet die hochkirchliche Liturgie mit einer familiären Atmosphäre und inklusiven Theologie – eine inspirierende Kombination.  

Zuerst spaziere ich an der St. Bride’s Church vorbei, ohne sie zu bemerken. Erst einen Strassenzug später bemerke ich, dass ich mein Ziel verpasst habe, und finde beim zweiten Anlauf die leicht zurückversetzte und zwischen anderen Gebäuden eingeklemmte Kirche. Ältere und junge Leute sowie Familien mit Kindern trudeln mit dem Fahrrad oder zu Fuss ein. Schnell merke ich, dass man sich hier kennt. Das bestätigt sich, als bei der Begrüssung der Geburtstagskuchen von So-und-so angekündigt wird und die Pastorin um Gebet für ein Gemeindeglied bittet, das im Krankenhaus liegt. Alle werden beim Vornamen genannt. Eine solch familiäre Atmosphäre kenne ich aus unseren landeskirchlichen Gottesdiensten kaum – vor allem aber nicht in Kombination mit einer Liturgie, wie ich sie hier erlebe. Der Abendmahlsgottesdienst, an dem schätzungsweise siebzig Personen teilnehmen, ist hochkirchlich, mit einem beeindruckenden Chor, liturgischen Gewändern, Gegenständen und Formeln sowie klaren Formen und Ritualen. Eine aufwändige Feier, die in Basel oder Zürich am ehesten ins (Gross-)Münster passen würde. Die Tonalität allerdings kenne ich eher aus freikirchlichen Gottesdiensten. Die Lesungen, die Gebete und die Predigt klingen genauso locker und natürlich wie die Begrüssung. Schön ist es auch, dass die Kinder nach der Predigt aus ihrem «Kid’s club» herausgerufen werden und vor der ganzen Gemeinde die Fürbitten lesen. Sie sind das scheinbar gewohnt, denn selbst der sechsjährige Knirps liest seine Bitte selbstsicher und souverän vor. In der humorvollen Predigt und beim Abendmahl lässt die Gemeindeleiterin, Reverend Dr. Alison Joyce, etwas von der theologischen Ausrichtung von St. Bride’s durchblicken: diese ist betont progressiv und inklusiv.  

Formvollendet und ästhetisch

Ich bin tief berührt, denn diese Gemeinde verbindet für mich das Beste aus den verschiedenen Traditionen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe: sie ist Familie, sie spricht wie Familie, und sie feiert gleichzeitig «formvollendet», in ästhetisch ansprechender Art, die reiche Tradition ihrer Kirche. Ich erlebe einen Gottesdienst mit Kopf, Herz und Hand, der mich inspiriert. Und er wirft die Frage auf, warum ich diese Kombination von Form, Stil und Inhalt in der Schweiz noch nie angetroffen habe. Gibt es dafür keinen Bedarf? Gibt es nicht die richtigen Rahmenbedingungen? Passt sie nicht in unsere Tradition hinein? Ich vermute, das in all diesen Thesen ein Funke Wahrheit steckt. Und ich bin ziemlich sicher, dass es mir nicht gelingen wird, das St. Bride’s Modell eins zu eins in die Schweiz zu transferieren. Aber es wird mich inspirieren, immer wieder unsere Vorstellungen davon zu hinterfragen, welcher Stil und welche Form zu welchem Inhalt passt. Und es zu wagen, ungewohnte Kombinationen auszuprobieren.