Vom 18.-24. März 2023 machen sich Vikarinnen und Vikare auf und reisen nach London und Edinburgh. Täglich lernen die Reisenden neue Orte der Kirche kennen und begegneten inspirierenden Personen. In diesem Reiseblog gibt es Eindrücke und Erkenntnisse der Reisenden zum nachlesen.

es bloggt: Jacques-Antoine von Allmen

24. März 2023

Traut euch – vertraut!

Zum Abschluss unserer Reise treffen wir Neil Glover, Pfarrer in fünf Landgemeinden. Neil Glover – Aberfeldy Parish Church. Sein beherzter Auftritt ermutigt uns und rundet eine anregende Reise ab.

Hier einige Highlights seiner Ansprache:

In vielen Kirchen sucht man sein Heil in eine bessere Organisation. Es braucht aber keine bessere Kirchenbürokratie, sondern eine bessere Theologie. Diese muss sich besinnen auf sieben Gaben der reformierten Kirche.

  1. In der reformierten Kirche ist die einzelne Person wichtig. Eine wichtige Ressource im Pfarramt sind wir selber mit unserer Persönlichkeit.
  2. Die Gemeinschaft (community) gilt es zu pflegen, angepasst am Kontext.
  3. Wir sollten wieder vermehrt die Bibel in Gruppen lesen und uns von ihr herausfordern lassen.
  4. Das Singen von angeeigneten Lieder geht zu Herzen.
  5. Der Ort unseres Wirkens bestimmt, was zu tun ist.
  6. Eine Hauptaufgabe ist die Arbeit für Gerechtigkeit in all ihren Facetten.
  7. Von lauter Arbeit darf die Stille, der Sabbat nicht zu kurz kommen – ein Protest gegen die 24/7 Gesellschaft.

Befragt nach seiner Haltung zu LGBTQ meint er: Die Einsicht, dass es Liebe in vielen Formen von Beziehungen gibt, sei für ihn vergleichbar mit der Einsicht von Petrus in Apostelgeschichte 10, als der Heilige Geist zu den Heiden kommt.

Es wirkt wir eine Sendung, wenn er zum Schluss meint: Im dritten Satz des Glaubensbekenntnisses heisst es «wir Glauben an den Heiligen Geist» und nicht: «wir glauben an die Heilige Schrift». In diesem Vertrauen fahren wir zurück in die Schweiz an unsere Arbeitsorte – und die Lernvikar:innen nach ihrem Abschluss ab August in ihre Gemeinden.

 

23. März 2023

Grenzen überschreiten

Am freien Vormittag gehen die einen shoppen, andere Fliegenfischen, andere arbeiten für die Kirchgemeinde. Zu dritt wandern wir zum 251 m hohen Arthur’s Seat, einem uralten Vulkan, der über Edinburgh thront.

Zu Mittag essen wir im Coffee Saints, dem Café des Sozialunternehmens Grassmarket Community Project The Grassmarket Community Project - ALL are welcome. Am Nachmittag präsentiert uns Catherine Jones das Projekt. Ursprünglich ein Wohltätigkeitswerk (charity)  in diesem benachteiligten Quartier mit Obdachlosen und Substanzabhängigen, ist das Projekt auch ein Sozialunternehmen, das Menschen aus der Hilfsbedürftigkeit holt. Sie arbeiten im Catering, in der Holzwerkstatt, in der Kerzenfabrik, in der Textilwerkstatt. Sie bekommen eine Ausbildung und werden fit für den Arbeitsmarkt. Die Verbindung zur Kirchgemeinde ist dadurch gegeben, dass der Gemeindepfarrer Richard Frazer das Direktorium leitet. Die Räume grenzen direkt an den Friedhof der Greyfriars Kirche, wo sich Joanne K. Rowling Inspiration für einige Namen der Harry Potter Romane geholt hat. Nach aussen (etwa im Café) ist die Verbindung zur Kirche eher versteckt, getreu dem Motto: All are welcome.

Über Mittag besuchen wir die Mittagsandacht in der Kirche Greyfriars, in der eine junge Theologiestudentin schwungvoll eine anspruchsvolle Passage aus dem Predigerbuch auslegt. Weil es uns ohne Musik etwas trocken ist, sind Gesangbücher rasch herbeigeschafft und wir «verführen» die Anwesenden zum Singen.

22. März 2023

Wege in die Zukunft

Steifer Wind begrüsst uns heute zu unserem Besuch in Glasgow. Eine Kopfbedeckung wäre keine schlechte Idee gewesen.

In der Universität (Bild) treffen wir Doug Gay, Professor für Praktische Theologie. Er nimmt wahr, dass die Gesellschaft und gerade auch  jungen Menschen dringend nach Hoffnung lechzen. In den Mehrfachkrisen Klima, Pandemie, soziale Prekarität und Versagen des kapitalistischen Systems sind wir Christen gerufen als Zeugen der Hoffnung. Uns interessiert brennend, wie er die Zukunft der Ausbildung zum kirchlichen Dienst sieht. Fruchtbare Erfahrungen macht er, wenn Leute mit theologischem Vollstudium und solche mit einem beruflichen Hintergrund zusammen predigen lernen. Sie pflegen eine Feedbackkultur, die alle weiterbringt. Er befürwortet eine Verlagerung der Ausbildung: Weniger Lernen im Hörsaal, mehr Begleitung in der praktischen Gemeindearbeit.

Mittagessen gibt es im Church Café Wild Olive Tree in der Kirche St. George im Herzen von Glasgow. Um 13.15 feiern wir die Andacht zur Wochenmitte mit. Derweil essen die Gäste ringsum weiter ihre Scones. Für einen Moment ist es gewöhnungsbedürftig, Gottesdienst zu feiern während im Café weiter geplaudert wird. Doch so ist Gottesdienst mitten im Leben.

Am Nachmittag zeigen uns Heidi und Peter Gardner einige Kunstinstallationen, die sie in Kirchen realisiert haben. Er ist Künstler und als Theologe Pionier Minister für die Künstler:innen in Glasgow. «Peacemakers» wurde mit einer «Strickliese» von zwei Meter Durchmesser in der Cathedrale von Coventry realisiert. Es strickten dabei die Besuchenden der Friedenskathedrale. Beim meditativen Umrunden der Strickliese entwickelten sich Gespräche über das Leben und den Frieden. Die Installationen von Gardner&Gardner sind partizipativ und geben dem Raum eine neue Qualität. Ihr Studio ist zum Ort des Austausches und der Seelsorge für die Künstlerszene geworden.

John Bell von der Iona Community beobachtet als Theologe und Liedtexter die Entwicklung der Church of Scotland seit langem. Für eine Erneuerung unabdingbar ist für ihn, dass die Menschen im kirchlichen Dienst wieder stärker in Beziehung sind mit den Menschen. Dabei müssen die administrativen Aufgaben zurückstehen. So können die Pfarrpersonen eine Predigtsprache aus dem Alltagsleben lernen, die sich wohltuend abhebt vom theologischen Kirchsprech. Auch für ihn liegt die Zukunft der Ausbildung im interprofessionellen Miteinander.

20./21. März 2023

Reise in ein reformiertes Gebiet, das dringend Reform braucht

In vier Stunden reisen wir von London nach Edinburgh, dem Bildungs- und Verwaltungszentrum Schottlands. Wir treffen als erste Lesley Hamilton-Messer, Mission development manager der Church of Scotland. In einer unaufgeregten Art erzählt sie von den gewaltigen Herausforderungen für die Kirche. Diese erreicht nur noch vier Prozent ihrer Mitglieder. Aus historischen Gründen bespielt die Kirche viel zu viele Gottesdiensthäuser mit sehr wenigen Teilnehmenden. In den Nuller-Jahren war die schottische Kirche mit Church Planting nur mässigen erfolgreich. Jetzt entstehen mit dem Ansatz der fresh expressions of Church vielversprechende neue Formen von Gemeinden, aktuell sind es 400. Damit einher geht auch eine Strukturreform, die Planung und Leitung wird auf regionaler Ebene gestärkt. So fallen wichtige finanzielle und strategische Entscheidungen näher bei den Gemeinden vor Ort. Um mit 600 Pfarrpersonen in ganz Schottland auszukommen, arbeitet die Kirche zielstrebig an der Ausbildung von Laien. Sie wirken mit in Aufgaben der Gemeindearbeit und der Leitung.

John Chalmers, früherer Moderator der Synode der Kirk of Scottland, ergänzt diese Ausführungen am nächsten Tag. Er gibt uns ein lebendiges Zeugnis, wie er den gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der Kirche erlebte und deswegen trotzdem nicht verzweifelt ist. Er ist froh, dass er als Siebzigjähriger jungen Kräften Platz gemacht hat. So ermutigte er die Lernvikar:innen für den Dienst, den sie bald antreten werden. Selber trägt er nach Kräften dazu bei, die Umsetzung der Reformpläne in den lokalen Gemeinden zu begleiten.

Zum Abschluss des Tages gab es eine Führung durch die geschichtsträchtige St. Giles Cathedral. 

Weitere Informationen:

The Faith Action Plan | The Church of Scotland

Church reform timeline | The Church of Scotland

 

19. März 2023

Gottesdienste im Kontext

An diesem Sonntag sind wir zu einem «exposure training» in London unterwegs. Allein oder in Gruppen beobachten wir, was uns entgegenspringt und was die Eindrücke bei uns auslösen: Gedanken, Gefühle, körperliche Veränderungen. Dabei besuchen wir einen Gottesdienst aus der reichen Auswahl, die es hier gibt – von HTB (Holy Trinity Brompton, evangelikal mit Praisemusik) über die klassischen anglikanischen Feiern bis zur «Sunday Assembly» der Atheisten. Wir fokussieren das Quartier, in welchem der Gottesdienst stattfindet und achten darauf, wie der Gottesdienst auf die Menschen in diesem Kontext eingeht.

Ich besuche den Gottesdienst in Home – St Bride's Church (stbrides.com) – der Kirche der Journalist:innen. Tatsächlich waren im Quartier Verlage und Redaktionen zu Hause. Ich sitze neben Gill, die ihr Leben lang für die Financial Times als Redaktorin gearbeitet hat. Die Gemeinde pflegt sie Erinnerung an Presseleuten, die im Dienst ermordet wurden. Wichtig ist der Gemeinde auch das Gebet für Presseleute THE JOURNALISTS’ PRAYER – St Bride's Church (stbrides.com).

Am späten Nachmittag treffen wir Ian Mobsby, der zur Zeit seine dritte fresh expression of Church aufbaut: Christ Church Southwark (ccblackfriars.org). In diesem höchst diversen Quartier am Rande der City pflegt die Gemeinde ein Programm christlicher Spiritualität und einen meditativem Gottesdienststil. In seinem Vortrag betont Ian Mobsby: Eine Church Plant etabliert an einem neuen Ort eine Gemeinde im Stil der aussendenden Gemeinde und spricht kaum Leute an, die gar keinen Zugang zum christliche Glauben haben. Im Unterschied dazu sammelt eine fresh expression Menschen von «ausserhalb», indem sie Beziehungen aufbaut und ein Angebot entwickelt nach ihrem Stil und ihren Bedürfnissen. Christ Church  ist Teil der Bewegung «new monasticism». Menschen nehmen die Verpflichtungen des Mönchtums auf sich, ohne in der Gemeinschaft vor Ort zu leben.

18. März 2023

London, Stadt der Gegensätze

Wir sind unterwegs mit 22 angehenden Pfarrer:innen nach Schottland. Dort werden wir neue Formen von Gemeinden erkunden. Für die Hinreise verbinden wir den ökologischen Gedanken mit einem lohnenden Zwischenhalt. Trotz den Streikwellen hat die Reise über Paris (im Bild die 180 m lange Prunkfassade der Gare du Nord aus dem Jahr 1864) reibungslos geklappt. In London tauchen wir gleich in eine Stadt der Gegensätze. Bei Covent Garden steht eine lange Schlange von Menschen bei einer Foodbank im Freien. Beim Evensong in Westminster Abbey ist die gloriose Geschichte des British Empire mit Händen zu greifen (Bild). Dieser gesungenen Abendliturgie wohnen viele Menschen bei, auch solche, die offensichtlich kaum vertraut sind mit einem christliche Gottesdienst. Und doch ist der christliche Glaube in anderen Formen präsent im öffentlichen Raum. Unter dem Bahnhof Waterloo ist eine Unterführung rundum tapeziert mit kunstvollen Spraygemälden - Teil des Festivals The Vaults. Neben Psalmversen hat Jesus eine prominenten Platz im Gewölbe (Bild).